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© Mike Wolff

Peter Struck: ''Wir müssen weniger Energie verbrauchen''

SPD-Fraktionschef Peter Struck sprach mit dem Tagesspiegel über die Mineralölsteuer, Atomkraft und deutsche Kampftruppen in Afghanistan.

Herr Struck, fühlt sich die SPD noch zuständig für die kleinen Leute?

Natürlich.

Gut. Dann lassen Sie uns über den drastischen Anstieg der Energiepreise sprechen, der die Bezieher unterer Einkommen besonders trifft. Kann die SPD da helfen oder muss sie passen?

Es ist völlig klar, dass wir die Ölpreisentwicklung langfristig nicht durch Steuersenkungen oder direkte Leistungen an die Bürger kompensieren können. Denn es kann sein, dass der Ölpreis im nächsten halben Jahr noch weiter steigt und wir dieser Entwicklung hinterherlaufen müssten.

Das heißt: Die kleinen Leute müssen selber sehen, wie sie klar kommen?

Das heißt, dass wir andere Wege gehen müssen als die althergebrachten. Sie zu finden, ist Aufgabe der Arbeitsgruppe zu den Energiekosten, die ich leite. Es geht darum, weniger Energie zu verbrauchen und die Abhängigkeit von Öl und Gas durch die Nutzung regenerativer Energien zu reduzieren. Es geht auch darum, die Menschen aufzufordern, sich energiebewusster zu verhalten als bisher.

Aufrufe zum Energiesparen – ist das alles, was die Bürger von der SPD erwarten können?

Nein. Die Politik kann die Rahmenbedingungen für geringeren Energieverbrauch schaffen. Wir prüfen zum Beispiel, ob Mieter das Recht haben, die Miete zu kürzen, wenn der Vermieter nicht die gebotenen Energiesparmaßnahmen ergreift. Und wir prüfen, ob wir die Förderprogramme zur Energieeinsparung ausweiten können. Außerdem geht es darum zu klären, ob niedrige Grundtarife für den Basis-Energiebedarf von Normalhaushalten möglich sind.

Damit hat die SPD noch nichts für die getan, die mit dem Auto zur Arbeit fahren müssen. Wie erklären Sie den Pendlern das Nein der Partei-Spitze zur Wiedereinführung der alten Pendlerpauschale?

Es macht keinen Sinn, zum alten System zurückzukehren, bevor das Verfassungsgericht entschieden hat. Da bin ich einer Meinung mit der Bundeskanzlerin. Nur die CSU will bereits jetzt Wahlgeschenke verteilen.

Etliche SPD-Landesverbände und auch Bundesumweltminister Sigmar Gabriel wollen die Pendlerpauschale ebenfalls wieder ab dem ersten Kilometer zahlen.

Wir haben eine klare Vereinbarung in der Koalition, das für Herbst erwartete Urteil des Verfassungsgerichts abzuwarten. Die gilt.

Warum entlasten Sie die Autofahrer nicht durch eine Senkung der Mineralöl- oder der Ökosteuer?

Das machen wir ganz sicher nicht, das schließe ich aus. Denn das würde höchstens für kurze Zeit dazu führen, dass der Spritpreis sinkt. Dann würden die Mineralölkonzerne die Preise wieder erhöhen und die Gewinne mit einstreichen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel fordert angesichts der steigenden Energiekosten, die Restlaufzeiten der Atomkraftwerke zu verlängern. Müssen Sie nicht befürchten, dass die Forderung auch bei SPD-Wählern ankommt?

Das ist doch unverantwortlich, so lange die Frage nach der Entsorgung hochradioaktiven Abfalls nicht gelöst ist. Im Übrigen steht in der Koalitionsvereinbarung, dass wir am Atomausstieg festhalten. Daran muss sich auch Frau Merkel halten. Sollte sie vorhaben, die Atomkraft zum Wahlkampfthema zu machen, dann sage ich: Nur zu. Die Menschen wissen um ihre Verantwortung für ihre Kinder und Enkelkinder.

Neben der Schutzmacht der kleinen Leute wollte die SPD immer auch die Partei des sozialen Aufstiegs sein. Voraussetzung dafür – alle wissen es, alle reden ständig darüber – ist heutzutage Bildung. Dennoch hat nicht die SPD die Bildungsrepublik Deutschland ausgerufen, sondern die Kanzlerin. Was ist da falsch gelaufen?

