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Pflichtdienst: Soziales Jahr: Vom Recht zur Pflicht

Die CDU-Ministerpräsidenten Müller und Koch fordern ein soziales Zwangsjahr – verfassungsrechtlich ist das umstritten.

Von Michael Schmidt

Berlin - In der CDU mehren sich Forderungen nach Einführung eines neuen Pflichtdienstes für den Fall, dass die Wehrpflicht ausgesetzt wird. Saar-Ministerpräsident Peter Müller (CDU) sagte der „Rheinischen Post“, er frage sich, welche „Verantwortung des Bürgers für sein Gemeinwesen wir gesetzlich etablieren sollten“. Dabei sollte die Einführung eines sozialen Pflichtdienstes für Männer und Frauen ernsthaft überlegt werden. „Ist es nicht legitim, zu verlangen, dass sich junge Menschen auch für das Gemeinwesen für einen begrenzten Zeitraum zur Verfügung stellen?“, fragte der CDU-Politiker. Der scheidende hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) sagte der „FAZ“, die Gesellschaft werde „ärmer, wenn junge Menschen vor jeder Art von Herausforderungen, etwas für die Gesellschaft zu tun, verschont bleiben“. Die Forderungen stießen auf Kritik.

Sie verstießen gegen das Grundgesetz und die europäische Menschenrechtskonvention, erklärte der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Gernot Erler. Nach Artikel 12 des Grundgesetzes haben alle Deutschen „das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen“. Niemand darf „zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht“ – womit konkrete, fallbezogene Dienstleistungen im Bereich Katastrophenschutz, Feuerwehreinsätze oder Deichschutz gemeint sind. Schließlich heißt es, „Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig“.

Nun erlaubt die Europäische Menschenrechtskonvention Ausnahmen vom Verbot der Zwangsarbeit. Ein Gutachten des Bundestags für die damalige Familienministerin Renate Schmidt (SPD) aber kam 2004 zu dem Ergebnis, ein ökologisches oder soziales Jahr falle nicht unter diese Ausnahmen.

Der ehemalige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Winfried Hassemer, sagte dem Tagesspiegel, er sehe in einem Pflichtdienst für alle zwar „ein verfassungsrechtliches Problem – aber kein unüberwindbares“. Wenn er politisch gewollt sei, ließe er sich über eine einfache gesetzliche Regelung oder eine Verfassungsänderung einführen. Der Charme eines allgemeinen Pflichtdienstes liege darin, so Hassemer, dass er das Problem der doppelten Wehrungerechtigkeit anpacke – das Missverhältnis von Gezogenen (derzeit etwa 16 Prozent eines Jahrgangs) und Nichtgezogenen, und die Ungleichbehandlung von Männern und Frauen.

Der jugendpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Florian Bernschneider, machte deutlich, dass seine Fraktion für eine solche Verfassungsänderung nicht zur Verfügung stehe. Die Nachfrage nach Plätzen im Freiwilligen Sozialen oder Ökologischen Jahr strafe alle Lügen, die behaupten, es brauche einen Pflichtdienst, damit sich junge Menschen für ihr Gemeinwesen engagieren.

Als „dummes Geschwätz“ bezeichnete der jugendpolitische Sprecher der Grünen, Kai Gehring, die Forderungen Müllers und Kochs. Eine allgemeine Dienstpflicht sei verfassungswidrig, teuer und weltfremd. „Ein solch erheblicher Eingriff in die Freiheitsrechte Jugendlicher ist völlig inakzeptabel und absurd.“

Der Vorsitzende der Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen (KDV), Werner Glenewinkel, warf den beiden Ministerpräsidenten „Stammtischgerede auf allerunterstem Niveau“ vor. Die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht koste jedes Jahr rund zwölf Milliarden Euro. „Besser wäre es, wenn die Bundesländer endlich mehr Geld für die Freiwilligendienste zur Verfügung stellten.“

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