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Politik: „Platzeck ist ein kundiger Realist“ Hessens Ministerpräsident Roland Koch über den neuen SPD-Chef und Knackpunkte der Koalitionsverhandlungen

Angela Merkel hat die Konsolidierung des Haushalts als „Schicksalsfrage“ der Koalition bezeichnet. Kann die absehbare Riesenaufgabe schon das Schicksal der Verhandlungen besiegeln?

Angela Merkel hat die Konsolidierung des Haushalts als „Schicksalsfrage“ der Koalition bezeichnet. Kann die absehbare Riesenaufgabe schon das Schicksal der Verhandlungen besiegeln?

Selbstverständlich kann auch an dieser Frage eine Koalitionsverhandlung scheitern. Aber alle von uns, die sich mit der Finanzpolitik beschäftigen, sind sich über die Dramatik der Lage sehr im Klaren. Ich will den Wahlkampf nicht verlängern, bin aber entsetzt, was hier in den letzten Tagen ans Licht gekommen ist. Nach meinem Eindruck sind auch alle fest entschlossen, ihren jeweiligen Parteien zu sagen, dass auf die Bewältigung dieser Aufgabe nicht verzichtet werden kann. Wenn das in beiden Parteien nach den Klausurtagungen des Wochenendes ebenfalls so gesehen wird, dann kann man eine Lösung finden.

Mit „Heulen und Zähneklappern“, wie Sie formuliert haben?

Die Lösung wird sehr schwierig, sie wird leider hart, und sie wird viele Bürger betreffen. Um es an einem Beispiel zu erklären: Die Abschaffung der Eigenheimzulage ist ja hier und da als Patentrezept zur Lösung dargestellt worden.Wahr ist: Sie macht im ersten Jahr 0,5714 Prozent der Lösung aus.

Union und SPD haben den Finanzbedarf auf 35 Milliarden Euro beziffert. Um die Maastricht-Kriterien zu erfüllen, würden aber etwa 15 Milliarden reichen.

Man muss den Bürgern immer wieder sagen: Das ist die Erblast von Rot-Grün, und Deutschland hat sich durch Herrn Eichel und Herrn Schröder rechtlich verpflichtet, die Maastricht-Kriterien schon 2006 wieder einzuhalten. Wenn man sie auch 2007 nicht erreichen würde, müsste die EU-Kommission zu Sanktionen gegen Deutschland greifen. Nach den geänderten Verträgen könnte sie uns Einzelmaßnahmen zur Haushaltssanierung vorschreiben. Das wäre etwa die Art und Weise, in der die Weltbank mit Argentinien umgeht. Wir sollten den Stolz und den Anspruch haben, das zu vermeiden.

Aber ist der Stolz nicht arg teuer erkauft?

Die Maastricht-Kriterien sind die einzige Gewähr dafür gewesen, dass wir seinerzeit eine starke Mark gegen einen stabilen Euro getauscht haben. Dass ausgerechnet Deutschland zum Totengräber des stabilen Euro werden soll, das ist mit der CDU/CSU undenkbar. Und ich erkenne im Moment viel Bereitschaft bei der SPD, das genauso zu sehen.

Trotzdem noch einmal die Frage: Für Maastricht würden 20 bis 25 Milliarden reichen. Warum das 35-Milliarden-Ziel?

Weil es vielleicht auch eine vernünftige Verhaltensweise ist, so schnell wie möglich wieder einen der Verfassung entsprechenden Haushalt vorzulegen.

Im Regierungsprogramm der Union war die Rede von einem Dreiklang von Sparen, Reformieren und Investieren. Bleibt für Reform und Investition Geld übrig?

Die besondere Herausforderungen der Koalitionsverhandlungen besteht ja gerade darin, dass die Rückkehr zur finanzpolitischen Seriosität ein wichtiges Ziel ist – aber beileibe nicht das einzige. Den Haushalt in Ordnung zu bringen, bringt nur wirklichen Erfolg, wenn durch wirtschaftliches Wachstum und mehr Arbeitsplätze eine Basis geschaffen wird, dass wir nicht in ein paar Jahren in das nächste Desaster schlittern. Für die CDU/CSU besteht ein absolut untrennbarer Zusammenhang zwischen Reformen im Arbeitsmarkt und den Sozialsystemen einerseits und den schmerzhaften Notwendigkeiten der Haushaltssanierung andererseits.

Und das Investieren?

Auch bei diesem dritten Punkt bleibt es. Wir dürfen nicht nur über die Lücke und das Einsparen reden, sondern immer auch darüber, einen minimalen Spielraum zu schaffen. Der muss genutzt werden, um Investitionen anzureizen und so sicherzustellen, dass Wirtschaftswachstum in Gang gesetzt wird.

Aber besteht nicht vielmehr die Gefahr, dass die Konjunktur kaputtgespart wird?

Unsere Einschätzung in der Union ist, dass der Abbau der Staatsdefizite eine entscheidende Voraussetzung für neues gesundes Wachstum ist. Wir wissen sehr wohl, dass wir dabei kurzfristig die Wirtschaft in einem kleinen Bereich zusätzlich belasten. Aber nur so kann sie wieder starten. Das Wachstum selbst kommt dann aus den Reformen.

