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Pflegereform: Auf einer neuen Stufe

Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) will noch vor der Bundestagswahl eine Pflegereform vorbereiten. Vorschläge dafür bekam sie von einer Expertenkommission. Was soll sich ändern?

Sie hat sich viel vorgenommen: Eine neue Definition des Begriffs „pflegebedürftig“ ist Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) zufolge derzeit eine der wichtigsten Aufgaben und deshalb als Teil eines neuen Pflegegesetzes geplant. „Die neuen Definitionen von Bedürftigkeit werden den tatsächlichen Hilfebedarf jedes Einzelnen besser abbilden“, sagte Schmidt am Donnerstag. Demnach hätten künftig mehr Menschen einen Anspruch auf professionelle Hilfe.

Bislang rechnet die Pflegeversicherung mit einer rigiden Einteilung in drei Pflegestufen, jede mit einem in Minuten gemessenen Zuwendungsanspruch durch das Pflegepersonal. Bedürftigen der Pflegestufe I stehen 90 Minuten pro Tag zu, die Kasse zahlt dafür bis zu 1023 Euro pro Monat. Einem Betroffenen der Pflegestufe III stehen 300 Minuten täglich zu, 1432 Euro gibt es von der Versicherung. Menschen die weniger als 90 Minuten tägliche Hilfe brauchen, haben derzeit keinen Anspruch. Und auch geistig verwirrte Menschen, etwa Demenzkranke, werden kaum ausreichend berücksichtigt, denn sie benötigen oft rund um die Uhr Hilfe.

Die Hälfte der über 90-Jährigen ist demenzkrank

Der Pflegebeirat hat der Ministerin am Donnerstag Vorschläge für eine Reform unterbreitet: Die Experten plädieren für fünf „Bedarfsgrade“, die die Pflegestufen ersetzen. Nach dem von den Universitäten Bielefeld und Bremen entwickelten Verfahren soll der Grad der Selbstständigkeit mit einer 100-Punkte-Skala sehr differenziert festgestellt werden. Dabei werden Mobilität, Sprache, Selbst- und Fremdgefährdung genauso geprüft, wie die Fähigkeit zum Essen, zur Körperpflege und zur Medikamenteneinnahme. Schließlich wird auch der Umgang mit sozialen Kontakten untersucht. So werde man pflegebedürftigen Kindern und Demenzkranken gerecht, sagte Schmidt. Experten gehen davon aus, dass eine bessere Pflege häufig auch teurer wird. Rund die Hälfte der über 90-Jährigen ist von Demenz betroffen. Da das Durchschnittsalter steigt, könnten bis 2050 außerdem fast 2,5 Millionen Menschen daran leiden. Erwartet werden folglich erhebliche Mehrkosten, auch weil Menschen, die derzeit weniger als 90 Minuten Hilfe brauchen, künftig mit Unterstützung rechnen können.

Schon jetzt gelten 2,25 Millionen Menschen als pflegebedürftig, 709 000 davon werden in Pflegeheimen betreut. Für 2009 werden rund sechs Prozent mehr Bedürftige erwartet. Im Mai will der Beirat konkrete Kostenberechnungen vorgelegen. Die ersten Schätzungen sind vage. Sie reichen von 250 Millionen Euro bis zu vier Milliarden. Zur Finanzierung sagte Schmidt, sie wolle eine offene Diskussion – erinnerte aber daran, dass die SPD sich für eine Bürgerversicherung einsetzt, in die auch die privat Versicherten einzahlen müssten. So könnten die Beiträge trotz einer steigenden Zahl von Pflegefällen noch 15 Jahre stabil bleiben. Die Gesellschaft müsse sich fragen, wie viel sie für alte Menschen tun wolle, sagte Schmidt.

Kritisch äußerte sich der Fachautor Claus Fussek: Er glaube nicht an eine grundsätzliche Verbesserung der Pflege. Der Berufsverband für Pflegeberufe DBfK und die Linkspartei begrüßten zwar die Initiative Schmidts, forderten aber neben einer raschen Umsetzung, eine bessere personelle Ausstattung der Heime. Der Berliner Pflegeexperte der Gewerkschaft Verdi, Michael Musall, sagte: „Noch ist völlig unklar, wie der Bedarf an Personal bemessen werden soll.“ Die Personalausstattung wird derzeit nicht gesetzlich geregelt, sondern durch Verträge zwischen Heimen, Ländern und Pflegekassen festgelegt. Verdi fordert für zwei Bewohner der Pflegestufe I mindestens einen ganztags beschäftigten Pfleger. Derzeit betreut eine Vollzeitkraft vier Bewohner der Pflegestufe I. „Ulla Schmidt hat noch viel vor sich“, sagte Musall.

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