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Piraten-Partei: Warum den Politneulingen Streit nicht schadet

Die Piraten stehen nach einer neuen Umfrage bei 13 Prozent in der Wählergunst. Gleichzeitig streiten sie sich öffentlich heftig. Das schadet ihnen bisher nicht.

Es ist ein Brandbrief, den die Piraten-Jugendorganisation „Junge Piraten“ am Freitag auf ihre Homepage stellte: „Rassistische, sexistische, aber auch anderweitig diskriminierende Aussagen oder Verhaltensweisen“ unter Piraten wurden dort moniert. Diskriminierungen würden zu oft mit dem Verdikt der Meinungsfreiheit gedeckt, so der Tenor des Briefes. Der Bundesvorstand der Partei relativierte: In jeder Partei gebe es „,10 Prozent Idioten’, um mal Gregor Gysi zu zitieren“, ließ ein Sprecher am Montag wissen. Schnell war auch der vermeintliche Skandal in eine Positivnotiz im Sinne der Piraten-typischen Transparenz umgedeutet: „Manche halten so was unterm Deckel – wir nicht“, sagte der stellvertretende Bundesvorsitzende Bernd Schlömer am Dienstag.

Mit diesem Vorgang ist vielleicht in Ansätzen erklärt, warum derzeit nichts den Höhenflug der Piraten, die die jüngste Forsa-Sonntagsfrage bei bundesweit 13 Prozent und vor den Grünen sieht, stoppen kann: Programmatische Lücken, interne Querelen, kontroverse Positionen und Diskussionen: Das alles scheint der Partei nicht zu schaden, solange sie sich in der Folge als eine Kraft darstellen kann, die sich Kontroversen stellt, schnell und kreativ auf Angriffe reagiert, Schwächen zugibt, die andere zu kaschieren versuchen. Bereits im Wahlkampf um das Berliner Abgeordnetenhaus war das zu erkennen: Nachdem Spitzenkandidat Andreas Baum in einer Fernsehtalkshow an der Frage nach dem Schuldenstand Berlins gescheitert war, konstruierten Piraten eine App, die den Stand ständig aktualisierte. Am Donnerstag letzter Woche griffen 100 Medienschaffende piratische Vorstellungen zur Urheberrechtsreform im „Handelsblatt“ an – binnen weniger Tage antworteten 101 Piraten auf der Homepage der Partei. Der Pirat Bodo Thiesen, über dem seit Jahren ein Parteiausschlussverfahren wegen holocaustrelativierender Äußerungen schwebt, wurde auf Drängen zahlreicher Parteimitglieder von der Liste entfernt – man gönnt sich nach über einem halben Jahr unter verstärkter medialer Beobachtung nicht mehr jeden Skandal.

„Ehrlichkeit, Offenheit und Bodenständigkeit transportiert sich unter Umständen gerade in kontroversen Situationen – das kommt an“, ist sich Alexander Hensel, Piraten-Experte des Göttinger Instituts für Demokratieforschung, sicher. Was derzeit mit den Piraten geschehe, sei in jeder Hinsicht erstaunlich: „Die Partei müsste als sich etablierende Kleinpartei eigentlich das Problem von zu wenig Publizität haben – aber das Gegenteil ist der Fall.“ Kurzfristig könnten da auch Skandale nutzen. Doch Hensel warnt: „Wenn die linken Protestwähler bei den Piraten nicht heimisch werden, könnte der derzeitige Erfolg schnell wieder infrage stehen.“ Der kommende Bundestagswahlkampf werde da zu einer Belastungsprobe: „Gerade diese Wahlkämpfe spitzen sich meist auf ein bis zwei Themen zu. Da werden es die Piraten schwer haben.“

Schwierigkeiten sieht Hensel auch bei einem anderen Thema – dem rasanten Wachstum der Partei: „Die Piraten müssen schon sehr bald unter Beweis stellen, dass sie ihrem basisdemokratischen Anspruch auch unter der Bedingung einer gestiegenen Mitgliederzahl gerecht werden können.“ Pirat Schlömer gibt sich gelassen: „Ich würde allen raten, mit Ruhe und Zeit weiterzuarbeiten.“ Ruhe, Zeit, Arbeit – die Piraten verstehen es nicht zuletzt, in ihrer Unfertigkeit seriös zu wirken.

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