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Politik: Pflegen statt Spargelstechen?

Arbeitslose sollten sich lieber um Angehörige kümmern, empfiehlt der Pflegerat – Politiker sind skeptisch

Berlin - Immer weniger alte Menschen werden zu Hause gepflegt. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts sank ihre Zahl zwischen 2001 und 2003 um 1,4 Prozent – obwohl die Zahl der Pflegebedürftigen weiter gestiegen ist (siehe Grafik). Dieser Trend sei „nicht neu, und er wird so weitergehen“, prognostiziert die Präsidentin des Deutschen Pflegerats, Marie- Luise Müller. Weil viele nicht mehr bei ihren Eltern lebten oder beruflich keine Auszeit nehmen könnten, sei an eine Pflege zu Hause oft nicht mehr zu denken. Allerdings könne man dem entgegenzuwirken versuchen. Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit sollte die Politik „darüber nachdenken, ob man arbeitslose Familienangehörige nicht stärker in der Pflege der eigenen Angehörigen aktiv werden lässt“, sagte Müller dem Tagesspiegel. Dies sei nahe liegender, als sie „irgendwohin zum Spargelstechen zu schicken“. Und gesellschaftlich wäre die Verlagerung ein Gewinn, sie stärke Familienzusammenhalt, Eigenverantwortung und Flexibilität.

Bei Grünen und Union stößt der Vorstoß auf Skepsis. Grünen-Expertin Petra Selg nennt den Pflegeeinsatz von Arbeitslosen in der eigenen Familie zwar „wünschenswert“. Gesetzlich verpflichten könne man dazu aber niemanden. Schließlich komme es auf die Familienverhältnisse an, die Pflege von Menschen sei „heikel und hochsensibel“. Arbeitslose, die sich dafür interessierten, könnten sich jedoch qualifizieren, es gebe flächendeckend Angebote. Und über die Frage, „wie man das finanziell begleiten oder unterstützen könnte“, lohne es sich nachzudenken.

Auch Andreas Storm (CDU) empfindet einen Zwang zum Pflegen als „hochproblematisch“. Man müsse prüfen, ob Arbeitslose tatsächlich durch die Verpflichtung zu Ein- Euro-Jobs vom Pflegen eigener Angehöriger abgehalten würden, sagte er dem Tagesspiegel. Hüten solle man sich jedoch vor der These, dass der Rückzug von Angehörigen aus der Pflege ein Beleg für verfallende Familienstrukturen sei. Schließlich habe sich auch die Struktur der Pflegebedürftigen verändert.

Der Bedarf an professioneller Pflege habe zugenommen, räumt die Pflegerats- Präsidentin ein, oft seien Angehörige damit überfordert. So führe die neue Fallpauschalen-Abrechnung in Kliniken dazu, dass immer mehr Patienten nicht ausgeheilt nach Hause geschickt würden. Außerdem gebe es immer mehr Menschen, die besondere Pflegeintensität benötigten, etwa Demenzkranke. Deshalb werde die Politik auch „große Mühe haben, bei der Reformdiskussion das Thema Versorgungsqualität weiter außen vor zu lassen“, Bisher, so kritisiert Müller, liege „der Fokus nur auf der Finanzierung“. Mit Prophylaxe könne die Pflegebedürftigkeit oft auf einem Minimum gehalten werden, im Leistungskatalog sei solche Hilfe aber nicht vorgesehen. „Man guckt nach Defiziten, nicht nach Ressourcen.“

Dass häusliche Pflege gestärkt und vernetzte Versorgungsformen ausgebaut werden müssen, ist in der Pflegedebatte immerhin Konsens. Dass Demenzkranke einbezogen werden, fordern auch nicht mehr nur die Grünen. Und Gesundheitsministerin Ulla Schmidt macht Dampf: Bereits für den Sommer hat sie konkrete Vorschläge angekündigt. Wegen der Unionsmehrheit im Bundesrat bezweifelt sie aber, die Reform bis zur Bundestagswahl 2006 hinzubekommen. Mit dem Vorstoß von SPD-Chef Franz Müntefering, die Bürgerversicherung auf die Pflege auszudehnen, sind die Chancen weiter gesunken. Storm sieht darin eine Absage an alle Überlegungen, die Reform früher in Angriff zu nehmen. Die Union nämlich beharrt auf zwei Dingen, die sich mit dem Konzept der Bürgerversicherung nicht vertragen: „Elemente von Kapitaldeckung“ und „Abkopplung von den Arbeitskosten“.

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