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Politischer Aschermittwoch: "Kein Tsunami, nur eine Westerwelle"

Zwei Redner für ein Hallelujah: Sie gehören zur selben Koalition, sind sich aber in fast nichts einig. Der Aschermittwoch sollte der Tag der Abrechnung werden – ein Fernduell zwischen Seehofer und Westerwelle

Von
  • Robert Birnbaum
  • Hans Monath

Es soll alles sein wie immer. Das Bier in den Liter-Maßkrügen. Die Kellnerinnen mit Dirndl und üppigem, wie man hier landläufig sagt, Holz vor der Hütt''n. Die Plakatsprüche an der Wand der Dreiländerhalle. „Horst, wir glauben an dich“ steht da oder „CSU Ministerpräsident – das schönste Amt der Welt“. Und der Unverdrossene mit dem Trachten-Filzhut ist natürlich da. Jedes Jahr zum politischen Aschermittwoch in Passau bringt seine Truppe ein Plakat mit, auf dem der aktuelle CSU-Liebling zum nächsten Bundeskanzler ausgerufen wird; eine fast rührende Zuversicht angesichts der historischen Tatsachen. Der aktuelle Favorit für 2013 heißt Karl-Theodor zu Guttenberg. Schon mal nicht ganz in Horst Seehofers Sinn, vermutlich. Aber das ist heute dessen geringste Sorge. Es schmerzt viel mehr, dass es gar nicht ist wie immer. Das Problem liegt in einer kleinen Ortschaft eine halbe Autostunde donauaufwärts. „Wo ist dieses Straubing?“ fragt einer aus der CSU-Führung. Das soll ironisch sein. Es klingt aber unfroh.

Das kleine niederbayerische Städtchen Straubing ist an diesem Mittwoch der Ort, an dem der Mann beklatscht wird, der die politische Republik gegen sich aufgebracht hat. Als FDP-Chef Guido Westerwelle sich kurz nach zehn Uhr morgens mit seinem Pulk einen Weg durch die Tischreihen seiner Parteifreunde in der Joseph-von- Fraunhofer-Halle bahnt, streckt ihm einer aus der Menge vor der Bühne gar die Hand entgegen und ruft: „Weiter so!“

Der Vizekanzler ergreift die Hand, versteht aber im Lärm des bayerischen Defiliermarsches die Botschaft nicht. „Wie bitte?“, fragt er betont höflich in den von allen Seiten heranbrandenden Begrüßungsapplaus hinein. „Weiter so!“, ruft Ignatz Bauer da nochmal. Der 76-Jährige kommt aus Burghausen und ist seit 25 Jahren Liberaler. Da wird das Lächeln des FDP-Chefs noch strahlender, er drückt sein Kreuz durch, schreitet weiter.

Seit Tagen bestimmt er mit seiner Kritik an den Hartz-IV-Leistungen die Debatte, ein Großteil der Union, sogar die Bundeskanzlerin ist von ihm abgerückt, sie wird es am Abend im Mecklenburg-Vorpommerschen Örtchen Demmin wieder tun, wenn auch auf ihre eigene undurchsichtige Art. Zuvor ist aber Westerwelle dran, als er morgens die Wirkung seiner wieder gewonnenen Radikalität und Aggressivität zum ersten Mal vor Publikum testet. So groß ist der Andrang, dass man am Abend zuvor zu den 550 Stühlen in der modernen Halle noch mal 150 dazustellen ließ. In Oppositionszeiten hat die Peschl-Terrasse in Passau gereicht. Die Gaststätte war mit 300 Gästen schon übervoll.

Jetzt ist er an der Macht, und mit Macht legt er los. Keine Silbe seiner Hartz-Sätze will er zurücknehmen: „Ich blei-be da-bei“, ruft er in den Saal: „Leis-tung muss sich loh-nen. Und wer ar-bei-tet, muss mehr ha-ben als der, der nicht ar-bei-tet.“

Drüben in Passau zieht Horst Seehofer inzwischen in seine Halle ein. Die Kapelle spielt auch hier den bayerischen Defiliermarsch, was hier übrigens protokollarisch korrekt ist, weil der dem Ministerpräsidenten vorbehalten ist. Der Saal klatscht rhythmisch, der Herr Ministerpräsident nickt ein wenig steif nach rechts und links. „Reden, was Sache ist“, steht auf der Wand hinter dem Podium. „Am größten Stammtisch der Welt.“

