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© Thilo Rückeis

Philipp Rösler: ''Mit 45 ist für mich Schluss in der Politik''

Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler sprach mit dem Tagesspiegel über seinen Job, Gerechtigkeit im Gesundheitssystem und den Witz mit der Praxisgebühr.

Herr Rösler, Sie machen gerne Witze. Einer geht so: Der Arzt fragt den Patienten: Was fehlt Ihnen? Antwort: Erst mal zehn Euro. Was ist daran witzig?


Es weist darauf hin, dass durch die Praxisgebühr das Arzt-Patienten-Verhältnis leidet. Bevor man über die Beschwerden reden kann, geht es schon um das Bezahlen.

Wenn Sie das als Problem empfinden: Warum schaffen Sie die Gebühr nicht ab?

Dies zu erwägen, wäre unseriös. Die Praxisgebühr erbrachte im vorigen Jahr 1,9 Milliarden Euro. Darauf kann die gesetzliche Krankenversicherung aktuell nicht verzichten. Wir wollen aber ein unbürokratisches Erhebungsverfahren.

Demnächst müssen die Versicherten auch noch Zusatzbeiträge an die Kassen zahlen. Dafür gibt es weder Steuer- noch Arbeitgeberzuschuss. Finden Sie das fair?

Was wir 2010 erleben werden, ist eins zu eins das, was die Vorgängerregierung wollte. Die FDP kann nichts dafür. Und bei den Zusatzbeiträgen gibt es, anders als in dem von uns geplanten Modell der einkommensunabhängigen Arbeitnehmerbeiträge, keinen Sozialausgleich. Ich vertrete die Position: Keine Prämie ohne Sozialausgleich. Nur dann ist sie fair.

Die CDU will die Zusatzbeiträge noch erhöhen. Die Begrenzung auf ein Prozent des Einkommens soll fallen. Machen Sie da mit?

Allein den Deckel anzuheben, bringt keine Lösung. Außerdem sieht der Koalitionsvertrag einen solchen Schritt nicht vor. Und an den halten wir uns.

Krankenkassen, die viele Geringverdiener versichern, sind durch die Ein-Prozent- Klausel schwer benachteiligt …

Ich bin den Menschen verpflichtet, nicht den Kassen. Wir reden von 70 Millionen gesetzlich Versicherten. Für die müssen wir ein vernünftiges, faires System hinbekommen. Daher ist es falsch, die Zusatzbeiträge ohne Sozialausgleich zu erhöhen. Die Ein-Prozent- Klausel wird bleiben.

Ohne Solidarität funktioniert kein Gesundheitssystem. Passt Solidarität mit der Idee des Liberalismus überhaupt zusammen?

Auf jeden Fall. Das sieht auch unser neuer Generalsekretär, Christian Lindner, so. Wir setzen uns gemeinsam dafür ein, dass die FDP auch mit diesem Begriff in Verbindung gebracht wird. Solidarität gehört zum Liberalismus wie Toleranz.

Was heißt das konkret?

Toleranz heißt: auf gleicher Augenhöhe miteinander umzugehen. Solidarität heißt: die Starken helfen den Schwachen. Denn es muss gewährleistet bleiben, dass in kritischen Lebensphasen jeder auf Unterstützung zählen kann.

Wann ist Solidarität falsch?

Nur, wenn man sie falsch versteht. Ich kritisiere, dass Parteien wie die Linke oder auch die SPD bei Solidarität allein an die sozialen Sicherungssysteme denken. Wir Liberale fassen den Begriff breiter: Familie, Verein, Ehrenamt – überall brauchen wir gelebte Solidarität. Denn dort paart sie sich mit Verantwortung.

Was ist solidarisch an Ihrer Kopfpauschale, die einem Manager genauso viel für die Krankenversicherung abverlangt wie seiner Putzfrau?

Der Manager ist ja meist gar nicht mehr gesetzlich, sondern privat versichert, weil sein Einkommen über der Versicherungspflichtgrenze liegt. Wir sagen: Das Prinzip der solidarischen Krankenversicherung ist, dass die Gesunden den Kranken helfen. Der Ausgleich zwischen Reich und Arm gehört woanders hin: ins Steuersystem.

Das ist gerechter?

Ich halte es für gerechter, weil der Ausgleich durch lohnabhängige Beiträge in der Krankenversicherung nach oben begrenzt ist. Der Manager, der mehr verdient, verlässt das gesetzliche System und zahlt gar nicht mehr für die Putzfrau. Im Steuersystem dagegen wird jeder nach seiner tatsächlichen Leistungsfähigkeit besteuert. Hier wird jeder Starke herangezogen, um dem Schwächeren zu helfen.

Warum nehmen Sie Gutverdienern nicht die Möglichkeit, sich privat zu versichern?

Ordnungspolitisch wäre das nicht zu rechtfertigen: Es gibt nicht die einzig richtig Struktur, Versicherung im Krankheitsfall zu organisieren. Nicht nur ein Weg führt hier zum Ziel. Im Übrigen: Das erlaubt unsere Verfassung auch nicht.

Ihr System funktioniert aber auch nur mit Steuermilliarden. Und gleichzeitig will Ihre Partei die Steuern senken …

Unser Ziel ist es, Wachstumsimpulse zu setzen. Die Steuersenkung ist der Versuch, am Ende mehr Steuern zu erhalten. Außerdem stellen wir das System nicht von heute auf morgen um. Wenn sie etwa den gesamten Arbeitgeberanteil in eine Prämie umwandeln wollen, müssten Sie für den Solidarausgleich sehr hohe Ausgleichsbeträge veranschlagen. Aber genau das wollen wir eben nicht.

