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Peter Müller (CDU)

© Thilo Rückeis

Peter Müller: "Der Wutbürger springt zu kurz"

"Politiker sollten den Leuten sagen: Wir können nicht alle eure Probleme lösen". Der scheidende Saar-Ministerpräsident Peter Müller sprach mit dem Tagesspiegel über die Atemlosigkeit der Politik – und wie sie besser werden könnte.

Von Robert Birnbaum

Herr Müller, sind Sie der Politik müde?

Nein! Aber: Alles hat seine Zeit. Ich bin zwölf Jahre Ministerpräsident, bin über 20 Jahre Mitglied des saarländischen Landtages. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, noch einmal eine neue Herausforderung zu suchen.

Früher blieben Ministerpräsidenten im Amt, bis Rente oder Wähler sie vertrieben.

Ich finde das nicht anstrebenswert. Irgendwann droht für jeden das Erstarren in Routine. Dazu kommt: Die Zeiten sind schnelllebiger geworden. Die Halbwertszeiten sind auch in der Politik dramatisch zurückgegangen. Nichts ist beständiger als der Wandel – das gilt auch für Ministerpräsidenten.

Sie sind jetzt einer der letzten des legendären „Andenpakts“, der aus der Politik aussteigt. Was hat diese Generation bewirkt?

In diesen Andenpakt ist unheimlich viel hineingeheimnist worden. Das war nie richtig. Es sind da Freunde zusammengekommen, die auf der Basis einer gemeinsamen politischen Sozialisation und gemeinsamer Überzeugungen versucht haben, über Politik nachzudenken. Da gab es bei allen Unterschieden immer ein gemeinsames Wollen. Wir haben dabei die Breite des inhaltlichen Spektrums der CDU glaubwürdig abgebildet – sowohl die wirtschaftsliberalen Werte als auch die konservativen als auch die christlich- sozialen, letzteres vielleicht mit meiner Person verbunden. Wir haben die Politik der CDU entscheidend mitgeprägt, jeder an seinem Platz.

Nur Kanzler wurde keiner.

Ich hatte nie den Eindruck, dass einer von uns seinen Lebensinhalt darin gesehen hat, Kanzler der Bundesrepublik Deutschland zu werden.

Och, da fielen mir schon welche ein…

Der Andenpakt war sicher kein Bündnis zur Erringung der Kanzlerschaft.

… zumal der eine sie dem anderen ja vielleicht auch nicht gegönnt hätte?

Das glaube ich nicht.

Was hat sich in der Politik verändert?

Politik ist hektischer geworden, komplexer, auch pragmatischer. Es gibt kaum noch die Möglichkeit, in Ruhe und Gelassenheit komplizierte Sachverhalte zu erörtern. Der politische Betrieb ist durch Atemlosigkeit gekennzeichnet. Ich fürchte, dass ihm das nicht gut tut.

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Kann sich Politik dagegen wehren?

Nach meinem Eindruck: nein. In den Medien führt die schärfere Konkurrenz zur Jagd nach der schnellen Schlagzeile. Das Spektakuläre verdrängt das Sachliche. Dem kann sich die Politik gar nicht entziehen. Politische Entscheidungsträger sind Treiber und Getriebene zugleich.

Aber die Parlamente könnten sich die Zeit doch einfach nehmen!

Das würde einen Konsens in der Kaste der Politiker voraussetzen. Davon sind wir weit entfernt.

… weil lieber jeder seinen Vorteil sucht?

Es gibt keine Kaste, die so schlecht übereinander redet, wie es die Politiker tun. Wir erzählen ständig, dass der andere keine Ahnung habe, nur Übles im Schilde führe und ausschließlich aus niederen Motiven handle – und wundern uns, wenn die Menschen anfangen, das dann auch zu glauben. Dazu kommt eine Wechselwirkung zwischen Politik und Mediendarstellung. Wer im Bundestag eine kluge Rede hält, findet sich in keiner Zeitung wieder. Wer den Sitzungspräsidenten „mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch“ schimpft, hat die Schlagzeile für sich.