Der niederbayerische Bezirkschef Manfred Weber als Anheiz-Redner schüttet denn auch den rituellen Spott über die anderen aus: 105 Zuhörer bei den Grünen, 350 bei der SPD, in diesem Straubing der Saal, na schön, „einigermaßen gefüllt“. Hier sind es vielleicht 4000 meist ältere Damen und Herren. Der größte Stammtisch ist also wirklich bei der CSU. Aber zum ersten Mal macht ihr ein anderer die Lufthoheit streitig.

„Genau so isses!“, rufen da 75 Kilometer entfernt schon die ersten an Straubinger Tischen mit blaugelben Fähnchen und Bier. Als Westerwelle seine Rolle als einsamer Mahner in einer angeblich abgrundtief unehrlichen politischen Welt ausbaut, johlen sie vor Begeisterung. Der Zuspruch zeige, sagt Westerwelle, dass nicht die Leitartikler Politik machten, sondern dass es „immer noch darum geht, was die Bürgerinnen und Bürger in ihrer Mehrheit entschieden haben, was sie fühlen und was notwendig ist“.

Nach sechs Minuten ist Westerwelle schon bei der gefährdeten Mittelschicht, als deren einziger Fürsprecher er sich präsentiert: „Ich spreche nur aus, was in Wahrheit alle Politiker wissen. Aber sie trauen es sich nicht auszusprechen, weil sie fürchten, das Volk verträgt die Wahrheit nicht.“ Den Bezug zur Realität „ziemlich verloren“ hätten „die in Berlin“.

Der Vizekanzler als Antipolitiker - das gibt begeisterten Applaus. Westerwelles Zeigefinger sticht heftig Löcher in die Hallenluft, der ganze Körper bebt im Takt der Argumente. Er hat sich warm geredet und gibt dem Publikum die harten Attacken und höhnischen Zuspitzungen, die es erwartet: „Man muss schon wirklich linksextrem in der Birne sein, wenn Leistungsgerechtigkeit als rechtsradikal gilt“, schmettert er. Nur eins fehlt ein bisschen an einer klassischen Aschermittwochsrede. Die Attacke trifft so recht keinen konkreten Gegner. Wer ein Fernduell mit Horst Seehofer erwartet hat, wird enttäuscht. Im CSU-Land erlaubt sich Westerwelle nur den Hinweis, keine Entscheidung in der umstrittenen Gesundheitspolitik der Liberalen werde jemals „so teuer, wie das, was die bei den Landesbanken alles verbrannt haben“.

Am Debakel der Bayerischen Landesbank war Seehofer noch nicht beteiligt. Also kommt er in der 51-minütigen Rede Westerwelles so wenig vor wie der Ärger über die schwarz-grünen Signale führender Unionspolitiker, die miserablen Umfragewerte der Liberalen vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen – abgestürzt auf sieben Prozent, die Hälfte jenes Werts, mit dem sie bei den Bundestagswahlen an die Macht kamen.

Drüben in Passau fällt der Aschermittwoch ebenfalls ein wenig anders aus als sonst. Rechts und links vom Rednerpult flattern Fahnen: die deutsche, die der CSU, die bayerische. Das Flattern kommt von einer Windmaschine. Seehofer ist beim Tagesordnungspunkt „Beschimpfung des politischen Gegners“ angekommen. Das sei, sagt er, nicht so einfach, weil, wer sei denn da noch? Die SPD mit Sigmar Gabriel? „Er wirft breiten Schatten, aber er hinterlässt keine Spuren.“ Die Grünen? „In Bayern tragen sie manchmal grüne Gewänder, aber darunter sind noch immer rote Unterhosen!“ Als die Reihe an „meinen Freund Guido“ kommt, fängt Seehofers Stimme, wie’s der Teufel will, auf einmal an zu kicksen. „Wir sind in der Koalition, die wir wollten und wollen“, sagt er. Zur „Gelassenheit“ rät er dem Freund. Kurz spottet er sogar über ihn: Dass der FDP-Chef neulich gedroht hat, er könne auch anders, „da beben die Alpen – aber keine Angst, das ist kein Tsunami, das ist nur eine Westerwelle!“ Der Saal lacht. Aber das war’s schon mit dem Fernduell von dieser Seite.