Wie soll es dann gehen?

Schrittweise. Schrittgröße und Schrittfrequenz hängen von der Möglichkeit des steuerlichen Zuschusses und der Technik des Ausgleichs ab. Außerdem muss es möglichst unbürokratisch funktionieren.

Wie wollen Sie sicherstellen, dass das Steuergeld nicht für anderes ausgegeben wird?

Das ist immer eine Frage des politischen Willens und der langfristigen Ausgestaltung. Das Primat der Politik gilt auch für das bisherige System.

Sie setzen auf mündige Bürger. Und sagen ihnen, sie sollen sich gegen Schweinegrippe impfen lassen. Das passt nicht zusammen.

Sie hätten recht, wenn es eine Impfpflicht gäbe. Die aber lehne ich ausdrücklich ab. Meine Aufgabe ist es deshalb, für Aufklärung zu sorgen. Der Bürger kann nur entscheiden, wenn er gut informiert ist.

Kritiker sagen, die Politik hat sich hier von der Pharmaindustrie einspannen lassen.

Das ist doch Legendenbildung. Nach der Vogelgrippe hat man gesagt, beim nächsten Mal müssen wir vorbereitet sein und schnell Impfstoff produzieren können. Deshalb hat man die Verträge mit der Industrie gemacht. Es ist originäre Aufgabe des Staates, solche Schutzmaßnahmen zu treffen. Und für die Empfehlungen haben wir Quellen gesucht, auf die sich die Menschen verlassen können, etwa die Experten des Robert-Koch-Instituts.

Wo ist die Grenze für Eigenverantwortung? Soll man Arme künftig wieder am Gebiss erkennen?

Im Koalitionsvertrag steht, dass wir das System nur auf Grundlage des bestehenden Leistungskatalogs ändern. Wir wollen keine Leistungen streichen.

Der medizinische Fortschritt geht weiter …

Es gibt einen Gemeinsamen Bundesausschuss, der bestimmt, was erstattet wird. Das ist kein politisches Gremium, hier sitzen Vertreter der Kassen, Ärzte und Kliniken, aber auch Patientenvertreter. Wir haben nur die Rechtsaufsicht. Ich finde das richtig so. Der Leistungskatalog muss immer dynamisch bleiben. Und die Politik sollte sich dabei raushalten.

Wo wollen Sie denn mehr Eigenverantwortung?

Bei der Prävention. Wenn es keine Einheitsbeiträge mehr gibt, können die Kassen mehr Anreize setzen.

Warum findet sich im Koalitionsvertrag eigentlich kein einziger Sparvorschlag?

Ich kann Ihnen versichern: Es wird keinen Bereich geben, den wir uns nicht ansehen werden. Aber wir wollten uns nicht auf Einzelnes festlegen. Wenn wir das System insgesamt effektiver und effizienter machen, wird die Akzeptanz bei allen zum kostenbewussten Umgang mit den Mitteln auch größer.

Bisher sieht alles nach Politik für die FDP-Klientel aus. Nehmen wir die Apotheker: keine Ladenketten, gebremster Versandhandel. Wo bleibt da der Wettbewerb, den Sie so gern betonen?

Als Apotheker kann man sich überall niederlassen, da ist schon mehr Wettbewerb als bei Vertragsärzten. Der Verkauf von Arznei ist aber etwas anderes als der von Brötchen oder Autos. Es geht um Patientensicherheit. Daher soll die Verantwortung beim einzelnen Apotheker liegen, nicht bei anonymen Großketten. Im Gesundheitssystem muss es auch Grenzen für den Wettbewerb geben. Schließlich gibt es einen Unterschied zwischen Arznei und Brötchen. Oder brauchen Sie beim Brötchenkauf ein Rezept?

Wo darf es ihn dann überhaupt geben? Die niedergelassenen Fachärzte schützen Sie ja auch vor der Konkurrenz der Kliniken.

Wettbewerb muss fair sein. Für ihre Investitionen erhalten die Kliniken Hilfen der Länder, niedergelassene Ärzte müssen alles selbst erwirtschaften. Das ist kein fairer Wettbewerb. Aber wir haben nichts gegen sektorenübergreifende Behandlung, grade im ländlichen Raum ist das wichtig.

Wettbewerb braucht den mündigen Versicherten. Bei der Pflege aber setzen Sie auf Zwang. Alle müssen privat vorsorgen …

Die Akzeptanz zu einer Pflichtversicherung gab es schon 1995, die Pflegeversicherung wurde damals ja schon verpflichtend eingeführt. Was jetzt hinzukommt, ist nur eine Ergänzung des bestehenden Systems: der Versuch, der demografischen Entwicklung mit Kapitaldeckung ein Stück weit Rechnung zu tragen. In der Koalition war das unstreitig: Wir müssen mehr vorsorgen.

Müsste man nicht wenigstens Eltern mit Kindern von dieser Pflicht ausnehmen?

Es gibt ja schon einen kleinen Beitragsunterschied für Kinderlose. Mehr wird es nicht geben. Wir können ja auch nicht voraussagen, ob diese Kinder tatsächlich einmal beitragspflichtig sein werden.

Herr Rösler, Sie haben mal gesagt, mit 45 wollen Sie keine Politik mehr machen. Sie werden jetzt 37 und sind Bundesminister. Halten Sie bis dahin überhaupt durch?

Ich halte durch, denn ich kann jetzt wirklich etwas bewegen. Aber mit 45 wird Schluss sein mit der Politik, das steht für mich fest. Denn Politik verändert die Menschen. Deshalb hat alles seine Zeit.

Das Gespräch führten Armin Lehmann und Rainer Woratschka. Die Fotos machte Thilo Rückeis.

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