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Chinas Kaiserinwitwe Cixi: Eine Frau als liebster Vater

Retterin des Riesenreiches: Jung Chang verteidigt die chinesische Kaiserinwitwe Cixi.

Chinas Kaiser Tongzhi war gerade gestorben, noch keine 19 Jahre alt. Ob er sich in Pekings Bordellen die Syphilis geholt hatte oder es nur die Pocken waren, wird man nie sicher sagen können. Seine Ehefrau, möglicherweise schwanger, folgte ihm bald darauf in den Tod; sie brachte sich um. Im Frühjahr 1875 hatte das Riesenreich keinen Kaiser mehr und keinen Thronfolger – dafür aber eine Frau, die in der Verbotenen Stadt schon seit gut 15 Jahren die Fäden zog: Cixi, Tongzhis Mutter und einst Konkubine von dessen Vater. Sie verstand es auch dieses Mal, sich die Macht zu sichern: Sie adoptierte ihren Neffen und setzte ihn als Kaiser durch. Im August bestieg der Dreijährige den Thron. Auf Cixis Wunsch sollte er sie mit „liebster Vater“ anreden, später mit „mein kaiserlicher Vater“, erzählt ihre Biografin Jung Chang. „Cixi wollte den Platz eines Mannes ausfüllen.“

Kaum eine andere Frau hat in der chinesischen Geschichte eine vergleichbar große Rolle gespielt. Von 1861 bis zu ihrem Tod 1908 war die Kaiserinwitwe die einflussreichste Figur im Reich der Mitte, mit mal mehr, mal weniger Macht ausgestattet. Eine Herrscherin, die die Führungsrolle nur stellvertretend ausfüllen durfte – und verborgen hinter einem Wandschirm, wie es sich für eine Frau am Hof geziemte. 1911 brach das Kaiserreich zusammen und die Revolution aus, und Cixi wurde endgültig zu dem, was sie für manche schon zu Lebzeiten gewesen war: zu einem Symbol der Dekadenz. Sie galt nun als Despotin, Verschwenderin, Intrigantin, als Mörderin gar.

Jung Chang ist mit ihrer Biografie angetreten, dieses Bild, das in der jüngeren Geschichtsschreibung schon relativiert wurde, zu korrigieren. Chang, 1952 in der Provinz Sichuan geboren, ging 1978 nach England, wo sie in Linguistik promovierte und seither lebt. Bekannt geworden ist sie Anfang der 90er Jahre mit „Wilde Schwäne“, das sich weltweit millionenfach verkaufte. Es erzählt die Geschichte dreier Generationen im China des 20. Jahrhunderts. Mit der gleichen Leidenschaft, mit der sie anschließend eine Mao-Biografie verfasste, widmet sie sich nun der Kaiserinwitwe. Der Unterschied ist, dass das erstgenannte Buch eine kompromisslose Abrechnung war, während der Ton nun von beinahe uneingeschränkter Zuneigung und Bewunderung bestimmt ist.

Chang porträtiert Cixi nicht als Frau, die entscheidend zu Chinas Niedergang beigetragen hat, sondern als große Reformerin. Das Kaiserreich war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts technologisch stark in Rückstand geraten. Es wurde sowohl von den europäischen Kolonialmächten als auch vom aufstrebenden Japan bedrängt, dem im Gegensatz zu China eine rasche Modernisierung gelang. Laut Chang verfolgte Cixi in dieser Situation, wann immer es ihr möglich war, ein Programm der Erneuerung. Die Autorin schreibt der Kaiserinwitwe die zunehmende Öffnung Chinas Richtung Westen zu, sie zeigt sie als Impulsgeberin für die Einführung von Errungenschaften wie der Eisenbahn oder westlicher Medizin und als Modernisiererin von Bildungswesen und Armee.

„Kaiserinwitwe Cixi“ liest sich kurzweilig und ist besonders stark, wenn Chang farbenfroh und detailreich das Palastleben mit seinen Ritualen beschreibt. Cixi, das wird deutlich, war zwar eine geschickte und, wenn nötig, unerbittliche Machtpolitikerin. Dass sie ständig Leute gemeuchelt hätte (ihr wurde sogar vorgeworfen, Tongzhi vergiftet und seine Frau in den Suizid getrieben zu haben), gehört jedoch ins Reich orientalistischer Fantasien. Man glaubt der Autorin gern, dass Cixi bei der Stabilisierung und behutsamen Modernisierung Chinas Erfolge vorzuweisen hatte.

Changs klare Haltung beeinträchtigt gleichzeitig die Glaubwürdigkeit des Buches. Mag in früheren Darstellungen die Bedeutung einer Reihe Provinzbeamter bei der Umsetzung von Reformen überbewertet worden sein, erscheinen diese Männer nun wie ausführende Organe der Kaiserinwitwe. Passiert etwas Desaströses – wie die demütigende Niederlage im Chinesisch-Japanischen Krieg 1894/95 –, liegt es daran, dass Cixi gerade nicht genug zu sagen hatte. Zweigt sie Geld aus dem Etat der Marine ab, um den Sommerpalast wiederaufzubauen, dann mit Gewissensbissen, und so viel war’s schließlich auch gar nicht. Schlägt sie sich auf die Seite der Reaktionäre (etwa bei der Hundert-Tage-Reform 1898), ist es nicht nur Notwehr, sondern geschieht zum Wohle des Landes.

Auch manche Fakten, die Jung Chang selbst präsentiert, passen nicht ins Bild der energischen Umgestalterin. So fällt auf, dass Cixi, die sich 47 Jahre mehr oder weniger im innersten Zirkel der Macht aufhielt, die wichtigsten Reformen erst ganz zum Schluss auf den Weg brachte – zum Beispiel das Verbot gebundener Füße. Da stand das Reich schon kurz vor dem Auseinanderfallen. Und was soll man von Cixis Wunsch nach einer konstitutionellen Monarchie halten? Der findet sich in ihrem Testament, zusammen mit der Bemerkung, das werde sie nun „leider nicht mehr erleben“.

– Jung Chang: Kaiserinwitwe Cixi. Die Konkubine, die Chinas Weg in die Moderne ebnete. Übersetzt von Ursel Schäfer. Blessing Verlag, München 2014. 576 Seiten, 24,99 Euro.

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