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Bundespräsident Joachim Gauck am 5.11.2014 im Deutsch-Luxemburgischen Schengen-Lyzeums in Perl (Saarland).

© dpa

Gauck-Biographie: Bürger im Niemandsland

Johann Legner, einst ein enger Vertrauter von Joachim Gauck, versucht dessen Mythos zu erklären. Eine Rezension

Von Antje Sirleschtov

War das nun Joachim Gauck, der da sprach an diesem Wochenende oder war das der Bundespräsident? Kein anderer als er selbst hatte diese Unterscheidung zwischen dem Bürger und dem Staatsoberhaupt Gauck thematisiert. Das war schon im Mai 2012 in einem „Zeit“-Gespräch, als Gauck gerade ins Schloss Bellevue eingezogen war. Vor ein paar Tagen nun hat sich der Präsident wieder per Interview zu Wort gemeldet. Am Vorabend des 9. November, an dem sich zum 25. Mal der Fall der Mauer jährt, und nach der Landtagswahl in Thüringen, wo ein rot-rot-grünes Bündnis sich gerade anschickt, zum ersten Mal einen Ministerpräsidenten der Linkspartei ins Amt zu heben. Mitten hinein in die Mitgliederbefragung der Landes-SPD hatte Gauck die Frage gestellt, ob die Linke von den Vorstellungen der SED „tatsächlich schon so weit weg“ sei, dass man ihr vertrauen könne.

Freundlich fällt es nicht aus

Gauck oder Präsident? Dass diese Frage überhaupt auftauchen kann, dass ein Bundespräsident – und sei es nur für einen Moment – die gebotene Zurückhaltung seines Amtes in der Tagespolitik zur Seite und seine aus eigener Biografie erklärbare Ablehnung einer Partei ins Rampenlicht schiebt: Wen könnte man besser um Aufklärung zu diesem Zwiespalt bitten als Johann Legner? Journalist, freier Autor und vor allem langjähriger engster Weggefährte des Joachim Gauck. Eben dieser hat seine Sicht auf den Mann an der Spitze des Staates nun vorgelegt. „Träume vom Paradies“ nennt Legner sein Buch, das man zum Lesen denen empfehlen kann, die sich der Person des Präsidenten nähern wollen und denen es nicht genügen will, Gaucks eigene Sicht auf sich („Winter im Sommer – Frühling im Herbst“, München 2009) zur Grundlage der Beurteilung zu machen.

Allzu freundlich fällt Legners Werk nicht aus für den Mann im Bellevue. Aber man möchte ihm folgen, weil man spürt, dass ihn keine niederen Gründe zu Rache oder Abrechnung treiben, dass er darum kämpft, die Bewunderung für den Mann, über den er schreibt, zur Seite zu schieben, sich frei zu machen von dem, was Gauck so faszinierend macht für viele. In den Rostocker Kirchen der 80er Jahre, auf den Podien Europas in den 90er Jahren und nun überall dort, wo der erste Mann im Staate spricht, schweigt oder zu Tränen gerührt wird.

Legners Gauck ist ein Mann, der im Rückblick scheinbar immer auf der Seite des Guten und Richtigen stand. Ein Mann, durch dessen Intelligenz und Wortgewaltigkeit Menschen seit Jahrzehnten in Bann gezogen werden. Ein Mann, der das weiß und auch nutzen kann. Und ein Mann, den beim ersten Mal Sozialdemokraten und Grüne fürs höchste Staatsamt empfahlen, dem beim zweiten Mal die FDP zur Nominierung verhalf und dem nun, wo er die nahe Wahl eines Linkspartei-Regierungschefs beklagt (und damit eine Machtoption von Rot-Grün bei der nächsten Bundestagswahl untergräbt), der Applaus von CDU und CSU entgegenschallt. Als politisches „Niemandsland“ bezeichnet Legner den Raum, in dem das Staatsoberhaupt agiert. Gauck, ein Unpolitischer? Ein Buch über einen, dem das Fortkommen beinahe über alles zu gehen scheint. Der sich „glänzend bei all seinen Auftritten bewährt“, den aber die „Schwierigkeit, Verantwortung zu übernehmen“, überallhin begleiten soll.

Er verschweigt seine Familiengeschichte

Legners Versuch, den Mythos Gauck zu erklären, gipfelt schließlich in einem unerhörten Vorwurf: Gauck nämlich, schreibt Legner, verschweige und verschleiere bewusst die Nazi-Vergangenheit seiner Eltern. Aus „Scheu, seine eigene Familiengeschichte einer kritischen Würdigung auszusetzen“. Für sich genommen ein Phänomen der Generation derer, die am Ende der Nazi-Diktatur zur Welt kamen und später erschrocken zur Kenntnis nehmen mussten, dass die nächsten Familienmitglieder entweder wussten, was im Namen der deutschen Nation geschah, oder sogar beteiligt waren – als Täter, Halb-Täter, Mitläufer, Angepasste. So weit, so normal.

Jedoch, und da lenkt Legner den Blick auf den Bundespräsidenten und dessen Selbstverständnis: Wenn einer wie Gauck in den 90er Jahren als Kopf, Gesicht und Stimme der Stasi-Unterlagenbehörde immer wieder lautstark die kritische Beschäftigung mit der zweiten deutschen Diktatur – der DDR – anmahnte, und das ja bis heute auch im Präsidentenamt tut, dann erwartet er viel von den Menschen. Wenn dieser Mann nun mit der eigenen Familien-Verantwortung großzügig umgeht und sie noch nicht einmal den Begleitern des Vereins „Gegen Vergessen – für Demokratie“, dem er lange Jahre vorgestanden hatte, offenlegt. Welches Recht hat dieser Mann dann, ehemaligen SED-Mitgliedern in Thüringen zu unterstellen, sie hätten sich noch nicht wirklich vom Honecker-Regime verabschiedet und seien mithin untauglich für höchste politische Regierungsämter? Und wie glaubwürdig sind seine Mahnungen?

Johann Legner: Joachim Gauck. Träume vom Paradies. Biografie. C. Bertelsmann, München 2014. 254 Seiten, 19,99 Euro.
Johann Legner: Joachim Gauck. Träume vom Paradies. Biografie. C. Bertelsmann, München 2014. 254 Seiten, 19,99 Euro.

© C.Bertelsmann

Seit der Mann aus dem Schloss Bellevue dieser Tage zum Mikrofon griff und die Linkspartei zum Thema machte, ist er zum bestimmenden öffentlichen Gesprächsthema rund um den Jahrestag des Mauerfalls geworden. Darf er das? Soll er das? Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht über Joachim Gauck gesprochen wird. Seine Verteidiger legen dabei vor allem dar, dass die Deutschen doch ein Staatsoberhaupt wünschten, das mutig und offen die Nöte der Nation anspreche, was der Präsident nun eben getan habe. Offen jedoch ist bisher, ob am vergangenen Wochenende der Bundespräsident, in ernsthafter Sorge um den Stand der DDR-Aufarbeitung, das Wort ergriff. Oder am Ende nur der Bürger Gauck.

– Johann Legner: Joachim Gauck. Träume vom Paradies. Biografie. C. Bertelsmann, München 2014. 254 Seiten, 19,99 Euro.

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