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Politik: Platzeck: Der alte Sozialstaat hat keine Perspektive mehr

Ehemaliger Parteichef setzt dagegen auf stärkere Eigenverantwortung / Gemeinsames Papier mit SPD-Vize Bullerjahn

Potsdam - Der frühere SPD-Vorsitzende Matthias Platzeck warnt seine Partei davor, „nostalgisch“ am überholten Sozialstaatsmodell der alten Bundesrepublik festzuhalten. „Unter den Bedingungen des 21. Jahrhunderts bietet der nachsorgende und überwiegend beitragsfinanzierte Sozialstaat bismarckscher Prägung keine sozialdemokratische Perspektive mehr“, heißt es in einem dem Tagesspiegel am Sonntag vorliegenden gemeinsamen Papier von Platzeck und Vizeparteichef Jens Bullerjahn.

Beide Sozialdemokraten sprechen sich dagegen für das Leitbild des „vorsorgenden Sozialstaats“ aus, der auf stärkere Eigenverantwortung und auf „gleiche Bildungschancen für alle“ setzt: „Der vorsorgende Sozialstaat ist etwas grundsätzlich anderes als ein materiell versorgender oder fürsorglicher Sozialstaat.“

Der „vorsorgende Sozialstaat“ wird auch in den vorliegenden Texten für den offiziellen SPD-Programmentwurf als Ziel genannt. Platzeck hatte dieses Leitbild bereits als Parteivorsitzender im ersten Entwurf für ein neues SPD-Grundsatzprogramm vorgelegt. Aus Sorge, dass es „aufgeweicht und uminterpretiert“ wird, meldet sich Brandenburgs Ministerpräsident sieben Monate nach seinem Rücktritt als SPD-Vorsitzender damit auf die bundespolitische Bühne zurück, nachdem er sich bislang Zurückhaltung auferlegt hatte.

Platzeck und Bullerjahn prangern programmatische Defizite und Versäumnisse der SPD an. „Wir haben uns in Deutschland in den letzten zwei Jahrzehnten deutlich zu stark auf das nacheilende Reparieren und Einspringen in Notfallen konzentriert“, so die beiden ostdeutschen Sozialdemokraten. Gemessen an seinen hohen Kosten, ermögliche das bisherige Sozialmodell unter den heutigen Bedingungen jedoch „nicht genug neue Lebenschancen“ und „zu wenige Möglichkeiten des sozialen Aufstiegs“. So sei die Armutsquote im Vergleich mit anderen nord- und westeuropäischen Ländern in Deutschland besorgniserregend hoch. Zudem seien überproportional Kinder und Jugendliche sowie Alleinerziehende von Armut betroffen. Es grenze an „volkswirtschaftliche Selbstverstümmelung“, wenn in Deutschland zehn Prozent aller Jugendlichen die Schule ohne Abschluss verlassen und nur jedes zehnte Arbeiterkind studiert.

Angesichts dieser Verhältnisse fordern Platzeck und Bullerjahn, den Teufelskreis aus Armut, mangelhafter Bildung, schlechten Erwerbschancen und neuerlichen schlechten Aussichten in der nächsten Generation zu durchbrechen. Hatte die SPD bislang vor allem auf gleiche Job-Chancen für alle gezielt, hebt der von Platzeck und Bullerjahn geforderte „vorsorgende Sozialstaat“ in erster Linie auf „hervorragende Bildung für alle“ ab. Es sei ein auch in der SPD verbreiteter Fehlschluss, dass in Deutschland die Arbeit ausgehe, warnen Platzeck und Bullerjahn. Richtig sei, dass vor allem gering qualifizierte Jobs unter Druck gerieten, aber schon heute etwa in Ostdeutschland Unternehmen und ganze Branchen trotz hoher Arbeitslosigkeit teilweise vergeblich nach ausgebildeten Fachkräften suchen.

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