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Politik: Politisches Dezemberfieber

NEUE STEUERREFORM

Sie verblüffen uns immer wieder. Da hat man nun gedacht, unsere Politiker müssten erschöpft vom Mammutverfahren im Vermittlungsausschuss in die weihnachtliche Urlaubsruhe fallen, ermattet vom Ringen um ein Reformpaket, das so groß war wie selten zuvor. Aber anstatt sich und uns ein paar Tage Ruhe zu gönnen, ist schon wieder aus allen Ecken zu hören: Wir wollen mehr. So sagt es der Kanzler. So sagt es die Spitze der Opposition.

Vielleicht ist das richtig. Vielleicht aber gerät so die Politik auch in eine Atemlosigkeit, die ihr nicht immer gut tut. Fast hat es den Anschein, als ob das Reformieren plötzlich zu einer Zwangshandlung von Getriebenen im politischen Wettbewerb geworden ist. Das hat natürlich auch ganz praktische Gründe: zum einen die knappen Mehrheitsverhältnisse im Bundestag; zum anderen die Dominanz der Opposition im Bundesrat. Und drittens sind da ja auch noch die vierzehn Wahlkämpfe des Jahres 2004.

Die knappe Mehrheit des Kanzlers entfaltet in Verbindung mit der konträren Mehrheit im Bundesrat eine ganz eigene Wirkung. Schröder will und muss beweisen, dass er die Fäden in der Hand hält, es bis 2006 schafft und auch darüber hinaus. Das hält die Regierungsmaschine unter Strom. Und die Union muss, um dranzubleiben oder sogar zu überholen, auch weiter antreiben.

Dass jetzt noch in Hamburg gewählt werden muss, bringt die Parteizentralen zusätzlich ins Rotieren. Beide Seiten sind nervös. Rot-Grün, weil ein Sieg auf einmal möglich erscheint und so wichtig wäre, weil er die vergangenen Demütigungen (und mögliche neue) erträglicher werden ließe. Die Union, die immer dem nächsten Erfolg entgegenzubrausen schien, weil sie in Hamburg unerwartet auf seifigem Boden steht. Und so hat, kaum ist die erste Vermittlungsschlacht tapfer geschlagen, der Wahlkampf begonnen. Und dann kommt ja schon das nächste Vermittlungsverfahren: Haushalt, Rente, Zuwanderung. Dann im Juni die Wahlen zum Europaparlament und zum Thüringer Landtag. Im Herbst: Saarland, Sachsen, Brandenburg. Nicht zu vergessen die Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen. Wann, bitte, soll da im kommenden Jahr Zeit für vernünftige Reformen sein?

Zu befürchten ist, dass 2004 ein verlorenes Jahr wird, auch bei den Steuern, dem derzeitigen Getöse zum Trotz. Die Union will mit dem radikalen Steuerreformmodell von Fraktionsvize Friedrich Merz punkten. Der Kanzler klinkt sich ein und bietet Gespräche an: bloß keinen müden Eindruck erwecken. Einfacher soll das Steuersystem werden, und möglicherweise bleibt ja für jeden Bürger am Ende auch noch etwas hängen. Auf einem Bierdeckel soll die Steuererklärung zu machen sein, sagt Merz. Das klingt so einfach, so gut. Aber so schnell wird es keine solche große Steuerreform geben. Das Merz-Konzept der CDU hat kaum eine Chance, dazu reicht schon ein Blick nach München. Die CSU zweifelt stark an der Finanzierung. Und auch die Regierung, die jetzt so bereitwillig grüne Signale zeigt, weiß ganz genau, dass eine neue Reform bei den Steuern kaum zu vollziehen sein wird, wenn parallel dazu die alte Reform noch gar nicht ganz in Kraft ist: Die letzte Stufe dieser gerade beschlossenen Runde beginnt erst 2005. Aber die Dampfhänse in den Parteien kümmert das nicht. Voran, voran. Erwartungen werden geweckt, die nicht zu halten sind. Sie wirken wie die schneidigen Leutnants, die lospreschen, den Säbel ziehen und „Attacke“ rufen – und dann beim Umdrehen verwundert feststellen, dass die Truppen nur mit Abstand folgen. In solch einem Fall ist es am besten, sich zu sammeln.

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