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Politikertricks: Ins Amt gerobbt

Aigner, Guttenberg, Köhler, von der Leyen - wie wird man eigentlich Minister? Die Parteichefs pokern, tricksen, quotieren. Wir werfen einen Blick durchs Schlüsselloch.

Von Robert Birnbaum

Manchmal, an einem Tag der Offenen Tür, kann der Normalsterbliche einen Blick erhaschen auf den Platz am Kabinettstisch. Ein Ledersessel steht da, auf dem Tisch ein paar Blatt weißes Papier, zwei gespitzte Bleistifte in einer schwarzen Ablageschale, Kaffee und Tee in verchromten Thermoskännchen, weiße Porzellantassen. Der Blick schweift durch die Glasfront im sechsten Stock des Kanzleramts über die Bäume des Tiergartens. Banaler Ort eigentlich, und doch, wer hier angekommen ist ... „Papa“, fragt ein kleines Mädchen, „Papa, wie werd’ ich eigentlich Ministerin?“

Gute Frage. Hören wir mal rein.

Anfang Oktober, die nordrhein-westfälische Landesvertretung in der Hiroshimastraße, später Nachmittag. Draußen nieselt es. Pause in den Koalitionsverhandlungen. Dirk Niebel futtert Lakritze. In einer Ecke stehen Angela Merkel und Ursula von der Leyen. Mikrofon an:

„Ursula, das Familienministerium …“ – Von der Leyen, alarmiert: „Ja?“ – „Wir brauchen doch jemand aus Hessen im Kabinett. Soll ich nicht mal die Silke Lautenschläger …“ – „Nein!!“ –  „ … aber jemand aus Hessen …“ – „Nein! Diese alte Zie … – auf gar keinen Fall!!!“ – „ … und Franz Josef ist ja mehr so der Typ patriarchaler Hausvater …“. Von der Leyen schaudert. Merkel, verständnisvoll: „Ursula, ich will nicht, dass du unglücklich bist. Also, ich denke, du bleibst dort am besten einfach selbst – Moment … (Westerwelle geht vorbei) … Guido, wir müssen noch eben kurz wegen der Steuerreform …“ Merkel und Westerwelle ab. Von der Leyen klappt ganz langsam den Mund zu.

Mikrofon wieder aus.

Kabinettsbildung ist eine komplizierte Sache, die Königsdisziplin der Koalitionsverhandlungen. Die Parteichefs machen die Ministerposten unter sich aus. Deshalb ist in Wahrheit kein Mikrofon dabei. Aber es wird ungefähr so gewesen sein.

Das Komplizierte an einem Kabinett ist, dass es so vielen Formen der Logik folgen muss. Früher hat sich ein Herrscher ein Kabinett gehalten, und wenn ihm einer der Bezopften und Gepuderten zu vorlaut wurde, ging der aufs Schafott. Heute sind zu beachten: Die Frauenquote. Die Männerquote. Die Jugendquote. Die Altenquote. Die landsmannschaftliche Ausgewogenheit. Das Presseecho. Die parteiflügelpolitische Ausgewogenheit. Die parteipolitische Ausgewogenheit unter besonderer Berücksichtigung der Tradition, dass die FDP, wenn die CDU das Innenministerium kriegt, die Justiz besetzt und dass die CSU ein Ressort fürs Prestige erhält sowie eins, das Geld verteilt, z. B. Bau und Verkehr. Erst danach kommt die Frage: Wen haben wir denn, der’s kann?

Mikrofon noch mal an.

Merkel (CDU), Seehofer (CSU) und Westerwelle (FDP) sitzen am Kopfende eines Tisches. Seehofer schiebt Kaffee-Zuckertütchen hin und her. Er brummelt. Es klingt wie „Weibsgesindel“. Merkel lächelt zuckersüß. „Wir ham ja nicht so’n Problem mit der Frauenquote, wenn ich mich so angucke.“ Westerwelle hebt an zu dozieren: „Uns als Freien Demokraten liegt die Gleichberechtigung seit jeher ...“ – Die beiden anderen: „Kann sie nicht wenigstens diesen Doppelnamen aufgeben?“ – Westerwelle, pikiert: „Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ist seit vielen Jahren ein Markenzeichen!“ Seehofer brummelt etwas, das nach „neuerdings“ klingt. Dann ruckt er ein Zuckertütchen nach vorne. „Ich habe soeben in vollkommener Souveränität entschieden, dass unsere seit mehreren Monaten bewährte Agrarministerin Ilse Aigner als das neue Gesicht der deutschen Entwicklungshilfe in der Dritten Welt ...“ – Westerwelle: „Tut mir sehr leid, Herr Kollege, aber das ist besetzt!“ – Seehofer schaut fragend Merkel an. Merkel mimt Unschuld. Westerwelle, staatsmännisch: „Ich darf daran erinnern, dass die Freie Demokratische Partei 14,6 Prozent der Stimmen auf sich vereint hat. 14,6 Prozent! Um dieser Stärke angemessen Ausdruck zu verleihen, werde ich Dirk Niebel ...“ Merkel schaut mit spitzer Schnute aus dem Fenster. Seehofer knüllt eine Zuckertüte. Mikrofon aus.

