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Rund 50.000 Polen demonstrierten gegen den Kurs der Regierung.

© Kacper Pempel/REUTERS

Polen: Massenprotest für die Verfassung

In Polen wenden sich immer mehr Bürger gegen die radikalen Reformen der Regierung. 50.000 gingen am samstag auf die Straße

Der Krach ist kaum auszuhalten. Zehntausende besorgte Polen blasen in ihre Vuvuzela-Hörner und ziehen geordnet und friedlich vom Verfassungsgericht zum Präsidentenpalast. Viele tragen polnische und EU-Flaggen mit sich, hier und da ist dazu auch eine ukrainische Flagge zu sehen. „Publiziert das Urteil!“ heißt es auf Transparenten. Und: „Kaczynski, überspanne deinen Bogen nicht!“. Seit den ersten Demonstrationen vor Weihnachten ist in Polen eine richtige neue Bürgerbewegung entstanden.

Alleine in Warschau sind am Samstag mindestens 50.000 Bürger – jung und alt, arm und reich – einem Aufruf der liberalen Oppositionspartei nowoczesna.pl (Die Modernen) und der Bürgerinitiative „Komitee zur Verteidigung der Demokratie“ (KOD) gefolgt und für die Erhaltung der Verfassung von 1997 auf die Straße gezogen. Sie forderten vor allem die Publikation des letzten Urteils des Verfassungsgerichts vom Mittwoch, wonach die ihm zugedachten neuen Verfahrensregeln verfassungswidrig sind. Auch nach der Meinung vieler Experten würde dadurch die Arbeit des Verfassungsgerichts auf Jahre hinaus paralysiert. Diesen Standpunkt hatte am Freitag auch die angesehene Venedigkommission des Europarates vertreten. Die Regierungsmehrheit der Kaczynski-Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) hatte das neue Gesetz kurz vor Neujahr durch das Parlament gepeitscht. Unter anderem soll das Richterquorum für Entscheidungen auf eine Zweidrittelmehrheit erhöht werden und Anfragen nach Reihenfolge ihres Eingangs behandelt werden.

Regierung hält an Gesetz zum Verfassungsgericht fest

Der polnische Regierungssprecher Rafal Bochenek hatte am Samstag angekündigt, dass man an den neuen Verfahrensregeln für die Arbeit des Verfassungsgerichtshofs festzuhalten gedenke. Das Urteil des Verfassungsgerichtshofs vom Mittwoch sei illegal zustande gekommen und werde deshalb nicht veröffentlicht, sagte er. Damit verwirft Polen auch die am Freitag veröffentlichten Empfehlungen der Venedigkommission. Das Beratergremium des Europarats für Verfassungsfragen sieht in Polen Rechtsstaat, Demokratie und Menschenrechte in Gefahr; das Gericht werde praktisch lahmgelegt.

Die Opposition hat in der Nacht zum Sonntag das Urteil des Verfassungsgerichts auf eigene Faust veröffentlicht. Die linke Partei „Razem“ beamte das Urteil an das Gebäude des Ministerrates. In den PiS-treuen Abendnachrichten wurden dagegen Bilder von den Demonstrationen gezeigt, die suggerierten, als hätten in Warschau nur ein paar Hundert Bürger protestiert. „Die Demonstration war friedlich, es gab keine Zwischenfälle“, musste der Sprecher immerhin zugeben.

Ministerpräsidentin Beata Szydlo hatte am späten Freitagabend angekündigt, den Bericht der Venedigkommission nun dem Parlament zur Diskussion zu überreichen. Dabei scheint im Kaczynski-Lager ein Kompromissvorschlag der regierungsfreundlichen Protestpartei „Kukiz 15“ an Boden zu gewinnen, alle Verfassungsrichter neu zu wählen – allerdings nicht wie bisher mit der einfachen, sondern mit einer Zweidrittelmehrheit. Dies würde bedingen, dass sich Regierung und Opposition auf 15 Kandidaten einigen müssten. Kaczynski dürfte alles tun, die verfassungswidrigen Verfahrensregeln dennoch zu retten.

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