Dafür gibt es einen simplen Grund. „Wer arbeitet, der muss mehr haben als der, der nicht arbeitet“, sagt Seehofer den Satz, der drüben in Straubing lauten Applaus erntet. Und in Passau jubeln sie ganz genau so. In der Sache, sagt ein CSU-Mann schulterzuckend, in der Sache habe Westerwelle ja recht. Der kann sich als FDP-Mann pure Polemik gegen Hartz-IV-Empfänger leisten. Der CSU- Chef kann es nicht. Horst Seehofer wägt seine Sätze. „Sozial ist nicht, wenn man Menschen unterstützt, die sich selbst helfen können, aber nicht wollen“, sagt er, dass es aber kein Sozialismus sei, Menschen zu helfen, die zum Beispiel bei Quelle gerade arbeitslos geworden seien. Gute Arbeitslose, sozusagen: „Das sind Leute, die sind aus unserem Holz geschnitzt!“ ruft Seehofer. Zurück zur Sachlichkeit, sagt er. Und dass er gegen die Kopfpauschale sei. Aber das formuliert er so umständlich, dass es keiner mitkriegt. Die Leute murmeln unkonzentriert.

Das soll Stammtisch sein? Als Westerwelle bei der anderen Politshow zum Thema Hartz IV kommt, wird es still im Saal. Der FDP-Chef verteidigt seinen Stil und seine Wortwahl: „Wer hätte denn diese Diskussion geführt, wenn sie in Form eines diplomatischen Bulletins veröffentlicht worden wäre?“, fragt er. Und dann macht er etwas recht Ungewöhnliches für eine Aschermittwochsrede: Er präsentiert einen Katalog mit „Sieben Anliegen für den Umbau des Sozialstaats“, die er am Abend zuvor in seinem Münchner Hotel eigenhändig aufgeschrieben hat. Nichts davon ist neu. Trotzdem werden die Thesen heftig beklatscht. Wenn die Straubinger Zuhörer repräsentativ sind für die Stimmung der FDP- Wähler, dürfte sich der Vizekanzler bestätigt sehen.

Als die „Original Straubinger Musikanten“ längst wieder den Ton angeben, eilt er zum Auto. Wie hat er seinen Anhängern versprochen? Er müsse als Außenminister nur im Ausland diplomatisch auftreten. Im Inland gehöre er weiterhin dem „Verein für klare Aussprache“ an. Was übrigens von Franz-Josef Strauß stammt, ausgerechnet.

Drüben in Passau hat Seehofer den Schlussbeifall rasch selbst gedämpft. Dies war kein starker Auftritt und hat keiner sein dürfen. Die Lage in der Berliner Koalition ist zu fragil. So sehr die CSU in den letzten Wochen lustvoll den Partner FDP gereizt hat, so sehr wissen sie, dass das nicht ewig so weiter gehen kann. Zugleich sind die Christsozialen ratlos vor Westerwelles Furor. Sie glauben aus eigener Erfahrung nicht mehr unbedingt daran, dass man nur laut schreien muss, um Wähler zurück zu gewinnen. Aber der FDP-Chef lässt sich ja nicht aufhalten.

Neulich in der Koalitionsrunde hat Angela Merkel versucht, Westerwelle sachte zu bremsen, aber der hat den Rücken durchgedrückt und ausgerufen: „Ich erwarte, dass man mich in dieser Runde ernst nimmt!“ Der Auftritt hat sich in der Union rumgesprochen, von Kopfschütteln begleitet. Spätestens seither machen sie sich ernste Sorgen. Auch Merkel. Doch bei ihrer Rede in Demmin verpackt sie das listig – in ein Lob der Großen Koalition. Die habe „Wichtiges geleistet“ und Deutschland durch die Wirtschaftskrise „sehr gut hindurchgeführt“, sagt die CDU-Vorsitzende: ein Ruf zur Ordnung. Die Krise ist keineswegs vorbei.

Was wird da alles erst auf die Union zukommen, wenn die Wahl in Düsseldorf daneben gehen sollte? Die CSU mag den Partner FDP nicht. Nur, alle anderen mag sie noch viel weniger.

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