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Churchill-Briefmarke.

© picture alliance / dpa

Winston Churchill: „Wir werden unsere Insel verteidigen“

Das Gebrüll des Löwen: Winston Churchill, sein Leben und die umstrittene Wirkung seiner berühmten Reden. Eine Rezension von zwei Neuerscheinungen.

Als im Dezember 2014 der Nachlass der Lady Mary Soames, Churchills jüngster Tochter, bei Sotheby’s versteigert wurde, war die Resonanz enorm: Möbel, Teller, signierte Erstausgaben und andere Gegenstände aus Churchills Besitz kamen unter den Hammer; ein roter Dienstkoffer, den Churchill als Kolonialminister mit sich trug und der der Tochter später zum Aufbewahren von Hundeleinen diente, ging für 158 500 Pfund weg. Daran wird deutlich: Die Popularität des charismatischen Politikers ist in England bis heute ungebrochen. Dabei galt Churchill, der schon zwei Parteiwechsel hinter sich hatte, Ende der 1930er Jahre als politisch gescheiterter Mann. Als Premierminister Neville Chamberlain, am 30. September 1938 nach seiner Rückkehr aus München, wo die bedingungslose Abtretung der sudetendeutschen Gebiete durch die Tschechoslowakei besiegelt wurde, als Friedensretter bejubelt wurde, stand der 65-jährige Churchill mit seiner tiefen Skepsis isoliert da. Unbeeindruckt prangerte er die Preisgabe mit den Worten an, „dass der deutsche Diktator, anstatt die Speisen vom Tisch zu rauben, sich damit zufrieden gibt, sie sich Gang für Gang servieren zu lassen … Schweigend, trauernd, verlassen und gebrochen versinkt die Tschechoslowakei in der Dunkelheit“. Die düstere Prognose sollte sich noch schneller erfüllen, als selbst Churchill vermutet hatte: Am 15. März 1939 rückten deutsche Truppen in Prag ein.

Blut, Mühsal, Tränen und Schweiß

Diese apokalyptische Ansprache ist die erste von 24 Reden, die im Europa Verlag neu aufgelegt wurden, ergänzt um die Zürcher Rede von 1946. Eingeleitet wird der Band durch einen Essay von Klaus Körner. Darin schreibt er, dass Churchill lispelte und sich den rhetorischen Ruhm hart erarbeiten musste. Bereits auf seine erste Parlamentsrede 1901 bereitete er sich wochenlang minutiös vor, lernte den Text auswendig und trug ihn schließlich in einer einstündigen Rede vor. Freilich entfaltet sich die Wirkung seiner Worte im Original weitaus stärker als in der deutschen Übertragung, zumal hier der stark alliterierende Stil Churchills nicht hinreichend zur Geltung kommt. Dass die deutsche Übersetzung eher verstaubt wirkt, mag noch verzeihlich sein. Ärgerlich ist indessen, wenn „final victory“ mit „Endsieg“ übersetzt wird, einem Ausdruck aus dem NS-Jargon.

In jedem Falle lohnend wäre es, seine Reden im Original zu hören. Bemerkenswert ist dabei, dass seine Stimme trotz der dramatischen Umstände gefasst klingt, im Gegensatz zu den Hasstiraden seines Kontrahenten Adolf Hitler. Zwar scheute er vor bitteren Botschaften an seine Landsleute nicht zurück, stärkte aber zugleich ihre Zuversicht und ihr Selbstbewusstsein. Kaum eine Rede vermittelt dies so intensiv wie seine legendäre Antrittsrede als Kriegspremier am 13. Mai 1940, in der er seine Bevölkerung auf „Blut, Mühsal, Tränen und Schweiß“ einschwor – drei Tage nach dem Angriff der Wehrmacht auf Frankreich.

Da es sich bei der vorliegenden Redesammlung um eine Neuauflage handelt, hätte es nahegelegen, in dem einleitenden Essay Richard Toyes Buch „The Roar of the Lion“ zu erwähnen, das 2013 in England für Furore sorgte. Der Historiker vertrat darin die Ansicht, dass die Wirkung der Reden Churchills bisher überschätzt werde und die Zustimmung der Briten zu ihrem Kriegspremier geringer gewesen sei als lange Zeit angenommen.

