zum Hauptinhalt

Politik: Politik 2000: Mit sanftem Druck zur grünen Realpolitik

Anfang dieses Jahres wäre keiner eine Wette eingegangen, dass der Atomkonsens gelingt. Und noch weniger Menschen hätten einen größeren Betrag darauf gesetzt, dass ein Konsens dann auch von der Grünen-Basis mitgetragen wird.

Von Robert Birnbaum

Anfang dieses Jahres wäre keiner eine Wette eingegangen, dass der Atomkonsens gelingt. Und noch weniger Menschen hätten einen größeren Betrag darauf gesetzt, dass ein Konsens dann auch von der Grünen-Basis mitgetragen wird. Zwölf Monate später läuft das Thema unter "abgehakt". Vielleicht ein wenig vorschnell. In der Umsetzung der Vereinbarung, auf die sich die rot-grüne Regierung und die Industrie am späten Abend des 14. Juni verständigt haben, steckt noch manches Konfliktpotenzial. Schon haben Umweltaktivisten Proteste gegen jene neuen Atommüll-Transporte angemeldet, die auch nach der Vereinbarung noch jahrelang zwischen der französischen Wiederaufarbeitungsanlage La Hague, den Atomkraftwerken und dem Endlager Gorleben rollen werden. Doch der von manchem erwartete große Konflikt ist ausgeblieben. Und das, obwohl die Vereinbarung weit hinter das zurückfällt, was sich die Anti-Akw-Bewegung von ihrem parlamentarischen Arm so lange versprochen hatte. Keine Rede vom Sofortausstieg aus der potenziell gefährlichen Technik, sondern garantierte Laufzeiten um 30 Jahre - der letzte Reaktor wird, je nachdem, wie die Stromkonzerne die erlaubten Energiemengen verteilen, deutlich nach 2020 vom Netz gehen. Aber in zwei Jahren Regierung haben die Grünen eben vor allem eins gelernt: mit dem Realismus zu leben.

Das Schlüsselerlebnis war für viele Grüne der Kosovo-Krieg. Der prinzipielle Pazifismus, dem sich die Partei in Oppositionszeiten verschrieben hatte, erwies sich mit dem Ende des Kalten Krieges als untaugliche Antwort auf die Rückkehr der kleinen, aber heißen Kriege nach Europa. "Ohne die Kosovo-Erfahrung hätten wir diesen Atomkonsens niemals durchbekommen", hat noch vor kurzem ein grünes Regierungsmitglied in der Rückschau festgestellt. Der neue Realismus gründet freilich auch in einer zweiten, schmerzhaften Regierungserfahrung: Die SPD hat mehr potenzielle Regierungspartner als nur die Grünen. Die FDP steht bei Bedarf bereit, die Barrieren zur PDS hat die SPD-Führung niedriger gezogen. Die Grünen reagieren mit verteilten Rollen. Die im Regierungsgeschäft aktiv sind, bemühen sich um Nähe zum großen Partner. Die neuen Parteispitzen Kuhn und Künast pochen - zuweilen lautstark - auf Eigenständigkeit. Man kann darin eine indirekte Folge des Atomkonsenses sehen: Seit alte Konfliktthemen abgearbeitet sind, suchen die Grünen nach neuem Profil.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false