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Politik: Pocken oder Panik

Das Robert-Koch-Institut fordert, Massenimpfungen gegen die Viren zu planen – Experten warnen aber vor Hysterie

Das Bild hatte große Symbolkraft. US-Präsident George W. Bush krempelte kurz vor Weihnachten höchstpersönlich die Ärmel hoch – um sich gegen Pocken impfen zu lassen. Auch Deutschland müsse sich besser auf terroristische Angriffe mit den Killerviren einstellen, warnt der Präsident des Berliner Robert-Koch-Instituts (RKI), Reinhard Kurth. Experten des für den Schutz vor Seuchen und Massenerkrankungen zuständigen RKI haben deshalb einen Alarmplan erarbeitet. Gefordert wird unter anderem die sofortige Impfung von Seuchen- und Impfärzten. Außerdem müsse die Impfung der gesamten Bevölkerung vorbereitet werden. Sie soll starten, sobald in Deutschland ein Pockenfall auftritt. Um dies logistisch zu bewältigen, bedürfe es jetzt einer detaillierten Planung.

Ist eine Attacke mit Pockenviren reale Bedrohung oder eher Hysterie? „Das ist theoretisch möglich, aber sehr, sehr unwahrscheinlich“, sagt der Hamburger Biowaffenexperte und Zellbiologe Jan van Aken vom „Sunshine Project“ dem Tagesspiegel, denn: „Es dürfte für Terroristen sehr schwierig sein, sich das Virus zu beschaffen.“ Von Panikmache könne aber keine Rede sein. „Es ist völlig richtig, einen Masterplan zu haben. Denn sollte der Fall eintreten, wäre der Schaden immens.“ „Sunshine Project“ ist eine deutsch-amerikanische Organisation, die sich für die Ächtung von biologischen Waffen stark macht.

Natürliche Pockenbestände gelten seit 1979 als ausgerottet. Offiziell lagern nur zwei Forschungslabors in Russland (Kolzowo) und den USA (Atlanta) das Virus weiterhin. Natürlich sei es möglich, dass besonders in den Jahren 1992 bis 1994, als die Labors in Russland noch nicht so gut gesichert gewesen seien und die Forscher kein Geld hatten, ein Wissenschaftler die gefährlichen Virenstämme verkauft habe. „Aber ich glaube nicht, dass Russland die schlimmste Biowaffe, die überhaupt existiert, an andere weitergegeben hat“, sagt van Aken. Schließlich habe Moskau auch das kommunistische Nordkorea nicht mit Atomwaffen versorgt. Und so gebe es auch keine auch nur halbwegs stichhaltigen Beweise für die Behauptungen beispielsweise des US-Geheimdienstes CIA, es gebe auch noch Bestände der Pockenviren im Irak, in Iran und in Nordkorea.

Für van Aken wären Massenimpfungen – die USA führen sie zurzeit an mehr als einer halben Million Soldaten durch – eine Überreaktion. Und auch den vom RKI geforderten prophylaktischen Schutz von deutschen Medizinern lehnt er wegen der starken Nebenwirkungen ab – zumal Infizierten auch noch vier Tage nach der Infektion geholfen werden könne. Das Risiko sei daher zu hoch, sagt van Aken und warnt: „Durch die Pockenimpfungen werden in den USA vermutlich mehr Menschen sterben als durch die Attacken mit dem Milzbranderreger.“

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