Die größte Niederlage war für Churchill die Aufgabe Polens

Thomas Kielinger, London-Korrespondent der „Welt“, setzt sich in seiner Biografie mit den Thesen Toyes auseinander. Dabei stellt er klar: dass es inmitten einer vom Luftkrieg betroffenen Bevölkerung auch Äußerungen der Unzufriedenheit gegeben habe, sei offenkundig, zumal unter den Bedingungen einer Demokratie. Dennoch sei die Zustimmung der Briten zu ihrem Premier während des Krieges nie unter 78 Prozent gefallen.

Breiten Raum nimmt bei Kielinger die Auseinandersetzung um die Appeasementpolitik ein. Mit Beginn der Kriegshandlungen hatte die sich noch längst nicht erledigt, denn ihre Galionsfiguren, Chamberlain und Viscount Halifax, waren weiterhin im Kriegskabinett Churchills vertreten. Vor allem Außenminister Halifax forderte, über Mussolini Friedensverhandlungen mit den Deutschen auszuloten. Kielinger merkt an, dass die Bemühungen um ein Arrangement mit dem Deutschen Reich nicht vorschnell diskreditiert werden dürften. Denn diese Position schien, schreibt Kielinger, durchaus in der britischen Tradition des Pragmatismus zu stehen. Vor allem aber: Die Lage Englands war extrem bedroht, der europäische Kontinent von den Nationalsozialisten beherrscht und die USA verharrten in Neutralität.

Der Verfasser erinnert daran, dass während der dramatischen Tage von Dünkirchen Ende Mai 1940, als über 300 000 britische und französische Soldaten, in unmittelbarer Reichweite der deutschen Panzerverbände, mit dem Rücken zum Meer standen, Churchill mit aller Energie versuchte, sich den hartnäckigen Bemühungen von Halifax um Friedenssondierungen zu widersetzen. Am 28. Mai, die Evakuierung des Expeditionskorps hatte gerade erst begonnen, hielt er vor dem erweitertem Kabinett eine mitreißende Rede, mit der er sich schließlich die Loyalität der Kabinettsmitglieder sicherte. Nachdem das Expeditionskorps über den Ärmelkanal gerettet werden konnte, hielt Churchill am 4. Mai 1940 vor dem Unterhaus eine Rede, in der er seinen kompromisslosen Kurs gegen Hitler erneut demonstrierte: „Wir werden auf den Meeren und Ozeanen kämpfen … wir werden in der Luft kämpfen, wir werden unsere Insel verteidigen, was immer es uns auch kosten möge.“

Der Widerstandswille Churchills korrespondierte mit seinem persönlichen Mut, für den der Autor Beispiele gibt, etwa als der Premier den Oberkommandierenden der Invasionstruppen Dwight D. Eisenhower drängte, die Soldaten bei der Landung in der Normandie begleiten zu dürfen. Und schon 1915, als er nach dem Dardanellen-Desaster als Marineminister zurückgetreten war, wofür er, wie der Verfasser argumentiert, zu Unrecht verantwortlich gemacht wurde, ließ er sich als Oberstleutnant an die Front nach Flandern versetzen. Auf der anderen Seite des Grabens, keine drei Kilometer entfernt, befand sich übrigens zur gleichen Zeit ein österreichischer Gefreiter namens Adolf Hitler.

Auch wenn bereits im Titel die Sympathien Kielingers für Churchill anklingen, erliegt er nicht der Gefahr einer Glorifizierung. So habe Churchill als Kriegsminister 1920 den RAF-Stabschef Hugh Trenchard zum Einsatz von Giftgas gegen Aufständische in Mesopotamien ermuntert. Diese brutale Rücksichtslosigkeit stehe wiederum im Gegensatz zu einem Brief an Trenchard im Jahr darauf, worin er ihn dafür rügte, dass Zivilisten, die bei einem See Schutz gesucht hatten, getötet worden waren. Im Jahr 1920 traf Churchill die fatale Entscheidung, aus dem religiös und ethnisch zerrissenen Irak einen Nationalstaat zu konstruieren. Damit wurden gleichzeitig die Erwartungen der Kurden enttäuscht, durch den Zusammenschluss mit auf türkischem Territorium lebenden Stämmen einen eigenen Staat zu erhalten. Für Churchill hätte die Gründung eines kurdischen Staates den Zugriff Londons auf die um Mossul vermuteten Ölquellen gefährdet.

