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Barb Byrum (l.) aus dem Landesparlament in Michigan hat "Vasektomie" gesagt - und sich damit Ärger eingehandelt.

© dapd

Politische Anstandsgrenzen: Sag niemals Vagina!

Darf man im Parlament Geschlechtsorgane beim - medizinischen - Namen nennen? Nicht überall jedenfalls. Eine skurrile Geschichte aus den USA.

Lisa Brown und Barb Byrum, zwei demokratische Abgeordnete im Landesparlament von Michigan, bekamen kürzlich eine Art Bußschweigen aufgebrummt: Beide hatten unerhörte Worte in den Mund genommen – während der Debatte über ein Gesetz, das Abtreibung deutlich erschweren soll. Ihr Nein zum Gesetz begründete Brown mit ihrem jüdischen Glauben und wandte sich an den republikanischen Parlamentspräsidenten James Bolger: „Herr Präsident, ich zwinge Sie nicht, meinen Glauben anzunehmen, warum tun Sie es? Und obwohl ich mich geschmeichelt fühle, dass Sie sich so für meine Vagina interessieren: Nein heißt Nein.“ Browns Kollegin Byrum ihrerseits hatte frech einen Änderungsantrag zum Gesetz eingebracht, das die Reproduktionsrechte von Männern ebenfalls Einschränkungen unterworfen hätte und dabei das Wort „Vasektomie“ ausgesprochen. Sterilisation des Mannes durch Durchtrennung der Samenleiter – auch das hielt Bolger, Fachjargon hin oder her, für unaussprechlich und verbot Byrum ebenfalls den Mund.

Die Provinzposse führte zu Aufmärschen, einer öffentlichen Lesung auf den Stufen des Parlaments in Michigans Hauptstadt Lansing und sie ist ein Renner in den sozialen Netzwerken. Auf Twitter türmen sich unter #sayvagina wütende wie ironische Kommentare: „Wenn du mein Recht auf Reproduktion einschränkst, kann ich das mit deinem auch tun?“ „Sag niemals dreimal Vagina“, warnt ein anderer in Anspielung auf eine alte Praktikantinnenaffäre im Weißen Haus, „sonst erscheint dir Bill Clinton mit Zigarre in der Hand.“

Sind die Amis einfach nur unverbesserliche Puritaner? Die Europäer sollten jedenfalls nicht aufs ganz hohe Ross steigen. Die Feministin Alice Schwarzer fragte in den 70er Jahren öffentlich, wo denn die angeblich natürliche Mutterliebe säße, „in den Eierstöcken etwa?“ Bei so viel Unverblümtheit tobte die Boulevardpresse. Und die Grünen, damals noch jung und ungebärdig, provozierten später mit offenem Reden über Verhütung auch das hiesige Hohe Haus: Als Waltraud Schoppe, Gründermutter der Grünen und seit 1983 Mitglied von deren erster Bundestagsfraktion, vom Rednerpult im Bonner Bundestag sagte, es gebe Sexualpraktiken, die sehr befriedigend seien „und die Möglichkeit einer Schwangerschaft völlig ausschließen“, entstand im Parkett ein Geräuschteppich, der rasch Tumultstärke erreichte.

Wenn Geschlechterfragen konkret-körperlich werden, geht es eben auch politisch manchmal zur Sache. Die ganze Angelegenheit zeige denn auch, sagt Byrum, nur den Sexismus des Gesetzgebers in Michigan. Die Frauen würden nicht gehört, „egal ob es um Abtreibung oder gleichen Lohn geht“. Sie habe zeigen wollen, was passieren würde, wenn Gesetze für Männer und Frauen wirklich gleich wären. Ihr – ironisch gemeinter – Antrag knüpfte die Erlaubnis für eine Samenleiterdurchtrennung an den Nachweis, dass das Leben des Mannes andernfalls bedroht sei. Die Behandlung von Erektionsstörungen mit Medikamenten wollte sie von einem bestandenen Herz-Stresstest abhängig machen. „Wenn es das Ziel (des Gesetzes) ist, dass so viele Kinder geboren werden wie möglich“ sagt Byrum, „dann müssen wir eben über alle medizinischen Maßnahmen sprechen, die das verhindern.“

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