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Er fürchtet den Zorn des Wahlvolks und will neue Stromtrassen aus dem Norden nach Bayern verhindern: Horst Seehofer könnte die Energiewende torpedieren.

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Update

Platzt die Energiewende?: Seehofer wegen neuer Trassen unter Starkstrom

Weil er oft seine Meinung ändert, wird Bayern Ministerpräsident Horst Seehofer von der Opposition als "Drehhofer" verspottet. Nun will er geplante Stromtrassen in den Süden doch noch stoppen. Die Wirtschaft in Bayern protestiert.

Den „Drehhofer“ prangert Florian Pronold derzeit wieder an, nachdem er Horst Seehofer schon im Wahlkampf 2013 mit diesem Ausdruck geärgert hat. Pronold, Chef der Bayern-SPD und Staatssekretär im Bundesumweltministerium, bezieht sich dabei auf die erneute Wende des CSU-Chefs in der Energiepolitik und dabei speziell auf zwei umstrittene Starkstromtrassen, die den Freistaat mit Windenergie aus dem Norden versorgen sollen.

Per Zeitungsinterview hat Seehofer die langwierigen Verhandlungen und Planungen kurzerhand aufgekündigt. Alle neuen Stromtrassen durch Bayern müssten noch einmal auf den Prüfstand, hatte er gesagt. Stattdessen sollten im Freistaat lieber neue Gaskraftwerke gebaut werden, um Engpässe bei der Stromversorgung auszugleichen. Am heutigen Dienstag will er im Koalitionsausschuss darüber neu verhandeln und verlangt einen „Masterplan“.

In Bayern ist man solche ungewohnten Wendungen des Ministerpräsidenten gewohnt. Nun allerdings erntet Seehofer bundesweit harsche Kritik. Landesminister etwa aus Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg attackieren den CSU-Chef. Nordrhein-Westfalens Wirtschaftsminister Garrelt Duin (SPD) meint, jemand müsse bei Seehofer mal „den Stecker ziehen“. Die bayerische Wirtschaft geht auf Distanz. „Nach unseren bisherigen Erkenntnissen sind Hochspannungsleitungen notwendig“, sagte Bertram Brossardt von der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft dem Tagesspiegel. Auch wenn er einschränkt: "Unsere ausschließlichen Ziele sind die Versorgungssicherheit Bayerns und wettbewerbsfähige Strom- und Energiepreise. Der Leitungsbau ist kein Selbstzweck." Der Industrieverband BDI will sich derzeit nicht äußern. Er will in ein paar Wochen mit eigenen Zahlen und Bewertungen zur Energiewende Schlagzeilen machen.

Bayerns IHK positioniert sich gleichzeitig für und gegen Seehofer

Der bayerische Industrie- und Handelskammertag (BIHK) hat am Dienstag zu Seehofers jüngster Wendung Stellung genommen und schafft es gleichzeitig dem Ministerpräsidenten zu widersprechen - und Recht zu geben. Es gebe für die Wettbewerbsfähigkeit der bayerischen Wirtschaft zwei zwingende Voraussetzungen sagt BIHK-Hauptgeschäftsführer Peter Driessen: "Der Netzausbau für den Nord-Süd-Transport von Strom und neue grundlastfähige Kraftwerke." Bayern "manövriert sich aktuell ins Abseits", heißt es in der Erklärung weiter. Mit dem Nein zu neuen Stromtrassen verhindere die bayerische Staatsregierung die Bemühungen um einen einheitlichen europäischen Binnenmarkt für Strom. Das führe zwangsläufig zu unterschiedlichen Preisen. Wenn es tatsächlich zu einer Spaltung in zwei Preiszonen komme, "ginge für Bayerns Betriebe die Kostenspirale bedrohlich weiter nah oben". Und dann positioniert sich Driessen noch einmal auf beiden Seiten: "Eine Blockade des Netzausbaus und ein Nein zu staatlicher Unterstützung von Gaskraftwerken kann klar nach hinten losgehen." Er kritisiert Seehofer wegen der Netzblockade und den Bund, weil er sich weigert, Bayern ein Gaskraftwerk auf Kosten aller Stromkunden zu bauen.

Ein in Nord- und Süddeutschland geteilter Strommarkt könnte entstehen

Was eine Abkehr Bayerns von den Plänen bedeuten würde, lässt sich bisher allerdings nur erahnen. Die Deutsche Energieagentur (Dena) hält Seehofers Gaskraftwerkidee für „unrealistisch“. Strom würde dadurch teurer. Auch handelt es sich bei Gas nicht um eine regenerative Energiequelle. Mit Gas begibt man sich zudem wiederum in Abhängigkeit von Lieferanten, etwa von Russland. Werden die Trassen fallen gelassen, so müsste bundesweit auch neu über den weiteren Ausbau umweltfreundlicher Energien nachgedacht werden. Denn die Windparks in der Nordsee werden auch mit der Erwartung gebaut, dass der Strom in andere Gegenden verkauft wird, etwa nach Bayern.

Laut einem „Spiegel“-Bericht warnt auch die EU-Kommission indirekt davor, die Trassenpläne fallen zu lassen. Eine Studie sieht in einem solchen Fall einen in Nord- und Süddeutschland geteilten Strommarkt als Folge. Im Süden, wo viel weniger Strom produziert wird, könnten die Preise dann um zehn Prozent in die Höhe schnellen. In Bayern bringt Seehofer vor allem seine Wirtschaftsministerin Ilse Aigner in Bedrängnis. Diese kann den verschiedenen Vorgaben ihres Chefs gar nicht so schnell Folge leisten, wie diese sich immer wieder ändern.

Ihre jüngste Haltung war, dass vor allem die umstrittene Südostpassage von Thüringen nach Bayerisch-Schwaben gebraucht werde – aber die Trasse anders verlaufen solle als bislang geplant. Nun kann Aigner diese Position wohl wieder ad acta legen.

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