... neben dem, der Versprechungen macht?

Politiker sollten endlich den Leuten sagen: Erstens, wir können nicht alle eure Probleme lösen. Wir haben euch da in der Vergangenheit oft zu viel versprochen. Und zweitens, wir sind viel besser, als wir übereinander reden.

Ihr drittes Stichwort war „pragmatischer“.

Die ideologischen Schlachten der Vergangenheit sind erledigt, der Grundkonsens in der Gesellschaft ist gewachsen. Das ist positiv. Es führt aber dazu, dass die Ecken und die Kanten undeutlicher werden. Wir debattieren heute viel stärker über pragmatische Unterschiede und weniger über grundsätzliche.

Das ist doch ganz erfreulich, oder?

Einerseits: ja. Andererseits: nein. Mir scheint da ein Teil der Erklärung für die schwindende Akzeptanz von Politik zu liegen. Der Bundestag hat vorige Woche eine Debatte über die Präimplantationsdiagnostik geführt, bei der ohne Fraktionszwang über alle Parteigrenzen hinweg intensiv ethisch diskutiert wurde. Es muss uns doch nachdenklich stimmen, dass das von allen als Sternstunde des Parlaments empfunden wird, aber diese Sternstunden nur ganz selten stattfinden.

Sie haben das Grundsätzliche oft eingefordert: mehr „CDU pur“. Bis heute weiß nur keiner, was das sein soll.

Ich glaube auch, dass man darüber streiten kann. Aber das muss man eben tun. Der Streit findet zu selten statt und wenn, dann oft auf der falschen Ebene. Die Frage kann nicht lauten: Bin ich für oder gegen die Hauptschule? Die Frage muss lauten: Wie kann ich bei rückläufigen Schülerzahlen weiter jedes Kind nach seiner Begabung optimal fördern? Wenn man so diskutiert, werden auch die Unterschiede zu den anderen Parteien wieder deutlicher. Christdemokraten argumentieren vom Einzelnen und seiner Eigenverantwortung, Sozialdemokraten eher von staatlicher Verantwortung aus. Der intensivere Streit über solche Grundfragen könnte die Bindungskraft von Politik am Ende erhöhen.

Oder umgekehrt: Jetzt streiten die wieder!

Also, wir müssen doch endlich mal weg von dieser dummen Vorstellung, dass Diskussion in der Sache ein Zeichen für eine Partei in schlechtem Zustand sei! Niemand gesteht einer Partei zu, mit Ausnahme der Grünen, dass sie um den richtigen Weg ringt. Dann heißt es gleich: Partei zerstritten, Koalition am Ende, Kanzlerin muss zurücktreten. Das ist doch alles Unsinn.

Aber die Parteien und Fraktionen sind die ersten, die Disziplin verlangen!

Wir sind da in der CDU sicher stark geprägt durch demoskopische Befunde, die sagen: Nichts schadet der Union mehr als der Eindruck der Zerstrittenheit. Ob das stimmt oder nicht, mag ich nicht beurteilen. Nur – ganz am Ende führt der Verzicht auf inhaltliche Diskussionen zu Stillstand. Geschlossenes Auftreten in der Öffentlichkeit ist wichtig. Das ernsthafte Ringen um den richtigen Weg aber auch.

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Und wie verträgt sich dieser Ruf nach Streit mit dem Ruf nach Führung?

Führen heißt Richtung vorgeben. Das ist unverzichtbar. Es wird immer welche geben, die das falsch finden. Das muss man dann aushalten. Führen heißt natürlich auch überzeugen. Es macht keinen Sinn, der Prozession mit der Fahne vorauszugehen, und hinten folgt keiner nach.

Was hat Sie an der CDU geärgert?

