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Oppositionschefin Julia Klöckner und die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer.

© dpa

Bücher von Malu Dreyer und Julia Klöckner: Lesen und wählen

Malu Dreyer und Julia Klöckner treten auch als Autorinnen gegeneinander an. Eine Doppelrezension.

Malu Dreyer, 54, wurde als Jugendliche durch den Feminismus politisiert. Als Studentin kämpfte sie für Frauenhäuser und als Staatsanwältin für eine gerechtere Welt, bevor sie in die Politik wechselte. Heute ist sie SPD-Ministerpräsidentin in Rheinland-Pfalz.

Julia Klöckner, 43, wuchs unpolitisch auf wie viele der Generation Golf. Nach dem Abitur reiste sie als Weinkönigin durch die Welt, statt sich auf Demos zu verkämpfen. Erst im Studium begeisterte sie sich für Politik. In einem Seminar musste sie die Parteiprogramme vergleichen – und trat in die CDU ein. Heute ist sie stellvertretende Bundesvorsitzende.

Zwei Politikerinnen, unterschiedliche Prägungen, fast könnte man meinen, sie gehören zwei Generationen an. Am 13. März treten sie bei der Landtagswahl in Rheinland-Pfalz gegeneinander an. Zum ersten Mal konkurrieren in Deutschland zwei Frauen bei einer Wahl um das Spitzenamt. Sie vermeiden die direkte Konfrontation, die Auseinandersetzung läuft über andere Kanäle – zum Beispiel über zwei Bücher, die Dreyer und Klöckner kürzlich über sich veröffentlicht haben.

„Wir von der SPD machen alles richtig“

Dreyer wuchs auf in Neustadt an der Weinstraße und stammt aus einem Lehrerhaushalt. Der Vater war Kreisverbandsvorsitzender der CDU und patriarchal, aber doch so weltoffen, dass er das Engagement seiner Tochter für die SPD guthieß. Dem Leser tritt ein dickköpfiger Teenager entgegen, der mit Gummistiefeln und Regenjacke im Ferienjob Trauben erntet und sich im zähen Ringen mit dem Vater durchzusetzen lernt. Glaubt man dem Buch, war sich Malu Dreyer auch als Studentin für nichts zu schade, wenn es der Gerechtigkeit aufhalf. Das Signal an die Leser ist klar: Genauso packt heute die Ministerpräsidentin an.

Doch allzu rebellisch will Dreyer nicht rüberkommen. Das linke Image, das sie sich als Sozialministerin erworben hat, passt nicht zur Rolle der konsensorientierten Landesmutter. Die Ministerpräsidentin muss für alle da sein, und Malu Dreyer hat alle im Blick: die Arbeitslosen und Alleinerziehenden („ich stehe für eine Politik der zweiten und dritten Chance“), die Weinbauern und Großkonzerne („Freundin der Wirtschaft“), Schwache und Starke („Inklusion ist ein Mittel gegen die Angst vor dem anderen“), Einheimische und Flüchtlinge. Als Regierende sieht sie das Land naturgemäß in einem guten Zustand, gibt aber zu, dass sich viel tun muss, wenn es so bleiben soll. Sie will die Digitalisierung vorantreiben, für mehr soziale Teilhabe kämpfen und für ein Einwanderungsgesetz. Vieles klingt schlüssig, doch oft nervt der staatstragende Gestus „Wir von der SPD machen alles richtig“.

Julia Klöckner kommt spritziger daher. Das ist der Vorteil der Oppositionspolitikerin, liegt aber auch an der Textform. Dreyer hat eine klassische Ich-Erzählung geschrieben (mit Unterstützung des Journalisten Hajo Schumacher). Klöckner hat sich von Martin Rupps und Volker Resing interviewen lassen und war so klug, viele kritische Nachfragen zuzulassen. Das wirkt offen und diskussionsfreudig. Als sie zum Beispiel einen „Pakt für digitale Bildung“ fordert, kommentieren die Journalisten: „Wieder ein Pakt also. Was soll man sich darunter vorstellen?“. Klöckner hat einen Think-Tank zur Digitalisierung gegründet und will Politiker, Wissenschaftler und Unternehmer zusammenbringen, um neue Berufsfelder zu entwickeln. Manchmal entlarven die Journalisten Klöckners Sätze als Phrasen, manchmal entlarvt sie die Journalisten durch Gegenfragen, bisweilen verliert sie sich im Kleinklein. Die von ihr geforderte Bildungsreform versandet in der Frage, ob Schönschrift bewertet werden soll.

