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Trügerische Symbolik. Ministerpräsident Erdogan Seite an Seite mit hochrangigen Militärs.

© dpa

Politik gegen Militär: Schwere Niederlage für die türkische Armee

Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und Staatspräsident Abdullah Gül lehnen die geplante Beförderung von Generälen ab – sie wollen der Politik den Vorrang vor den Militärs geben.

In westlichen Ländern ist es normal, wenn Politiker entscheiden, welcher General in welche Schlüsselposition der Armee befördert wird. In der Türkei ist es eine Sensation. „Die Regierung hat bekommen, was sie wollte“, lautete die erstaunte Schlagzeile einer türkischen Zeitung am Donnerstag. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und Staatspräsident Abdullah Gül hatten mehrere von den Militärs geplante Beförderungen blockiert. Selbst die Karriere eines potenziellen Generalstabschefs der kommenden Jahre hielt Erdogan auf. Es ist eine neue Erfahrung für die machtgewohnten Generäle.

In einer mehrtägigen Sitzung des sogenannten Hohen Militärrats hatten die Militärs ihre Personalvorstellungen präsentiert. Normalerweise werden die innerhalb der Armee ausgeklüngelten Beförderungen von den Politikern nur abgenickt – angesichts der Entmachtung von vier Regierungen durch die Armee seit 1960 waren türkische Politiker im Umgang mit den Militärs bisher vorsichtig bis duckmäuserisch.

Doch das war diesmal anders. Erdogan und Gül, der die Entscheidungen des Hohen Militärrats mit seiner Unterschrift in Kraft setzt, erhoben Einspruch. Ihnen ging es zunächst um den Fall von elf Generälen, die von der Justiz der Teilnahme an Putschplänen gegen Erdogan verdächtigt werden. Die Militärs mussten auf die Beförderungen verzichten.

Noch sensibler war ein anderer Streitfall. General Hasan Igsiz sollte zum Chef der Landstreitkräfte ernannt werden, dem traditionellen Sprungbrett für künftige Generalstabschefs. Erdogan sagte auch hier Nein: Igsiz soll bei der Istanbuler Staatsanwaltschaft dazu aussagen, welche Rolle er in den vergangenen Jahren bei der Einrichtung von regierungsfeindlichen Propagandawebsites spielte. Einige Inhalte dieser Internetseiten tauchten vor zwei Jahren als Beweismittel beim Verbotsprozess gegen die Erdogan-Partei AKP auf. Igsiz geht nun wahrscheinlich in den vorzeitigen Ruhestand.

Der Streit um den Hohen Militärrat hat weitreichende Bedeutung. Militärs, Politiker und Öffentlichkeit betrachteten das Gerangel um die Posten als politische Machtprobe in dem EU-Bewerberland. Am Ende gewann die Regierung. „Das Kommando haben jetzt die Zivilisten“, kommentierte die Zeitung „Aksam“. Im zähen Ringen zwischen Soldaten und Zivilisten wurden nicht alle Streitpunkte beigelegt. So war am Donnerstag die Besetzung des Postens des Heereschefs noch offen. Auch der designierte neue Generalstabschef Isik Kosaner wurde zunächst nicht offiziell von Gül ernannt. Wann dies geschehen würde, blieb unklar.

Dennoch stehe fest, dass die Armee ihre Personalvorstellungen künftig nicht mehr ohne die Politik formulieren könne, kommentierten die Zeitungen. Jubel gab es aber kaum. Wie sehr die politische Rolle der Militärs der letzten Jahrzehnte das Land geprägt hat, zeigte sich an einigen Reaktionen von Erdogan-Gegnern. Die Politik solle sich nicht in die Angelegenheiten der Armee einmischen, mahnte Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu.

Andere sehen die Generäle immer noch als notwendiges Gegengewicht zu den gewählten Volksvertretern. Der Ex-General Nejat Eslen etwa vermutet hinter Erdogans Widerstand dunkle Motive. Es gehe um einen „Machtkampf zwischen den Unterstützern der laizistischen, demokratischen Republik und den Anhängern des politischen Islam, also der Regierung“, sagte er im Fernsehen. Der aktuelle Streit um die Entscheidungen des Hohen Militärrats sei ein Zeichen dafür, dass die Politiker „mit den Traditionen der Streitkräfte brechen wollen, um das Militär außer Gefecht zu setzen“.

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