Orientieren wir uns an den Tatsachen: Es waren vor allem die CDU-geführten Länder und die Unionsfraktion, die bei der Föderalismusreform 1 gegen unseren Widerstand durchgedrückt haben, dass die Bildung in der Zuständigkeit der Länder bleibt und der Bund nur geringen Einfluss nehmen kann. Frau Merkel kann vieles ankündigen. So lange die Länder nicht zustimmen, ist das alles nichts wert. Wenn es der Kanzlerin ernst ist, dann sollte sie versuchen, das Bildungshemmnis Nummer eins in Deutschland zu beseitigen, nämlich den falsch verstandenen Föderalismus.

Was kann der Bund trotz eingeschränkter Kompetenzen für mehr Bildung tun?

Jeder muss das Recht erhalten, einen Haupt- oder Realschulabschluss nachzumachen. Berufsabschlüsse wie der Meister müssen bundesweit zum Universitätsbesuch berechtigen. Und wir brauchen einen zweiten Hochschulpakt zwischen Bund und Ländern, um die Ausbildung der Studenten zu verbessern. Wir müssen in die Lehre investieren. So lange die Union das alles ablehnt, ist mit Frau Merkels Bildungsrepublik kein Staat zu machen.

Herr Struck, Deutschland hat in dieser Woche kämpfende Truppen nach Afghanistan geschickt. Das ist eine Zäsur für unser Land. Warum sagt die Politik das nicht deutlich?

Zunächst einmal: Die Truppen, die bisher dort waren, sind kein Technisches Hilfswerk in Uniform. Sie haben auch den Auftrag gehabt, zu kämpfen. Sie mussten Taliban-Verstecke aufdecken und andere gefährliche Einsätze bewältigen. Das war keine harmlose Truppe. Was man jetzt klar sagen muss: Mit der beabsichtigten Aufstockung auf 4 500 Soldaten und mit der Übernahme der Quick Reaction Force von den Norwegern erweitern wir unser Engagement. Außerdem gilt: Wir brauchen mehr Anstrengungen im zivilen Bereich, vor allem bei der Polizei-Ausbildung.

Der Rückhalt für den Afghanistan-Einsatz in der Bevölkerung schwindet. Sie haben das Wort von der Verteidigung der deutschen Sicherheit am Hindukusch geprägt. Würden Sie das heute noch einmal genauso sagen?

Ja. Man muss nur die Alternativen sehen. Wenn die Deutschen gehen würden, gingen alle anderen auch. Dann würde das Land wieder in die Hände der Taliban fallen. Wir müssen uns doch nur erinnern: In den Taliban-Zeiten gab es über 120 Ausbildungslager für Al Quaida-Kämpfer, die Anschläge in der ganzen Welt vorbereitet und durchgeführt haben. Wir sind im Eigeninteresse verpflichtet, dort zu bleiben. Das Land muss möglichst schnell eine eigene wirkungsvolle Armee und Polizei aufbauen, damit dort ein Staatswesen entstehen kann. Armee, Polizei und Justiz müssen funktionieren, das ist noch nicht erreicht. Ich sage: Wir müssen drin bleiben. Wir müssen in bestimmten Bereichen, nicht unbedingt den militärischen, mehr tun. Es wird noch lange dauern, bis wir das Land verlassen können. In zehn Jahren werden wir wissen, wo wir stehen.

Es gibt aus der CDU den Vorschlag, nach kanadischem Vorbild eine Kommission zu schaffen, um die Deutschen von der Notwendigkeit des Einsatzes zu überzeugen.

Das halte ich für falsch. Das ist Aufgabe der Bundesregierung, an der Spitze die Aufgabe der Bundeskanzlerin. Wir Abgeordneten müssen davon überzeugen, warum wir dort sind. Und ich mache die Erfahrung: Die Leute glauben mir, wenn ich es ihnen erkläre.

Im Herbst entscheidet der Bundestag über die deutsche Beteiligung an der Anti-Terror-Operation „Enduring Freedom“ und an der Internationalen Schutztruppe Isaf. Für viele SPD-Abgeordnete ist das auch deshalb eine schwere Entscheidung, weil sie fürchten müssen, von der Basis nicht wieder für den nächsten Bundestag aufgestellt zu werden, wenn sie zustimmen.

Die Abgeordneten müssen zu dem stehen, was richtig ist. Niemand darf sich herausschleichen nach dem Motto: Eigentlich bin ich ja dagegen, aber Peter Struck hat mich gezwungen. Bei dieser Frage zwinge ich niemanden. Jeder Abgeordnete muss zu seiner Verantwortung stehen. Ich erwarte, dass die Abgeordneten die deutsche Afghanistanpolitik erklären und unterstützen.