Schwierige Frage. Die CDU war früher eine Honoratiorenpartei mit verkrusteten Strukturen, dagegen sind wir in der Jungen Union Sturm gelaufen. Aber das hat sich erledigt. Danach ... wir haben uns immer mal an inhaltlichen Fragen gerieben. Aber da war nichts dabei, was ich der CDU nachtrage. Ich bin schon in der richtigen Partei!

Was hat Sie an der CDU gefreut?

Anders als es oft dargestellt wird, war die Bereitschaft in der CDU ausgeprägt, abweichende Positionen zu ertragen. Es gab in dieser Partei immer ein liberales Grundgefühl. Ich konnte und durfte Positionen, auch wenn sie nicht Mehrheitsmeinung der Partei waren, offensiv vertreten. Das hat mir immer gefallen. Natürlich musste man damit rechnen, dass nachgefragt wurde. Das ist auch in Ordnung so.

Angela Merkel hat auch öfter angerufen?

Aber sicher!

Wenn heute ein junger Peter Müller neu in die Politik wollte, was raten Sie ihm?

Zuerst soll er sich überlegen, ob er ein politisches Anliegen hat. Ein politisches Anliegen kann nicht sein, in den Bundestag zu kommen oder Bundeskanzler werden zu wollen. Wir sind in die Junge Union eingetreten, weil wir die Welt verändern wollten! Wir haben intensiv über Entwicklungspolitik diskutiert, über Nicaragua, Chile, Menschenrechte – das war mein Anliegen. Das zweite Thema war mit Heiner Geißler verbunden: die neue soziale Frage. Politik muss der Ort sein, wo man ein Anliegen verwirklicht, diese Gesellschaft zu verändern.

Gibt es diese Leidenschaft heute noch?

Ich glaube ja. Es ist schwieriger geworden. Wir leben in einer projektorientierten Zeit. Die Bereitschaft, sich länger mit etwas zu beschäftigen oder dauerhaft an eine Organisation zu binden, ist gesunken. Dazu kommt, dass die Orientierung am Gemeinwohl kaum noch eine Rolle spielt. Die Vertretung der eigenen Interessen ist legitim – aber, wenn keiner mehr ans Ganze denkt, dann wird das zum Problem.

Sie mögen den Wutbürger nicht?

Ich glaube, dass der Wutbürger zu kurz springt. Weil er nur sagt, was ihm nicht in den Kram passt. Das ist zu wenig. Ich halte auch nichts von dieser permanenten Tendenz zum Schlechtreden: Das Haar wird wichtiger genommen als die Suppe. Ich bin da altmodisch. Ich finde die Suppe wichtiger als das Haar.

Das Gespräch führte Robert Birnbaum. Das Foto machte Thilo Rückeis.

Zur Person:

Einser-Jurist

Peter Müller kam auf ziemlich direktem Weg zur Politik. Vier Jahre hat er es nach dem Staatsexamen als Richter am Amts- und danach Landgericht ausgehalten, dann ließ er sich beurlauben und 1990 in den Landtag wählen.

Vordere Reihe

Das Saarland stellt keine Hausmacht dar, der frühe Ruf als „Junger Wilder“ ist in der CDU nicht durchweg förderlich, als Kanzler in spe wurde Müller nie gehandelt, ein Anlauf als Minister in Berlin scheiterte am Wähler, der die große Koalition erzwang. Trotzdem hat er stets vorne mitgespielt. „Deutschland ist ein Einwanderungsland“, wollte die CDU lange nicht hören. „Jamaika ist durchaus möglich“, wollte sie lange nicht glauben. Und doch liegt die Karibik heute an der Saar.

Erster Jurist?

Peter Müller nach seiner Zukunft zu fragen, ist so sinnlos wie unfair. Jeder weiß, er würde gerne Bundesverfassungsrichter. Aber jeder weiß auch: Wenn er das jemals laut aussprechen würde, wird er’s garantiert nicht.

Das Interview führte Robert Birnbaum.

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