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Philippinen: Frieden nur auf dem Papier

Philippinen: Regierung und Rebellen verständigen sich auf ein Abkommen - doch dann kehrt die Gewalt zurück. Die Verhandler wollten keine öffentliche Debatte, doch das ging schief.

Nach knapp vier Jahrzehnten Separatistenkonflikt, nach Zehntausenden von Toten und sieben Verhandlungsjahren war es vergangene Woche soweit: Die Regierung der überwiegend katholischen Philippinen und die Rebellen der „Moro Islamic Liberation Front“ (Milf) einigten sich über Landrechte im Süden des Landes, wo die muslimische Minderheit lebt. „Frieden ist besser als Schüsse“, sagte Justizminister Raul Gonzales. Milf-Sprecher Eid Kabalu betonte: „Wir unterschreiben. Wir wollen Frieden.“ Nur wollten die beiden Verhandlungsparteien ihre Vereinbarung ohne öffentliche Debatte über den Inhalt treffen. Das ging schief. Der Text wurde bekannt und löste einen Proteststurm aus. Mehrere Senatoren und zwei Lokalpolitiker, alle Christen, klagten im Eilverfahren am Obersten Gericht. Die Richter untersagten der Regierung, das Abkommen zu unterzeichnen. Erst sei zu prüfen, ob es verfassungskonform ist. Ein Urteil steht aus, aber seit Absage der Unterzeichnung wird im Süden der Philippinen, wo offiziell Waffenruhe herrscht, heftig um Dörfer gekämpft.

Ein Soldat ist tot, 32 sind verletzt. Nach unbestätigten Militärangaben starben dutzende Milf-Kämpfer und zwei Zivilisten. Die Rebellen steckten eine Kirche in Brand. Laut Regierung sind 160 000 Menschen aus Angst vor Gewalt geflüchtet. „Es wird weiter Spannungen geben“, sagt Milf-Sprecher Kabalu nun. „Die militärische Option wird verfolgt“, meint Minister Hermogenes Esperon, der eigentlich für den Friedensprozess zuständig ist.

Die Regierung möchte ein Abkommen, das Frieden garantiert. Die Milf möchte möglichst viel des alten Heimatlandes ihrer Ethnie, der Moros, kontrollieren. Also verständigten sich beide Seiten auf weitreichende Regelungen: Eine seit 1996 bestehende autonome Muslimregion soll um 712 Distrikte erweitert und viel selbstständiger werden. In dem neuen Gebiet, genannt „Bangsamoro Juridical Entity“ (BJE), also „Rechtlich unabhängiges Heimatland der Moros“, wäre die philippinische Regierung für nichts mehr zuständig. Moros würden Eigentümer des Landes, seiner Bodenschätze und aller Ressourcen, die bis zu 15 Kilometer vor den Küsten im Meer liegen. Die BJE könnte interne Sicherheitskräfte aufstellen und bilaterale Verträge mit anderen Staaten schließen. Ein eigener Bankensektor, eigene Wahl-, Bildungs- und Justizsysteme sind geplant. Die Einführung der Scharia ist möglich.

Vielen Filipinos geht das zu weit. Manche bezweifeln, dass die BJE noch als ein Teil ihrer Republik zu bezeichnen wäre. „Ein Staat im Staat ist verfassungswidrig“, sagt Oppositions-Senator Mar Roxas, der klagte. Präsidentin Gloria Arroyo dagegen sagt: „Wir befürworten Föderalismus als Weg, Frieden zu garantieren.“ Mit anderen Worten: Änderungen von Verfassung und politischem System – sowieso lange angedacht – sind wieder im Gespräch. Nicht nur Rechtsfragen und Aufregung über „Frieden um jeden Preis“ führten zu Protesten. Zudem ist umstritten, ob das Milf-Abkommen wirklich Frieden garantieren würde. Die Lage im Süden ist unter anderem kompliziert, weil die effektivste aller Anti-Separatismus-Waffen längst Wirkung zeigt: Migration. Vor 100 Jahren stellten Moros im Süden 75 Prozent der Bevölkerung. Nach Zuzug von Christen sind die Moslems heute nur noch eine 20-Prozent-Minderheit. Somit ist muslimische Kontrolle in den meisten Distrikten undenkbar. Die Milf hat dieses Realpolitik-Diktat akzeptiert. Altes Moro-Land mit dem neuen Namen BJE soll nur Gegenden umfassen, in denen noch viele Moslems leben. Doch wer sich den Plan auf einer Karte anschaut, sieht ein asiatisches Bosnien – samt religiösen und ethnischen Enklaven.

„Christen würden von Land vertrieben, auf dem sie seit Jahrzehnten leben. Das Abkommen würde jede Hoffnung auf friedliches Zusammenleben zerstören“, kommentierte der Philippinen-Experte Brett Decker. Leider machte er, genau wie alle anderen Kritiker, keinen Vorschlag, wie den so lange unterdrückten Moros alternativ zu mehr Rechten verholfen und Frieden geschaffen werden könnte.

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