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Polen: Kopf an Kopf nach Präsidentschaftswahl

Bronislaw Komorowski ging als Favorit ins Rennen. Jetzt ist es ein Kopf-Kopf-Rennen zwischen ihm und Jaroslaw Kaczynski, dem Zwillingsbruder des bei einem Flugzeugabsturz verunglückten Präsidenten Lech Kaczynskis. Und der Oppositionsführer hat Rückenwind.

Der schockierte Blick der beiden Wahlstudioleiter des Privatsenders TVN sagte alles. Gegen zwei Uhr morgens war der Rückstand Jaroslaw Kaczynskis auf den wochenlang als Favoriten für das polnische Präsidentenamt gehandelten Bronislaw Komorowski auf zwei Prozentpunkte geschmolzen. Kurz nach Schließung der Wahllokale am Sonntagabend hatte TVN noch von zwölf Prozent Vorsprung für den liberalen Komorowski berichtet. Die polnischen Nachwahlbefragungen erwiesen sich aber als Flop.

„Ich fühle mich glücklich und erfüllt“, kommentierte Komorowski danach, sichtlich bemüht, gute Miene zum schlechten Ergebnis zu machen. Er werde sachlich, aber mit harten Bandagen weiterkämpfen, versprach dagegen Oppositionsführer Kaczynski. Bis zur für den 4. Juli geplanten Stichwahl zwischen den beiden.

Nach Auszählung von 94 Prozent der Wahlkreise führte am Montagmittag laut Angaben der Zentralen Wahlkommission der liberal-konservative Regierungskandidat Komorowski mit 41,2 Prozent. Auf den national-konservativen Jaroslaw Kaczynski entfielen 36,7 Prozent. Jaroslaw ist der Zwillingsbruder des am 10. April bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommenen Amtsträgers Lech Kaczynski. Mit überraschend guten 13,7 Prozent landete der Kandidat der post- kommunistischen Vereinigten Demokratischen Linken (SLD), Grzegorz Napieralski, auf dem dritten Platz.

Von den restlichen sieben Kandidaten erreichte keiner mehr als 2,5 Prozent. Vizepremier Waldemar Pawlak (1,8 Prozent) von der gemäßigten Bauernpartei PSL und Ex-Außenminister Andrzej Olechowski (1,4 Prozent) von der Demokratischen Partei (SD) deuteten noch in der Wahlnacht an, ihre Wähler wohl zu einer Stimmabgabe zugunsten von Komorowski aufzufordern. Der ultrakonservative Marek Jurek (1,0 Prozent) votierte dagegen sofort für Kaczynski. Polens wegen eines Vergewaltigungsvorwurfs abgestürzter Volkstribun Andrzej Lepper (1,3 Prozent), mit dem Jaroslaw Kaczynski 2006/07 eine Regierungskoalition geschmiedet hatte, hat sich noch nicht entschieden, wen er unterstützen wird.

Auf die linken Wähler kommt es jetzt an

Das Zünglein an der Waage bei der Stichwahl werden die linken Wählerschichten sein. Glaubt man den Umfragen, tendieren zwei Drittel von ihnen zu Komorowski. Politologen gehen allerdings davon aus, dass der sich nun zuspitzende Wahlkampf großen Einfluss auf Napieralskis schwer berechenbare Wählerschaft haben wird. „Ich wünsche mir sehr, dass für Polens Linke nun eine bessere Zeit anbricht“, warb Komorowski noch in der Wahlnacht. Und Kaczynski eilte gleich am Montag nach Szczecin (Stettin), der Geburtsstadt Napieralskis, wo viele Werft- und Industriearbeiter enttäuscht über die liberale Regierung unter Komorowskis Mentor Donald Tusk sind.

Der 36-jährige Napieralski knüpfte seine Unterstützung in der Stichwahl an programmatische Vorbedingungen wie staatlich subventionierte künstliche Befruchtungen oder einen schnellen Abzug der polnischen Armee aus Afghanistan. Beides ist für Kaczynski nur schwer zu akzeptieren. Besonders in moralischen Fragen darf der 61-Jährige seine ultrakatholischen Unterstützer im Umkreis des antisemitischen „Radio Maryja“ nicht vor den Kopf stoßen. Ohne Unterstützung aus den rechtsextremen Kreisen seiner einstigen Regierungsmannschaft hat er keine Chance gegen Komorowski. Auch wenn der eher farblos daherkommt.

In Polen erwartet man einen harten Wahlkampf in den zwölf Tagen bis zur Stichwahl. Allerdings wird Kaczynski wohl versuchen, sein neues Image als Politiker des Ausgleichs dabei nicht allzu sehr zu beschädigen.

„Der eigentliche Wahlverlierer ist Komorowski“, warnt die Soziologin Jadwiga Staniszkis. „Er hat einen hohen Preis für einen kleinen Vorsprung bezahlt“, argumentiert sie und verweist auf das unklare Profil des 58-jährigen Regierungskandidaten. „Nun beginnt endlich wieder richtige Politik“, kommentierte Ex-Präsident Aleksander Kwasniewski. „Komorowski muss sich jetzt Mühe geben, wenn er gewinnen will.“ Kwasniewski ist bis heute der einzige Präsidentschaftskandidat seit der Wende, der bereits in der ersten Runde zu gewinnen vermochte.

Das Regierungslager hatte lange an den sicheren Sieg geglaubt

In der Tat hat Polens liberale Regierungsmannschaft lange geglaubt, dass ihr ein Wahlsieg nicht zu nehmen sei. Doch die Flugzeugkatastrophe in Smolensk hat das Bild von Jaroslaw Kaczynski verändert. Galt er zuvor noch als Politiker mit der größten „negativen Wählerschaft“ – Menschen, die jedem, nur nicht ihm eine Stimme geben würden –, so schlägt ihm nun Mitgefühl und Solidarität entgegen. Als Zwillingsbruder des beliebten Lech Kaczynski ist der verbissen und zynisch um die Macht pokernde Rechtsaußenpolitiker plötzlich wieder wählbar geworden: Seine Zustimmungswerte sind von vier auf fast 40 Prozent geklettert. Vergessen scheint sein Dauerkonflikt als Premier mit der Opposition und Polens Nachbarn. Mit Sorge denken Warschauer Diplomatenkreise daher bereits an eine polnische EU-Präsidentschaft 2011 unter einem Präsidenten Kaczynski. „Wenn es so weit kommt, ist Polen erneut das Enfant terrible der EU“, heißt es.

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