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Politik: Pleiten, Pech und Germany

PROBLEMFALL MAUT

Von Dieter Fockenbrock

Das System ist perfekt – HochTechnologie pur, sozusagen. Von Satelliten überwacht, rollen Lastwagen unbehindert über die deutschen Autobahnen. Automatisch werden Größe, Standort, Fahrstrecke und Schadstoffausstoß registriert. Wenn der Fahrer am Ziel aus dem Führerhaus klettert, ist die Abrechnung schon unterwegs. Ganze Lkw-Flotten könnten mühelos koordiniert werden. Das System zur Erfassung der Lkw-Maut, neudeutsch Toll Collect, wäre ein Exportschlager.

Vorerst wird es keiner. Der erste Starttermin für die Lkw-Maut ist verschoben, der zweite droht zu scheitern. Wann die Maut endlich die erhofften Milliarden für die Bundeskasse bringt, ist ungewiss. Maut-Minister Manfred Stolpe wird immer schärfer mit Rücktrittsforderungen konfrontiert. Und die verantwortlichen Industriekonzerne Daimler-Chrysler und Deutsche Telekom haben sich bis auf die Knochen blamiert. Das Projekt droht in einem Desaster zu enden.

Den ersten fatalen Fehler machte das Konsortium selbst. Vor elf Monaten haben die beiden führenden Konzerne einen Vertrag unterschrieben, von dem sie wissen mussten, dass sie ihn nicht einhalten können. Dieses technische Wunderwerk zur Kontrolle tausender Autobahnkilometer und noch mehr Lkw-Fahrten pro Tag braucht eine ausgiebige Erprobungsphase. Das haben die Macher völlig unterschätzt. Die Technik funktioniert nicht. Es sind nicht einmal ausreichend Geräte zur Maut-Erfassung vorhanden.

Mag sein, dass die Vertragsunterzeichnung kurz vor der Bundestagswahl 2002 ein wichtiges politisches Signal für die Technikfreundlichkeit der Bundesregierung war. Für den Technologiestandort Deutschland erweist sich die Hast als Katastrophe. Im Ausland wird die Pannenserie zur Einführung der Lkw-Maut hämisch beobachtet. Die Deutschen haben sich wieder in ihrem Perfektionismus verheddert. Das hat Folgen für die Exportchancen der Maut-Technik.

Der zweite Beteiligte, das Speditionsgewerbe, spielt heute den Unschuldigen. Dabei waren es die Transporteure, die monatelang die Einführung der Maut boykottierten. Die Branche ließ nichts unversucht, die drohende Maut-Pflicht zu kippen. Das Interesse, sich technisch für den Start zu rüsten, tendierte bis zum Sommer gegen null. Dann war es zu spät für den ehrgeizigen Zeitplan.

Der dritte im Bunde, Stolpes Ministerium, hat sich ebenso wenig mit Ruhm bekleckert. Dort sind Verträge mit den Maut-Betreibern ausgehandelt worden, die offenbar jeder Beschreibung spotten. Eine Haftung der Industrie ist ausgerechnet in der sensiblen Startphase praktisch ausgeschlossen. Und die privaten Investoren bekommen ihr Geld – ob das System nun läuft oder nicht. Stolpes Mannen haben auch keine Vorkehrungen für den Fall getroffen, dass die Maut erst mit Verspätung von den Spediteuren kassiert werden kann. Bis Anfang November fehlen schon 380 Millionen Euro im Bundeshaushalt, es werden wohl noch mehr.

Und keiner übernimmt Verantwortung? Die Industrie will es nicht gewesen sein, schließlich torpedieren die Lkw-Kutscher ja das Maut-System. Die Spediteure machen auf harmlos. Und der Minister zeigt auf die Industrie, die die Technik schließlich nicht auf die Reihe bekommt. Schuld für die Verträge sieht er ohnehin nicht bei sich. Das hat schließlich sein Vorgänger verbockt. Kurzum: Niemand stellt sich der Verantwortung für die Pannen beim ehrgeizigsten Technologieprojekt in der jüngsten Geschichte der Republik. Da überrascht es nicht, wenn das „Made in Germany“ verblasst, wenn innovative Maut- oder moderne Transportsysteme wie der Transrapid auf dem Weltmarkt keine Rolle spielen.

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