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Lord Peter Mandelson, britischer Wirtschaftsminister.

© AFP

Peter Mandelson: "Die Tories sind Klimazweifler, Antieuropäer, gegen Schwulenrechte"

Vor zwei Jahren kehrte der damalige EU-Kommissar Peter Mandelson zurück nach Großbritannien, um als Minister die Wirtschaft, New Labour und Gordon Brown zu retten. Was davon ist gelungen? Ein Interview.

Lord Mandelson, Labour steht in den Umfragen an dritter Stelle hinter den Tories und den Liberaldemokraten. Wie will die Labour Partei die Unterhauswahl noch gewinnen?

Indem wir den Leuten erklären, worum es wirklich geht. Die Leute wollen den Wechsel, das ist nach 13 Jahren verständlich. Sie haben sich die Konservativen angesehen und sind zurückgeschreckt. Cameron hat versucht, die Konservativen zu verändern. Aber in Wahrheit sind es die alten Tories, die einen kleinen Staat und eine schlanke Regierung wollen. Ihr Konzept der "Big Society" ist eine Fassade. Aber das haben die Leute durchschaut. Die TV-Debatten haben nun der dritten Partei, den Liberaldemokraten die Chance gegeben, ein alternatives Angebot für den Wechsel zu machen. Sie haben gute Werte, sie glauben an Fairness, aber ihre Politik ist völlig unpraktikabel, oder gefährlich, oder unbezahlbar oder alles zusammen. Wenn es um die richtige Politik und die richtigen Werte geht, gibt es nur eine Wahl. Wir müssen unseren Gürtel enger schnallen und unsere Ziele in einem ganz anderen Wirtschaftsklima verwirklichen als in den letzten zehn Jahren. Dafür haben nur wir die wirtschaftliche Härte, aber auch die Werte und die Fairness dafür.

Die TV Debatten haben vor allem gezeigt, dass die Stimme Labours und Gordon Browns nicht mehr gehört wird.

Es ist schwer für uns, weil wir eine homogene, nationale Medienlandschaft haben, von der 75 Prozent, gemessen an der Auflage, gegen Labour sind - auch alle Zeitungen von Rupert Murdoch. Alle rufen auf, Tories zu wählen.

Labour wurde lange von diesen Zeitungen unterstützt, etwa der "Times". Vielleicht hatten sie gute Gründe, ihre Meinung zu ändern.

Genau. Es ist in ihrem kommerziellen Interesse. Die Medienpolitik der Tories entspricht dem, was Murdoch will. Sie würden den Medienregulator Ofcom zerschlagen, die Geldmittel der BBC beschneiden, Pay TV und Spitzensport in den Händen von Sky belassen. Ich beschwere mich nicht, dazu bin ich zu alt, ich mache nur eine Beobachtung.

Die Zeitungen kritisieren, dass unter Labour etwas schief ging. Dass der Staat zu groß und zu teuer und die Schulden zu hoch wurden. Auch der "Economist" empfiehlt, die Tories zu wählen.

Zu teuer und zu hoch für ihren Geschmack. Wir haben nicht bewusst beschlossen, die Staatsausgaben wachsen zu lassen und die öffentlichen Dienste in staatlicher Hand zu konzentrieren. Wir haben eine massive Krise hinter uns, die den Privatsektor hart getroffen hat. Wir mussten enorme Beträge leihen, um die Wirtschaft, die Arbeitslosen, die Hausbesitzer zu unterstützen.

Aber das Defizit war schon 2007 enorm angewachsen

Das sind Tory-Argumente. Wir gingen mit einer der niedrigsten Staatsverschuldungen der Industrieländer in die Krise. Ich kenne den Chefredakteur des "Economist" gut. Er sagt, Labour war gut für die Krise, aber die Tories sind verlässlicher, wenn es darum geht, den Staat zurückzufahren. Kürzen, kürzen, kürzen? Wir dagegen sagen, es ist zu früh dafür, weil die Erholung zu schwach ist, und zweitens sind die Menschen auf öffentliche Leistungen angewiesen. Wir glauben, dass Familien und Kinder beschützt werden müssen.

Aber das Geld ist nicht mehr da.

Wir müssen die Wirtschaft wieder aufbauen und für einen globalen Wettbewerb fit machen, der Jahr für Jahr unerbittlicher wird. Da muss der Staat ein bisschen mehr planen, er muss strategischer werden, cleverer, um neue Technologien, Märkte, Sektoren zu schützen und zu fördern, in denen wir unsere Chancen und unser Wachstum sehen. Tories halten eine solche Staatsrolle für falsch und zu teuer.

Alles deutet darauf hin, dass Labour allenfalls mit Hilfe der Liberaldemokraten regieren könnte. Deren Chef, Nick Clegg, sagt, er würde Labour unterstützen, aber nicht Gordon Brown. Wie könnte das gehen?

Diese Brücke werden wir überqueren, wenn es so weit ist. Aber es wäre doch seltsam, wenn eine kleinere Partei zur Mehrheitspartei sagen würde, ihr müsst euren Chef wechseln. Das würden die meisten Leute für sehr arrogant halten. Soll das Land dann zwei Monate ohne Regierung warten, bis Labour einen neuen Chef gewählt hat? Sehen Sie, die Menschen wollen eine neue Politik. Die Leute haben kein Vertrauen mehr in Politiker. Der Schock des Spesenskandals im Parlament war enorm. Sie wissen aber auch, dass wir eine offene Wirtschaft brauchen, um im globalen Kontext mitzuhalten. Und sie wollen, dass dies in einem sozialdemokratischen Kontext geschieht.

Deshalb sind die Liberaldemokraten doch populär, weil die Leute wissen, dass sie eine Koalition oder ein ähnliches Arrangement erzwingen müssen, um eine solche neue Politik zu haben und das Wahlrecht zu ändern.

Genau. Aber sie wissen auch, dass der einzige Weg dahin eine von Labour geführte Regierung ist. Allein werden sie nie stark genug sein. Mit den Tories wird es nie eine wirkliche Reform des Wahlrechts und des Systems geben. Das müssen die Liberaldemokraten sich überlegen.

Im letzten Juni haben Sie Brown noch einmal vor einem Putsch geschützt, um New Labour zu retten. Die Mission ist wohl gescheitert?

Ich denke die Mehrheit in diesem Land will den Cameron-Toryism nicht. Die Mehrheit will ein progressives Land, das links der Mitte steht. New Labour wurde aus einer politischen Philosophie heraus gegründet, die Wirtschaftsliberalismus und Sozialdemokratie, Wirtschaftseffizienz und soziale Gerechtigkeit verbindet und das ist nach wie vor der Schwerpunkt unserer Gesellschaft und der Labourpartei. Die Konservativen haben sich diese Kleider angezogen und paradieren als "moderne Konservative" - aber natürlich haben sie ihre Politik nicht geändert. Sie sind Klimazweifler, Antieuropäer, sie sind gegen Schwulenrechte. Tories verstehen das 21. Jahrhundert nicht. Man hat das in der Finanzkrise gesehen. Sie argumentierten, man müsse die Märkte sich selbst überlassen, ohne dass der Staat in die natürliche Ordnung der Dinge eingreift. Aber die natürliche Ordnung der Dinge war eine Serie von Marktversagen.

Das Interview führte Matthias Thibaut.

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