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Trauernde in Krakow

© AFP

Polen: Salut zum Abschied von Kaczynski

Mit einer Schweigeminute begann die Trauermesse, rund 50.000 Menschen drängten sich, um der Zeremonie in Krakau zu folgen. Bei der Beisetzung von Lech und Maria Kaczynski in Krakau hält die polnische Nation noch einmal inne.

Von Stunde zu Stunde wurde die Liste länger. Zunächst hatten am Samstagabend US-Präsident Barack Obama und Kanzlerin Angela Merkel wegen der Aschewolke ihre Teilnahme am Begräbnis von Lech und Maria Kaczynski in Krakau abgesagt. Anschließend kam auch eine Absage aus dem Elysée-Palast in Paris – Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy musste der Zeremonie ebenso fernbleiben wie der österreichische Bundespräsident Heinz Fischer, EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso und der ständige Präsident des Europäischen Rates, Herman Van Rompuy. Irgendwann hörten sogar die polnischen Nachrichtenagenturen auf, jeden neuen Fehlenden zu vermelden. „Alle Trauergäste, die nicht kommen konnten, sind im Geiste bei uns“, fand Kardinal Stanislaw Dziwisz zu Beginn der Messe in der Krakauer Marienkathedrale tröstende Worte.

Bereits am Sonntagvormittag waren die Särge von Lech und Maria Kaczynski, die vor einer Woche beim Flugzeugabsturz von Smolensk starben, zu dem Gotteshaus am Hauptmarkt von Krakau gebracht worden. Langsam schob sich die Kolonne durch die engen Gassen der Altstadt. An der gesamten Strecke standen ergriffene Menschen, spendeten Beifall und warfen gelbe und rote Nelken auf den vorbeifahrenden Leichenwagen, die Lieblingsblumen von Maria Kaczynski. Die Särge wurden dann unter Glockengeläut von Soldaten zur Trauermesse in die Kirche gebracht.

Bereits am Vormittag gab es auf dem Marktplatz kein Durchkommen mehr. Rund 50 000 Menschen drängten sich, um der Zeremonie zu folgen oder einen letzten Blick auf die Särge zu werfen. An vielen Stellen waren große Leinwände aufgestellt, vor denen die Menschen die Trauermesse verfolgen konnten. Aus allen Landesteilen waren sie nach Krakau geströmt: Kohlekumpel aus dem Revier in Niederschlesien, Widerstandskämpfer aus Warschau, Solidarnosc-Anhänger und Werftarbeiter aus Danzig. Viele Menschen trugen polnische Flaggen und Bilder von Lech und Maria Kaczynski bei sich. Pfadfinder verteilten Wasser an die Wartenden. Die Stadtverwaltung hatte sich während der gesamten vergangenen Woche auf einen nie dagewesenen Ansturm vorbereitet. Die Beerdigung werde das größte Ereignis sein, dass die Stadt seit hunderten Jahren gesehen habe, sagte Stadtsprecher Filip Szatanik.

Mit einer Schweigeminute begann schließlich um 14 Uhr die Trauermesse. Unter den Klängen des Requiems von Wolfgang Amadeus Mozart zogen die polnischen Bischöfe in die gothische Basilika ein, wo die von polnischen Flaggen bedeckten Särge des Präsidentenpaares standen. „Es ist schade, dass nicht alle kommen konnten“, bedauerte Anna Waszkiewicz das Fehlen der vielen hochrangigen Trauergäste. „Das Schicksal meint es wieder einmal nicht gut mit Polen“, sagte die Rentnerin. Wichtig sei aber, dass die Politiker in aller Welt gezeigt hätten, dass sie in diesen schweren Stunden mit Polen fühlten. „Aber der Russe ist gekommen“, schiebt die Frau noch schnell hinterher. „Der Russe“, damit meint die alte Dame den Präsidenten Dmitri Medwedew.

Angesichts des Fehlens vieler anderer hochrangiger Staatsgäste setzte der Kreml-Chef mit seinem Kommen – trotz Flugverbot – ein deutliches Zeichen der Solidarität mit Polen. Ihm schien es besonders wichtig, an der Trauerfeier teilzunehmen und damit die Annäherung der beiden Staaten voranzutreiben. Kurz vor der Messe fand Medwedew auch Zeit, sich kurz mit dem polnischen Premier Donald Tusk zu treffen. Dabei erklärte er demonstrativ, dass die Trauer beide Nationen verbinde. Der russische Präsident legte in der Marienkirche einen Strauß scharlachroter Rosen nieder und zündete eine Kerze an. Das russische Staatsfernsehen übertrug das Staatsbegräbnis direkt.

Bereits am Vortag bei der zentralen Warschauer Trauerfeier für die insgesamt 96 Opfer des Absturzes hatte der polnische Premierminister Donald Tusk erklärt, dass das Land noch immer unter Schock stehe. „Es übersteigt noch immer unsere Möglichkeiten, das Ausmaß dieser Tragödie zu begreifen, der größten in der Geschichte Nachkriegspolens“, sagte der Premierminister. Die Liste der Opfer symbolisiere die ganze Nation, erklärte der sichtlich bewegte Premier in seiner Trauerrede. „Vom 91 Jahre alten Ryszard Kaczorowski bis zur 23 Jahre alten Natalia Januszko.“ Der greise ehemalige polnische Exilpräsident habe den Zweiten Weltkrieg miterlebt, den Stalinismus, das kommunistische Regime in Polen, erinnert Tusk. Die junge Stewardess hingegen sei in einem unabhängigen Polen aufgewachsen und konnte die Freiheit in vollen Zügen genießen.

Bei den Feierlichkeiten in Warschau hatten Kaczynskis Zwillingsbruder Jaroslaw und Marta, die Tochter des verunglückten Präsidentenpaares, gefasst vor einer Bühne im Stadtzentrum gestanden, auf der ein Altar aufgebaut war. Bereits am Morgen um 8.56 Uhr waren zwei Minuten lang die Glocken und Alarmsirenen ertönt – genau zu der Zeit, als die Maschine bei Smolensk in Westrussland bei dichtem Nebel in einem Waldstück zerschellt war. Die Delegation an Bord der Maschine war auf dem Weg zu Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag der Hinrichtungen in Katyn gewesen. Der sowjetische Geheimdienst hatte 1940 22 000 polnische Offiziere und andere Mitglieder der Führungselite rund um Katyn umgebracht.

Lech und Maria Kaczynski werden auf dem Wawel-Hügel begraben, der ehemaligen Königsresidenz in Krakau. Sie ruhen dort in der Gruft neben Königen und Nationalhelden, was in Polen in den vergangenen Tagen zu heftigen Verwerfungen geführt hat. Inzwischen ist geplant, über dem Sarkophag aus hellem Alabaster später eine Gedenktafel mit den Namen aller Opfer des Flugzeugabsturzes von Smolensk anzubringen. Es gilt jedoch als unwahrscheinlich, dass die Kritiker damit milde gestimmt werden können. Sie haben angekündigt, aus Gründen der Pietät bis zur Beisetzung des Paares in der Krypta der Wawel-Kathedrale keine Kritik an der Entscheidung zu äußern. So hallten am Sonntagabend die Salutschüsse für das Präsidentenpaar über die Altstadt von Krakau – und für manche klangen sie wohl wie die Startschüsse zu einem unschönen Streit.

Knut Krohn[Krakau]

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