Klöckner ist auf einem Weingut an der Nahe aufgewachsen – bodenständig und „geländegängig“, wie sie sagt. Sie hat Politikwissenschaften und katholische Theologie studiert und das „Sommelier-Magazin“ geleitet. Vor der Bundestagswahl 2002 kam der Anruf aus der CDU, ob sie kandidieren wolle. Der Wahlkreis galt als aussichtslos, die Männer duckten sich weg. Klöckner verfehlte das Direktmandat, zog aber dank Frauenquote über die CDU-Landesliste in den Bundestag ein.

Machtspielchen mag sie nicht

Die junge Frau schaffte es, in der skandalgeschüttelten rheinland-pfälzischen CDU aufzuräumen. Heute habe sie die härteste Opposition am Küchentisch sitzen, sagt sie – und meint ihren 22 Jahre älteren Lebensgefährten, den linken Publizisten Helmut Ortner. Der SPD wirft sie Lähmung und Geldverschwendung vor und listet genüsslich die Skandale von Dreyers Vorgänger Kurt Beck auf. Für den Fall, dass sie die Wahl gewinnt, verspricht Klöckner einen harten Sparkurs und Bürokratieabbau.

Malu Dreyer tut sich schwer, sich von ihrem Förderer Kurt Beck abzusetzen, von dem sie das Amt vor drei Jahren übernommen hat. Sie schreibt von „Fehlern“, die gemacht wurden, doch wer sei schon fehlerfrei? Ihre Stärke liegt in der Offenheit, mit der sie über ihre eigene Schwäche spricht. Als sie 34 war, wurde bei ihr Multiple Sklerose diagnostiziert. Dreyer schildert ihre Verzweiflung und wie sie die Krankheit zu akzeptieren lernte und zu neuer Gelassenheit fand. Man nimmt ihr ab, dass sie einen anderen Blick auf die Welt hat als jemand, durch dessen Leben noch nie ein Bruch gegangen ist. „Machtspielchen und Eitelkeiten, die in der Politik so hingebungsvoll zelebriert werden“, mag sie nicht.

Klöckner hat Spaß an diesen Spielchen und zieht gerne und erfolgreich die populistische Karte. Mit ihren Forderungen nach einem Burka-Verbot, nach einem Integrationspflichtgesetz und Tageskontingenten für die Aufnahme von Flüchtlingen treibt sie die SPD vor sich her. Jetzt will auch Andrea Nahles Integrationsunwilligen die Sozialleistungen kürzen.

Malu Dreyer beschreibt ihr Ideal anhand des generationengemischten Wohnprojekts, in dem sie mit ihrem Mann wohnt, und anhand der angeheirateten italienischen Großfamilie ihrer Tante, bei der sie als Kind die Ferien verbracht hat. Abends hätten sich alle Verwandten um eine Tafel versammelt, gegessen, gequatscht und den Sommer genossen. „Wollen das nicht fast alle Menschen auf der Welt, rings um einen Tisch sitzen, mit Familie und Freunden, und einfach nur reden und beisammen sein?“ Wer würde da widersprechen? Und doch scheint es, als sei Dreyer ins Hintertreffen geraten.

Malu Dreyer: Die Zukunft ist meine Freundin: Wie eine menschliche und ehrliche Politik gelingt. Bastei Lübbe, München 2015. 320 Seiten, 22 Euro.

Julia Klöckner: Zutrauen! Ideen statt Ideologien – Was mir in der Politik wichtig ist. Herder Verlag, Freiburg 2015. 192 Seiten, 19,99 Euro.

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