Die größte Niederlage war für Churchill nicht etwa der Verlust der Kolonien, sondern die Aufgabe Polens. Im Frühjahr 1945 wurde rasch klar, dass sich Stalin an sein Versprechen von Jalta, die von ihm installierte polnische Regierung auf eine breitere demokratische Grundlage zu stellen, nicht gebunden fühlte. War Polen nicht der Grund dafür gewesen, dass Großbritannien 1939 in den Krieg eingetreten war? Jedenfalls erwog der Premier im Mai 1945 – die amerikanische Demobilisierung stand unmittelbar bevor – sogar einen Angriff auf die Sowjetunion. Als Generalstabschef Hastings Ismay mit diesen Planspielen konfrontiert wurde, soll er bestürzt gewesen sein. Jedenfalls war die „Operation Unthinkable“ alsbald vom Tisch. Erst 1998 tauchten die brisanten Dokumente darüber wieder im britischen Nationalarchiv in Kew auf.

Churchill malte Genrebilder der Natur

Churchill sei jedoch kein Kreuzritter gewesen, betont Kielinger. Zwar habe er in seinem Vortrag in Fulton/Missouri im März 1946, in dem er erstmals öffentlich vom „Eisernen Vorhang“ sprach, an die Geschlossenheit der westlichen Welt appelliert. Aber er bekundete in dieser Rede und darüber hinaus seine Bereitschaft, mit den Russen zu kooperieren. Dabei warnte er immer wieder vor einem atomaren Armageddon.

Nicht zuletzt deshalb hoffte er auf den Friedensnobelpreis. Als er 1953 stattdessen den Nobelpreis für Literatur erhielt, reagierte Churchill enttäuscht. Gleichermaßen lebendig wie einfühlsam geschrieben, überdies mit der schier uferlosen Literatur über Churchill gut vertraut, stellt Kielinger den Werdegang der charismatischen Persönlichkeit umfassend dar. Winston wurde 1874 als Sohn einer exzentrischen amerikanischen Millionärstochter und des Politikers Randolph Churchill, der sich als Schatzkanzler mit seinen konservativen Kollegen überwarf, geboren. Den Absolventen der Militärakademie Sandhurst verschlug es als Kavallerist und Kriegsreporter in die entlegensten Ecken des Empire; berühmt wurde er spätestens nach seiner spektakulären Flucht aus der burischen Kriegsgefangenschaft 1899.

Weniger bekannt ist, dass Churchill leidenschaftlich malte, vornehmlich Genrebilder der Natur. Für Churchill war dies nicht bloß ein Hobby; denn gerade in Zeiten, in denen er kein politisches Amt bekleidete, wie in den Jahren zwischen 1929 bis 1939, neigte er zu Depressionen. Dann half ihm die Malerei, den „schwarzen Hund“, der ihn immer wieder ansprang, abzuschütteln und seine innere Balance zu bewahren.

Als Churchill am 24. Januar 1965 starb, nahmen die Briten nicht nur von einem bedeutsamen Staatsmann Abschied, sondern von einer ganzen Ära. Eindrücklich schildert Kielinger, wie Abertausende die Straßen Londons säumten und im Hyde Park 90 Kanonenschüsse abgefeuert wurden, „einer für jedes Lebensjahr des Toten, Big Ben hat um zehn Uhr aufgehört, die Stunden zu schlagen“.

Winston Churchill: Reden in Zeiten des Krieges. Europa Verlag, Zürich 2014. 384 Seiten, 15 Euro.

Richard Toye: The Roar of the Lion. The Untold Story of Churchill’s World War II Speeches. Oxford University Press, Oxford 2013. 309 Seiten, 25,95 €.

Thomas Kielinger: Winston Churchill. Der späte Held. Eine Biographie. C. H. Beck Verlag, München 2014. 400 Seiten, 24,95 €.

Boris Peter

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