Bei den großen Reformfragen war aber von Einigung bisher nichts zu hören.

Es ist für mich die entscheidende Frage, ob die Parteien nach der enormen Anstrengung der Haushaltssanierung noch die Kraft zu den notwendigen Kompromissen bei den Reformen haben. Aber ohne diese Reformen macht das andere nicht viel Sinn. Es führt die Bürger nur in die Frustration, wenn man ihnen große Opfer abverlangt, ohne ihnen eine Perspektive für Besserung zu bieten.

Die Union ist mit drei Forderungen in den Wahlkampf gezogen. Eine davon kostet nichts: die Reform am Arbeitsmarkt. Sind Steuerreform und Reform der Sozialsysteme unerledigt, weil unbezahlbar?

Sie werden jedenfalls erst später realisiert werden können als wir es uns wünschen. Unstreitig ist, dass eine Unternehmensteuerreform Priorität hat. Sie soll zum 1. Januar 2008 in Kraft treten. Eine Reform der privaten Einkommensteuer mit einer Absenkung der Steuersätze ist im Augenblick nicht realisierbar. Reformen am Arbeitsmarkt sind zwingend, wenn wir erreichen wollen, dass neue Jobs entstehen.

Die Union hat eine höhere Mehrwertsteuer zum Programm gemacht, allerdings zu dem Zweck, die Lohnnebenkosten zu senken. Gilt dieses Konzept auch nicht mehr?

Selbstverständlich steht die Senkung von Lohnnebenkosten immer noch auf der Tagesordnung. Aber ich habe mir diese Finanzlage nicht ausgesucht und es wäre unredlich zu verschweigen, dass die Finanzlage es nicht erlaubt, bei Mehreinnahmen des Staates nur an die Finanzierung von Lohnnebenkosten oder anderen Aufgaben zu denken. Wir werden einen nicht unbeträchtlichen Teil der zusätzlichen Einnahmen brauchen, um die Haushalte zu konsolidieren.

Haben Sie die Gesundheitsprämie auch schon aufgegeben?

Die CDU nicht, im Gegenteil: Über die Gesundheitspolitik führen wir heftige Auseinandersetzungen. Das Thema wird zu den sehr komplizierten Fragen der nächsten Woche gehören. Die Gesundheitsprämie ist für die Union eine politische Grundsatzfrage.

Für die SPD aber auch, nicht wahr?

Wir wollen das Gesundheitssystem zumindest in Richtung der Prämie verändern.Wenn das mit den Sozialdemokraten nicht anders verhandelbar ist, müssen wir über Stufen reden. Wir müssen auch darüber reden, wie wir die Pflegeversicherung und das Rentensystem weiter entwickeln. Eines ist jetzt klar: Die bisher sozusagen eingeplante Erwartung, dass der Zuschuss aus dem Staatshaushalt jedes Jahr um mehrere Milliarden größer werden kann, ist mit den finanzpolitischen Realitäten unvereinbar.

Und wenn es keine Bewegung gibt ...?

Wenn die SPD sich bei der Gesundheit gar nicht in unsere Richtung bewegt und es auch beim Arbeitsmarkt bei den verkrusteten Positionen bleibt, dann ist ein Gesamtkompromiss schwierig. Für die Modernisierung Deutschlands und für neue Arbeitsplätze, aber auch für das Profil von CDU und CSU sind diese Fragen von hohem Gewicht.

Anfang der Woche ist die SPD in eine schwere Krise gestürzt, der Parteichef Müntefering hat sein Amt aufgegeben. Hat das die Gespräche intern belastet?

Für uns war es schwierig einzuschätzen, wie die SPD sich weiter entwickelt. Ich muss aber feststellen: Durch das Hinzukommen von Matthias Platzeck und durch die Art, wie Franz Müntefering die Verhandlungen weiter führt, ist eine Krise in den Verhandlungen vermieden worden. Die Gespräche gehen zielführend und sachlich weiter.

Worin besteht der besondere Beitrag des neuen SPD-Chefs?

Platzeck ist ein kundiger Realist. Solche Leute brauchen wir im Augenblick am dringendsten.

Die Union hatte befürchtet, dass Münteferings Rückzug einen Linksruck auslöst. Ist diese Sorge unbegründet?

Helmut Kohl hat einmal gesagt: „Entscheidend ist, was hinten rauskommt.“ Diese Frage wird sicher erst der SPD-Bundesparteitag beantworten.

Einer hat den Wechsel in der SPD nicht so positiv aufgenommen: Edmund Stoiber. Finden Sie es eigentlich gerechtfertigt, dass er in einer künftigen Regierung nicht mehr mitwirken will?

Zwischen Edmund Stoiber und Franz Müntefering gibt es eine persönliche Achse. Und Stoiber hat mit seiner Einschätzung recht, dass sich diese in den nächsten Jahren verändern würde, weil bei der SPD ein Generationswechsel eingeleitet ist.

Und das rechtfertigt so einen Rückzug?

Er hat daraus die Konsequenzen gezogen, die Sie kennen. Das muss man nicht jeden Tag neu diskutieren.

Die Fragen stellten Robert Birnbaum und Cordula Eubel. Foto: Mike Wolff

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