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Wahlsieger. Jaroslaw Kaczynski (L), Chef der nationalkonservativen Partei PiS und Beata Szydlo, seine Kandidatin für das Amt der Premierministerin.

© AFP

Polens Wahl: Auf der Suche nach Europa

Die EU steht für eine Kakofonie nationaler Egoismen. Der Wahlsieg der rechten in Polen ist ein Hilferuf. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Der hohe Wahlsieg des nationalkonservativen Lagers in Polen stellt viele Deutsche vor ein Rätsel. Manchen bereitet er auch Sorge. Das Rätsel: Nach zehn Jahren EU-Mitgliedschaft steht Polen bestens da. Die Wirtschaft wächst, nicht mal während der Weltfinanzkrise gab es ein Minus, die Arbeitslosenrate sinkt kontinuierlich. Warum wird eine derart erfolgreiche proeuropäische Regierung durch eine nationalkonservative abgelöst? Die Sorge: Droht eine „Orbanisierung“ wie in Ungarn, ein Kampf gegen Fremde, Homosexuelle und alles, was als unpolnisch und unkatholisch gilt?

Das Rätsel – lässt sich lösen, aber nicht aus rein deutscher Sicht. Die Sorge – lässt sich durch gemeinsame deutsch-polnische und europäische Anstrengungen vertreiben. Und siehe, da sandte der EU-Krisengipfel, der am späten Sonntag doch noch mit einem Aktionsplan endete, ein Signal: Europa muss Migration nicht erleiden, es kann sie begrenzt steuern.

Der Machtwechsel in Polen folgt den Gesetzen der Demokratie. Die bürgerlich-liberale Regierung hat sich in acht Jahren an der Macht personell verschlissen und sich vielen Wählern durch kleinere und größere Affären entfremdet. Von der liberalen Öffnung nach Westen haben nicht alle gleichermaßen profitiert. An vielen Bürgern auf dem Land und in den Kleinstädten ging der Aufschwung vorbei. Eine vertrauenswürdige Linke gibt es in Polen schon lange nicht mehr. Die einzige machtpolitische Alternative zur Bürgerplattform ist die nationalkonservative Partei PiS (Recht und Gerechtigkeit). Die hatte Erfolg mit dem Versprechen, das Kindergeld zu erhöhen und das Rentenalter zu senken. So vielfältig ist Europa: Eine Sozialpolitik, die Deutsche wohl eher mit der SPD in Verbindung bringen, ist in Polen nicht links, sondern rechts der Mitte verortet.

Immer neu aushandeln

Und Europa? Warum konnten proeuropäische Kräfte den Erfolg der EU-Mitgliedschaft nicht stärker nutzen? In den vergangenen zwei Jahren war es nicht einfach, Europa als Synonym für Stärke und Handlungsfähigkeit zu begreifen. Von der Euro- und Griechenlandkrise über die Reaktionen der EU auf Russlands Krieg in der Ukraine und sein Eingreifen in Syrien bis zum Umgang mit den Migrationsströmen: Die Bürger – nicht nur in Polen – erleben Europa als wenig lösungsorientiert, zielstrebig und solidarisch. Die EU steht für eine Kakofonie nationaler Egoismen, für den Verlust von Kontrolle über die Ereignisse, die Unfähigkeit, gemeinsame Regeln durchzusetzen. Wahlergebnisse wie in Polen sind so gesehen ein Hilferuf, weil das ersehnte Europa schmerzhaft fehlt. Vielerorts ist diese Entkoppelung der innenpolitischen Dynamik von der europäischen Mitverantwortung zu beobachten; ein Rückzug ins Nationale, weil EU-Europa nicht liefert, was es verheißt. Das ist in vielen EU- Ländern im Westen ebenfalls zu sehen.

Was tun? Härter daran arbeiten, dass die EU für Lösungen steht. Akzeptieren, dass nicht das eigene Volk allein vorgeben kann, was als pro- und was als antieuropäisch anzusehen ist. Das gilt für die Polen, aber ebenso für die Deutschen, die auch nur 16 Prozent der EU-Bürger stellen. Was Europa ausmacht, was es will, wie es seine Werte nicht nur predigt, sondern durchsetzt, müssen die 28 EU-Mitglieder immer wieder neu aushandeln. Die Kooperation mit Polens neuer Regierung wird nicht leichter. Gerade deshalb müssen Berlin und Warschau rasch ins Gespräch miteinander finden.

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