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Minarette in Deutschland - hier die Moschee am Görlitzer Bahnhof in Kreuzberg: Für die einen Zeichen des Ankommens, für die andern eins der Fremdheit.

© Michael Hanschke/ picture-alliance/ dpa

Pegida und seine Vorläufer: Das Abendland war schon immer ein Kampfbegriff

Heute Abend will Pegida trotz 9. November protestieren - um das Abendland zu verteidigen. Warum der Begriff seit Jahrhunderten als Waffe im Meinungsstreit dient - und warum das nicht gut ist.

Nicht, dass Sachsens „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlands“ und ihre Jünger nicht ordentlich Spott eingesteckt hätten. Hildesheims Bischof etwa fragte vor Jahresfrist, was denn Leute zur Verteidigung des Christentums bewege, die überwiegend keiner Kirche angehörten. Das Konzept des „Abendlands“ ist dabei weniger unter die Lupe genommen worden – vielleicht gehört das geflügelte Wort von dessen „Untergang“ einfach zu fest zum Ironievorrat des Deutschen.

Der Begriff bedeutet auch mal sein Gegenteil

Daniel Bax hat den Versuch unternommen, in seinem gerade erschienenen Buch „Angst ums Abendland“. Seine kleine Geschichte des Begriffs weist nach, dass das Abendland, seit Luther es in die deutsche Sprache pflanzte, stets ein Kampfbegriff war, „der zur Abgrenzung nach innen und nach außen diente“ und den eigentlich nur verteidigen kann, wer ein Faible für verbale – oder auch nonverbale – Gewalt hat.
Dabei hat das Abendländische eine erstaunlich radikale Wandlungsfähigkeit gezeigt. Die CSU verbinde es heute „mit der freiheitlichen Demokratie, rechtsstaatlichem Denken, dem Geist der Toleranz und dem Schutz der Menschen und der Minderheitenrechte“, schreibt Bax. Wenn man das mit jenem Abendland vergleiche, dem noch nationalkonservative Christdemokraten der 1950er Jahre anhingen, sei es „schlicht nicht wiederzuerkennen“, spottet Bax. Damals waren Antikommunismus, das Ja zu Todesstrafe und Stände-Verfassung, womöglich zur Monarchie, abendländisch, Sympathien für Portugals und Spaniens katholische Diktatoren eingeschlossen. Für den Dichter Novalis war es 150 Jahre zuvor ein verklärtes Mittelalter. Aufklärung und Rechtsstaat war das Abendland für ihn sicher nicht.

Das Bündnis gegen den Islam reicht von Pegida bis Alice Schwarzer

Begonnen hat Bax, Journalist der „tageszeitung“, sein Buch vor dem ganz großen Flüchtlingsstrom aus Syrien. Jetzt, da die Schlagzeilen nicht mehr von „Refugees welcome“-Schildern beherrscht werden, sondern von Abwehrpanikreaktionen im Bundestag, da ein einst nüchterner Bundesinnenminister öffentlich und praktisch täglich weitere Teile seines Nervenkostüms verliert und für den jüngsten Vorschlag, Familienmitglieder von Flüchtlingen nicht mehr ins Land zu lassen, von der Kanzlerin zurückgepfiffen werden musste: Jetzt liest sich das erst recht wie ein kleines Handbuch zur politischen Bildung darüber, wohin Deutschland und Europa geraten, wenn sie sich von den Abendlandsrettern treiben lassen. Auch eine runderneuerte Rechte, argumentiert Bax, ist keine geläuterte. Zumal die neuen Bekenntnisse gegen Judenhass und Homophobie, für Aufklärung und Frauenrechte als Stoppzeichen gegen Muslime gedacht sind – und dafür, die politische Mitte mitzunehmen. Wenn es um den Islam geht, reichen Bündnisse von Alice Schwarzer bis Lutz Bachmann und können aus einem Vorrat an Feindschaft schöpfen, der so alt ist wie der Islam selbst. Der evangelische Theologe Thomas Naumann spricht von einer „in der Religonsgeschichte vermutlich beispiellosen Gräuelpropaganda“.

Bax’ schönes Aufklärungswerk wird keinen Pegidisten überzeugen. Aber vielleicht denen helfen, denen angesichts der Medienpräsenz aktueller Überwältigungsfantasien und -inszenierungen mehr und mehr die Worte fehlen.

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