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Der neue FDP-Vorsitzende Philipp Rösler.

© dpa

Philipp Rösler: Das Wunderkind

Plötzlich ein neuer Ton. Keine Kampfansage, keine Hybris. Philipp Rösler setzt auf den geräuscharmen Liberalismus. Die FDP dankt es ihm mit Ovationen und Freudentränen. Fragt sich nur: Kann sich so viel Nettigkeit auch durchsetzen?

Von Antje Sirleschtov

Der Weg nach ganz oben beginnt manchmal sehr einfach – mit einem simplen Knopf. Ob er den Knopf überhaupt haben will, danach hatte Philipp Rösler niemand gefragt. Muss sein, sagten die strengen Männer von der Sicherheit. Widerstand zwecklos. Seither hängt der Knopf in Röslers Schlafzimmer in Bückeburg.

Es war der Herbst vor zwei Jahren. Rösler war gerade Vater geworden. Er war 36, hatte jetzt ein eigenes Heim, eine gemütliche kleine Familie und einen beinahe genauso gemütlichen Ministerjob in Niedersachsen. Da rief sein Parteichef an. Die FDP hatte die Bundestagswahl gerade grandios gewonnen, und der Chef sagte: Rösler, du wirst jetzt Bundesgesundheitsminister in Berlin, Widerstand zwecklos. Muss sein, hatte der Chef gesagt. Seither müssen Röslers zu Hause ständig auf der Hut sein, dass die Kinder nicht auf den Knopf drücken und dadurch Alarm auslösen. Man sieht, wie ungemütlich es manchmal werden kann für einen jungen Politiker, wenn es irgendwo heißt: muss sein.

Philipp Rösler, das weiß man spätestens an diesem Wochenende, ist ein Politiker, der solche Warnungen nicht besonders ernst nimmt. Es hat ihn schon wieder erwischt. Oder sollte man besser sagen: Er hat es schon wieder herausgefordert? Am Donnerstag jedenfalls stand das berühmteste vietnamesische Adoptivkind der Welt im Schloss Bellevue neben dem Bundespräsidenten. Der drückte ihm seine Ernennungsurkunde zum Bundeswirtschaftsminister in die Hand. Dicker Teppich, schwarze Limousinen, sehr viel Tamtam. Tags drauf hat ihn seine FDP gleich auch noch zum Parteivorsitzenden gewählt. Beinahe einstimmig. Wieder viel Glanz, Riesenapplaus, Medienauftrieb, Freudentränen. Philipp Rösler ist jetzt in der FDP ein Star. 38 Jahre, groß, schlank, smartes Lächeln, immer gut frisiert. Und dann erst diese Hände: kraftvoll und feingliedrig zugleich. Man möchte sie schütteln, von ihnen umarmt werden. Widerstand zwecklos. Es muss sein.

Zwei Jahre ist es erst her, dass dieser Philipp Rösler aus der Nähe von Hannover an die Spitze von Partei und Bundesregierung kam. Vizekanzler ist er jetzt sogar. Käme Barack Obama im nächsten Kanzlerinnenurlaub vorbei, Rösler würde an seiner Seite stehen. Ehrfurcht vor dieser Verantwortung, Angst? Sieht nicht danach aus. Rösler jedenfalls zuckt lässig mit den Achseln, setzt ein Lächeln auf: „Das kann nur gut gehen.“ Was ist das bloß für ein neuer FDP-Vorsitzender: Das neue Wunderkind der Nation? Oder schon wieder ein strahlender Komet am Politikerhimmel? Einer, wie man ihn gerade im Süddeutschen verglühen sah?

Der neue FDP-Vorsitzende, so viel kann man schon mal sagen, ist ein sehr genauer Beobachter. Er hat sich seine vom Unglück verfolgte und von Selbstzweifeln schwer gepeinigte Partei in den letzten Monaten intensiv angesehen. Und was er erkannte, das schien ihm ein Leiden der Seele zu sein. Die FDP wird von ihren Anhängern nicht mehr geliebt, sie wird von ihren Wählern nicht geliebt, sie liebt sich selbst nicht mehr. Zu viel hatte sie 2009 versprochen, zu wenig gehalten. Man schämt sich laut zu sagen, FDP-Wähler gewesen zu sein. Geschweige denn Mitglied.

