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PEKING: Mitten im Waldbrand

Einen derartigen Dialog beim Mittagessen gibt es wahrscheinlich nur in Peking. „Hast du gesehen, vergangene Woche lag der Luftqualitätswert bei drei“, sagt ein in der chinesischen Hauptstadt lebender Engländer.

Einen derartigen Dialog beim Mittagessen gibt es wahrscheinlich nur in Peking. „Hast du gesehen, vergangene Woche lag der Luftqualitätswert bei drei“, sagt ein in der chinesischen Hauptstadt lebender Engländer. „Wirklich, bei drei? Das habe ich noch nie erlebt“, antwortet ein Deutscher, der seit rund 20 Jahren in China arbeitet. „Doch, ich hab’s auch gesehen“, sagt ein weiterer Ausländer, „ich habe sofort meine Frau angerufen und es ihr erzählt.“

Es wird in Peking als Sensation gewertet, wenn die Atemluft Werte aufweist, die in Europa an der Tagesordnung sind. Normalerweise ist in Peking das Gegenteil der Fall, die 19-Millionen-Einwohner-Stadt zählt laut Weltbank zu den Städten mit der größten Luftverschmutzung. Fünf Millionen Autos auf den Straßen, Kohlekraftwerke in der Umgebung und die Kessellage Pekings tragen zu diesem Problem bei.

Wie schlimm es um die Luft steht, können die Pekinger seit vier Jahren jederzeit im Kurznachrichtendienst Twitter (http://bjair.info/) nachlesen, in dem die aktuelle Feinpartikelmessung der lokalen US-Botschaft veröffentlicht wird. Dort werden regelmäßig Werte über 200 erreicht, was nach Maßstäben der Weltgesundheitsorganisation als „sehr gefährlich für die gesamte Bevölkerung“ gilt. Die feinen Partikel können tiefer in Lunge und Blutgefäße eindringen und Lungen- und Herzkrankheiten auslösen oder verstärken.

Manch Pekinger ignoriert die Gefahren. Der Arzt Saint Cyr hat berechnet, dass jemand, der dauerhaft in Peking lebt, eine höhere Wahrscheinlichkeit für Lungenkrebs von 49 Prozent und eine höhere Wahrscheinlichkeit für einen von einer Herzkrankheit verursachten Tod von 32 Prozent besitzt, als jemand, der an einem Ort ohne Luftverschmutzung lebt. Für London liegen diese höhere Wahrscheinlichkeiten nur bei 11 und 19 Prozent.

Wer das Geld hat, versucht, seine Atemluft zu verbessern. Vor allem Eltern kleiner Kinder oder umweltbewusste Kindergärten stellen in ihren Räumen Luftreiniger für fast 1000 Euro pro Stück auf. Diese können Feinpartikel zum größten Teil herausfiltern. Auch mit Atemmasken versuchen vor allem Ausländer die Feinstaubpartikel aus ihren Lungen herauszuhalten. Viele Pekinger hingegen haben sich an die schlechte Luft gewöhnt. Allerdings ist auch ihr Problembewusstsein seit einer dramatischen Luftverschmutzungsperiode im vergangenen Herbst gestiegen. Nach großem öffentlichen Druck misst nun auch die Pekinger Umweltbehörde die kleinsten Feinstaubpartikel.

Am 9. Oktober 2011 hatte die Luft alle bisherigen Negativrekorde übertroffen. Der Pekinger Flughafen strich hunderte Flüge, der Feinstaubwert sprengte alle Skalen und stieg auf über 500. „Crazy bad“ nannte das der Twitterdienst der US-Botschaft. Ein Experte erklärte, so einen Wert könne man sonst nur erreichen, wenn man bei einem großflächigen Waldbrand mitten im Rauch messen würde. Benedikt Voigt

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