Sie sagen, dass Sie von Abgeordneten erwarten, zu einer Sache zu stehen. Eine schon beschlossene Diätenerhöhung musste aber abgeblasen werden, weil viele Abgeordnete dem Druck der Basis nicht standhalten wollten oder konnten.

Ein unerfreulicher Vorgang. Erst eine klare Fraktionsentscheidung für die Anhebung. Dann kommt Druck aus den Wahlkreisen und der Partei. Ich musste die Notbremse ziehen.

Umweltminister Sigmar Gabriel, dem ja höchste Ämter in der SPD zugetraut werden, hat diesen Schwenk befördert.

Dazu habe ich das Nötige gesagt.

Der Vorgang hat Ihre Rolle in der großen Koalition berührt. Sie bilden mit Ihrem Amtskollegen von der Union, Volker Kauder, ein Scharnier. Bei den Diäten, aber auch bei der Nominierung der SPD-Präsidentschaftskandidatin Gesine Schwan, haben Sie seine Erwartung auf verlässliche Zusagen enttäuscht. Ein persönlicher Autoritätsverlust?

Nein. Volker Kauder kennt meine Positionen zu beiden Fragen. Natürlich weiß ich, dass einige in der Unionsfraktion fragen: Wie verlässlich ist die SPD? Wir werden dieses Misstrauen abbauen. Ich hatte in beiden Fragen eine andere Vorstellung, aber auch die Union hat zum Beispiel beim Präventionsgesetz im Gesundheitswesen ihre Zusage nicht eingehalten. Gegenseitiges Aufrechnen macht keinen Sinn.

Die letzten Monate in der SPD-Fraktion waren geprägt von Unruhe und Nervosität. Wie sind die Abgeordneten in die Sommerpause gegangen, in der viele für eine erneute Nominierung kämpfen müssen?

Kurt Beck hat mit seiner letzten Rede vor der Fraktion viel Motivation gegeben und große Zustimmung erfahren. Natürlich machen sich alle Gedanken wegen der Meinungsumfragen, aber unsere Werte werden auch wieder besser. Die Personalfragen werden so geklärt wie angekündigt. Niemand fordert, den Zeitplan zu ändern.

Viele Abgeordnete glauben, Beck habe die Kanzlerkandidatur schon an Außenminister Frank-Walter Steinmeier abgetreten. Sind sie deshalb beruhigt in die Ferien gefahren?

Wir reden über eine Wahl am 27. September 2009, im Juli 2008. Die Abgeordneten wissen: Es bleibt beim Zeitplan. Die K-Frage ist eine Angelegenheit, die zunächst Beck und Steinmeier klären werden. Und wenn sie geklärt ist – zwischen Oktober und Dezember – dann werden wir mit unseren Inhalten auch in den Umfragen nach oben gehen.

Wenn die SPD im letzten Quartal des Jahres über den Kanzlerkandidaten entscheidet, muss sie dem Spitzenmann dann nicht ein Team an die Seite stellen?

Diese Frage wird der Kanzlerkandidat für sich klären müssen, aber natürlich würden unsere Minister zu dem Team gehören.

Auf dem Weg zur Nominierung des Kanzlerkandidaten gibt es noch einen interessanten Termin. Mitte September gibt es in Hessen einen Landesparteitag der SPD. Wie groß ist die Angst, dass Andrea Ypsilanti einen weiteren Anlauf für Rot-Rot- Grün wagt?

Das muss die hessische SPD entscheiden. Eine Jamaikakoalition von CDU, FDP und Grünen ist wegen des Verhaltens von Roland Koch unwahrscheinlich.

Würde Ypsilanti der SPD im Bund nicht schwer schaden?

Es macht doch keinen Sinn, jetzt darüber zu spekulieren.

Das Gespräch führten Tissy Bruns und Stephan Haselberger. Das Foto machte Mike Wolff.

Zur Person:

NIEDERSACHSE

Struck wurde am 24. Januar 1943 in Göttingen geboren, wo er später auch Rechtswissenschaften studierte. Derzeit lebt er in der Stadt Uelzen. Struck ist verheiratet und drei Kinder.

SOZIALDEMOKRAT

Struck ist seit 1964 Mitglied der SPD. 1980 zog der promovierte Jurist für seine Partei in den Bundestag ein. Zwischen 1990 und 1998 war er Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Seit 2005 hat er dieses Amt erneut inne.

BUNDESMINISTER

Von 2002 bis 2005 war Struck Bundesverteidigungsminister. Unter seiner Führung bekam die Bundeswehr neue verteidigungspolitische Richtlinien.

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