Als Erstes wird verabredet, wer wie viele Minister kriegt. Das folgt grob der Prozentverteilung bei der Wahl. Danach wird ausgehandelt, wer welches Ministerium kriegt. Theoretisch gilt das Prinzip Reihum: Erst zieht der Größte – CDU, Kanzlerin –, dann der Zweite – FDP, Auswärtiges –, dann der Dritte. Praktisch geht es anders. Es gibt inhaltliche Erbhöfe, die mit Parteiprofil verbunden sind. Es gilt Loyalitäten zu beachten. Es gibt sogar gelegentlich Personen, zu denen Ämter passen, obwohl übertriebene Fachkenntnis der Ministrabilität eher entgegensteht: Experten tun sich schwer mit Kompromissen und sind bei „Anne Will“ wegen Fachchinesischredens chronisch fehl am Platz.

Aus alledem muss ein Team entstehen, das sich nicht wechselseitig an die Kehle springt, aber eine clever austarierte Konkurrenz bietet. In einer Koalitionsregierung ist nicht ewiger Friede das Ziel, sondern Platzvorteil. Mancher Minister ist Minister, damit er einen anderen Minister in Schach hält. Oder auch den eigenen Parteichef.

Mikrofon, die letzte.

Wieder die Tischecke, Merkel und Seehofer warten auf Westerwelle. Seehofer setzt sein Netter-Kerl-von-Nebenan-Lächeln auf. „Angela, über KT haben wir noch nicht gesprochen. Ich finde ja, er ist noch recht jung ...“ Merkel, wie nebenher: „Ich habe ihm vorhin angeboten, ob er Innen will oder Verteidigung. Er sagt, er will Verteidigung.“ Seehofer räuspert sich, Merkel schiebt ein Zuckertütchen rüber: „Wir werden sagen, Du hast mir vorgeschlagen, dass ich Karl-Theodor die Wahl lassen soll. Ach übrigens, wie hat Erwin Huber das gestern gemeint mit der Wahlanalyse in der CSU?“ Seehofer will antworten, in dem Moment stößt Westerwelle die Tür auf. Seehofer niest. „Gesundheit!“ ruft Westerwelle. „Wenn Du willst, das kannste haben,“ sagt Merkel. „Wir würden der Einfachheit halber die Bildung behalten. Annette macht das gerne weiter.“ Seehofer kriegt einen Hustenanfall.

Mikro aus.

So ungefähr haben sie in jener Nacht in der NRW-Vertretung das Kabinett gebastelt. Es sieht dem alten übrigens ähnlich. Kanzlerinnen sind Gewohnheitswesen. Die tauschen die Leute um sich herum nicht ohne Not. Nur in der Not ...

Ein Nachspiel im November.

Franz Josef Jung sitzt im Kanzleramt und knetet die großen Hände. Merkel schaut zum Fenster raus. Jung räuspert sich. „Und du meinst, es kann da keine fried’sche Entwicklung mehr ...?“ Merkel guckt weiter raus. „Franz Josef, das musst Du selber entscheiden.“ Jung seufzt. „Also, ich muss dann wohl.“ Merkel nickt. Trauriger Abschied. Tür zu, Handy raus. „Ursula? Er hat’s jetzt verstanden. Willst du das Sozialministerium?“ Von der Leyen, spitz: „Jetzt bin ich plötzlich gut genug?“ – „Ich kann natürlich auch die Silke Lautenschläger …“ – „Nein!!! Ist ja schon gut!“ Merkel legt auf. „Beate?“ Die Büroleiterin kommt herein, den Kürschner in der Hand, das Handbuch der Abgeordneten. Alle Hessen sind rot angekreuzt. Das Handy klingelt. Im Display erscheint „Koch“. Merkel lässt es klingeln, studiert den Kürschner, bleibt bei K. „Die da, die sieht taff aus! Hallo, Roland? Ja, Franz Josef dankt gleich ab. Schade. Aber sag’ mal, was hältst Du von der Köhler? Kristina Köhler? Familie? Einverstanden? Gut.“ Merkel legt auf. „Beate? Ich brauch’ sofort diese Köhler an den Apparat. Die hat sogar ’nen Doktor, schau einer an!“

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