Rösler hat seinen Parteifreunden daher erst einmal ein Wohlfühlprogramm verordnet. Keine harten Kampfansagen an Hartz-IV-Empfänger mehr, keine Hybris in Wort und Stil. Mit alldem hatte sein Vorgänger Guido Westerwelle bis zuletzt den tiefen Graben zwischen liberalem Anspruch und liberaler Wirklichkeit in der Öffentlichkeit erst recht deutlich gemacht.

Damit soll nun Schluss sein. Als Philipp Rösler am Samstagmittag das Parteitagspodium in der Messehalle in Rostock verließ, hatte er einen in seiner Partei ganz neuen Stil eingeführt: den geräuscharmen Liberalismus. Vom Gewicht der Heimat in Zeiten der Globalisierung hatte Rösler gesprochen, von bürgerlichen Tugenden, der liberalen Verantwortung für Arbeitnehmer. Und auch von Ruth, seiner Schwiegermutter, die „auch hier ist“. Genauso wie deren 93-jährige Großmutter, die sie pflegen muss. „Auch eine, um die wir uns kümmern müssen.“ Auf ernst zu nehmende harte Angriffe auf den politischen Gegner verzichtete Rösler, der manchmal so leise wie ein Dozent im Oberseminar sprach. Und auch nur sehr dosiert waren seine Drohungen an den Koalitionspartner. Dafür dieser eine – ganz und gar entlarvende – Philipp-Rösler-Satz: „Die Lebenswirklichkeit der Menschen in unserer Politik anzuerkennen, heißt die Probleme der Menschen in der Realität anzuerkennen.“

Der Mann will den Liberalismus wieder gesellschaftsfähig machen. Statt von Prosecco-Empfängen im Kreis der örtlichen IHK-Honoratioren träumt Rösler von Schulhofsommerfesten, auf denen Familienväter Würstchen grillen, Kinder blau-gelbe Luftballons steigen lassen und die örtliche FDP-Gruppe die Klassenräume frisch anstreicht. Eine FDP zum Mitmachen und Gernhaben soll sie sein, die Rösler-Partei.

Zu seinem liberalen Selbstfindungsprogramm gehörte natürlich, sich selbst als strahlendes Beispiel dieses neuen FDP-Typus zu präsentieren. Schon Wochen vor der Wahl öffnete er bereitwillig sein Familien- und Seelenleben. Seither weiß die Nation, woher der Katholik Rösler seinen Glauben nimmt, welche Musik er hört (neuerdings Herbert Grönemeyer), was seine Zwillinge zu Ostern machten (mit Papa und Mama zu nachtschlafender Zeit aufstehen und die Auferstehung des Herrn feiern) und wie sich der Familienvater nach 60 Wochenstunden im Ministeramt am Wochenende um Haus und Kinder kümmert. Wiebke, seine Frau, ist nämlich Ärztin, muss dann und wann zur Nachtschicht ins Krankenhaus.

Die herzliche Welt der heilen kleinen Familie Rösler hat dann an diesem Wochenende den Parteitag bestrahlt. Auf dass ab morgen niemand mehr an die selbst ernannte „Freiheitsstatue“ denken muss. Strahlend frisch saß Röslers Ehefrau im bunt gepunkteten Baumwollkleid neben ihrem Philipp, während die Zwillinge in artige Pullunder gekleidet nebenan im Kindergarten „Engelchen & Bengelchen“ spielten. Selbst die hartgesottensten Wettbewerbskämpfer im Rostocker Messesaal hat dieses Bild angerührt.

Doch kann man mit solchen Bildern Wahlen gewinnen? Das ist die entscheidende Frage für die FDP. Und Philipp Rösler weiß sehr genau, dass er nicht ewig Zeit bekommen wird, um darauf Antworten zu geben. Und zwar überzeugende. Nach den Sommerferien stehen die ersten Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern und in Berlin auf dem Kalender. Ein halbes Jahr später folgt im Frühjahr 2012 Schleswig-Holstein, wo die FDP mit der CDU regiert. Und dann ist es bis 2013, dem Jahr der nächsten Bundestagswahl, nicht mehr sehr weit. Schafft es die Partei bis dahin nicht, aus dem Umfragekeller von unter fünf Prozent an die parlamentarische Oberfläche zu kommen, wird Rösler Schwierigkeiten bekommen. „Unser Problem ist nicht der Spitzenkopf“, warnte ihn am Freitag schon mal ein Kritiker. Die Wähler würden vielmehr erwarten, dass die FDP endlich ihre Versprechen aus dem letzten Bundestagswahlkampf erfüllt. Oder zumindest zeigt, dass das Kreuzchen damals nicht ganz umsonst gewesen ist.

