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Phillippinen: Kultur der Straflosigkeit

Die Philippinische Präsidentin will nach einem Massaker mit 57 Toten, darunter mindestens 13 Journalisten, nicht gegen den verdächtigen Clan vorgehen.

Die philippinische Regierung hat den Notstand und einen Tag der nationalen Trauer ausgerufen, die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ sprach vom „größten Massaker an Journalisten in der Geschichte überhaupt“: Die Zahl der Opfer beim Massaker auf den Südphilippinen stieg am Mittwoch auf 57, darunter mindestens 13 Journalisten. Politische Gewalt ist Alltag auf den von Dynastien regierten Philippinen. Politische Morde und tödliche Clanfehden sind nur noch Kurzmeldungen wert. Doch das am Montag angerichtete Blutbad erschüttert das Inselreich in seinen Grundfesten. Wichtige politische Verbündete der Präsidentin Gloria Macapagal-Arroyo stehen unter dringendem Tatverdacht, rund 100 Bewaffnete mit einem Massaker an politischen Erzfeinden beauftragt zu haben. Doch Arroyo redet bisher nur von einer schrecklichen Tat, deckt ihre Verbündeten aber weiter stillschweigend. Mit dem Notrecht in zwei südlichen Provinzen auf der Insel Mindanao gab Arroyo den Sicherheitskräften zwar ausdrücklich freie Hand für Verhaftungen, doch auch am zweiten Tag nach der schlimmsten Gewalttat bei Wahlen in der Geschichte der Philippinen sitzt niemand hinter Gittern. Obwohl die Polizei den Stammhalter des mächtigen Clans der Ampatuans zum dringenden Tatverdächtigen erklärte; des Clans, der die Unruheprovinz Maguindanao seit Jahrzehnten wie ein Kriegsfürstentum führt, wo ein Ampatuan nichts und niemandem Rechenschaft abzulegen hat. „Es ist nicht allzu schwierig, ein Motiv zu erkennen“, so der philippinische Politologe Kenneth E. Bauzon. Doch der Clan der Ampatuans schweigt, die Familienpatriarchen scheinen wie vom Erdboden verschluckt.

Selbst Verbündete in Arroyos Regierungskoalition haben die Präsidentin öffentlich dazu aufgerufen, Andal Ampatuan senior und seinen Sohn Andal Ampatuan junior zu fassen. Doch so einfach ist das nicht, wahren die Ampatuans doch die Interessen der Regierung in dieser schwierigen Provinz, wo Manilas Einfluss nie recht hinreichte.

Eine Nation schreit nach der Verhaftung von Andal Ampatuan junior, doch ausgerechnet die Landesführerin ließ offen, ob sie die Verhaftung für eine gute Sache hält. Philippinische Zeitungen drucken Fotos, die Arroyo im Juli 2008 beim Gebet mit Vater und Sohn in einer Militärbaracke zeigen. Nun hätte bei den Wahlen im Mai 2010 Sohn Andal junior in die Fußstapfen von Andal senior treten sollen, der schon im philippinischen Kongress diente und den Gouverneursposten von Maguindanao mehrmals ohne Gegenkandidaten gewann.

Doch der lokale Politiker Ismael Mangudadatu, ein Vizebürgermeister, wollte dies beenden und seine Gegenkandidatur für die Gouverneurswahlen nächstes Jahr einreichen. Dazu schickte der frühere Verbündete der Ampatuans seine Frau mit den nötigen Papieren zur Wahlbehörde los. Sie und zwei Schwestern Ismaels kehrten nie wieder zurück, konnten unter den Opfern aber rasch identifiziert werden, während andere der notdürftig verscharrten Toten bis zur Unkenntlichkeit zugerichtet worden seien, wie aus Polizeikreisen verlautete.

Der Clan der Ampatuans ist christlich. Ismael dagegen ist Muslim wie die Mehrheitsbevölkerung auf Mindanao, wo über die vergangenen Jahrzehnte gleich zwei islamistische Widerstandsgruppen für Unabhängigkeit kämpften. Doch auch Kirchenführer riefen Arroyo gestern zu hartem Handeln auf und warnten von Racheakten: „Niemand in Maguindanao fühlt sich mehr sicher“, sagte der katholische Priester Eduardo Vasquez. Orlando Quevedo, Erzbischof von Cotabato, warf der Regierung die gleiche „Kultur der Straflosigkeit“ wie unter Diktator Ferdinand Marcos vor.

Daniel Kestenholz[Bangkok]

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