Spätestens im Winter wird Rösler Beweise dafür erbringen müssen, dass die FDP in der Regierung gebraucht wird. Und zwar im liberalen Sinn, bei der Senkung der Belastung der Bürger, einer glaubwürdigen und vor allem bezahlbaren Energiewende und natürlich auch in der Europapolitik. Liberale haben nämlich wenig Verständnis dafür, dass die Steuereinnahmen wachsen, das Geld klammen Nachbarn in Europa solidarisch überwiesen werden soll, während zu Hause ein Finanzminister vorgibt, keinen Heller für die Senkung von Steuern übrig zu haben.

All das wird unweigerlich zu Auseinandersetzungen mit Angela Merkels CDU und dem Bayern Horst Seehofer führen. Und vielleicht sogar zu Kämpfen mit dem eigenen Fraktionschef Rainer Brüderle. Um darin bestehen zu können, braucht es mehr als schöne Bilder vom netten jungen Hoffnungsträger. An diesen Schauplätzen der Politik sind Zähigkeit und vor allem die Kraft zum Durchsetzen der eigenen Interessen gefragt.

Um ein Haar hätte Rösler die Frage, ob in ihm mehr steckt, als ein mitfühlender liberaler Glanz-Rhetoriker, schon mit Nein beantwortet, bevor er überhaupt das Amt des Parteivorsitzenden übernommen hat. Das böse Bild vom „jungen Milden“ machte die Runde, als es ihm Anfang April noch nicht mal gelingen wollte, Brüderle das Wirtschaftsministeramt zu entreißen. Trotz wochenlanger Drohungen. Erst kurz vor dem Parteitag, Rösler galt bereits als Verlierer der Postenschlacht, lenkte der 65-jährige Altliberale ein, schlug sich auf die Seite Röslers und drängte gemeinsam mit ihm die Fraktionschefin Birgit Homburger derb aus ihrem Amt. Das Männerkomplott wird seither von Röslers Vertrauten zum Beleg für Hartnäckigkeit und Cleverness des neuen Vorsitzenden verklärt. Man könnte es allerdings auch ganz anders sehen: Brüderle nämlich ist seither mächtiger als je zuvor. Und Rösler wird gezwungenermaßen bei seinem Neuanfang die wenig geschätzte Birgit Homburger an seiner Seite sehen. Ob das gut gehen kann?

Keine Frage, sagt Walter Hirche, Altliberaler aus Hannover und väterlicher Freund des Hoffnungsträgers. Als der junge Philipp in der niedersächsischen Politik auftauchte, erzählt Hirche gern, da sei ihm gleich klar gewesen, dass da ein Talent vor ihm steht. „Der beobachtet sein Umfeld sehr genau, weiß, was er will, und setzt es im richtigen Moment durch.“ Und zwar auf leisen Sohlen. Jeder kenne doch diese Politiker, sagt Hirche, die mit ihrem Feuer alles hinter sich verbrennen. Philipp dagegen sei eher wie ein Wasser. Und Wasser, sagt Hirche, „ist ja bekanntlich stärker, als es Feuer sein kann“.

Nein, unterschätzen sollte man diesen Jungen mit den asiatischen Wurzeln wohl nicht. An aufsehenerregende politische Entscheidungen in Niedersachsen erinnert man sich dort zwar nicht. Aber die Assistentinnen und Referentinnen im Landtag, die werden ihm nicht vergessen, wie er sich schon ganz früh um praktische Familienpolitik, sprich die Kinderbetreuungsprobleme im Landtag, gekümmert hat. Und selbst das Wörtchen „Mindestlohn“ geht dem Liberalen Rösler ganz leicht von den Lippen. Er schaut auf diese Welt irgendwie anders als die meisten Politiker. Mehr von unten. So, als wäre er gar kein Star, sondern nur der Philipp Rösler aus Bückeburg.

Auch Bauer Hermann Grupe aus Holzminden ist dem Rösler mal auf den Leim gegangen. So ein Bürschchen, dachte sich Grupe, als er den Wirtschaftsminister näher kennenlernte. Schwatzt da altklug über große Politik daher und hat keine Ahnung davon, wie es den Menschen wirklich geht. Also lud Grupe ihn ein, auf seinem Hof das richtige Leben kennenzulernen. Ob sich der Philipp wohl auch traut, hoch auf den mächtigen Mähdrescher zu steigen? Und ob er sich traute. Er hat ihm dann gleich das ganze Rapsfeld abgemäht.

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