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Amr Hamzawy (43) ist Politologe und hat lange als Wissenschaftler in Berlin gelebt und gearbeitet. Zurück in Kairo wurde er bei den jetzt annullierten Parlamentswahlen vor sechs Monaten als einziger Liberaler bereits im ersten Wahlgang in die erste demokratische Volksvertretung Ägyptens gewählt.

© Katharina Eglau

Politologe Amr Hamzawy: "Es gibt eine tiefe Abneigung gegen Gewalt in Ägypten"

Ägypten wählt an diesem Sonntag erneut einen neuen Präsidenten. Der Politologe Amr Hamzawy war Abgeordneter in dem nun aufgelösten Parlament. Er glaubt nicht, dass das Land im Chaos versinkt.

Das Verfassungsgericht hat das Parlament aufgelöst und damit die bisher wichtigste demokratische Errungenschaft des post-revolutionären Ägyptens annulliert. Was bedeutet dies für die Zukunft des Landes?

Mit der Auflösung des Parlaments verlieren wir die vom Volk legitimierte Legislative, die wir seit sechs Monaten hatten. Beim Aufbau demokratischer Institutionen fangen wir jetzt wieder bei Null an. Die Befugnisse des Gesetzgebers fallen an den Militärrat zurück. Grundsätzlich aber will ich unterstreichen: Entscheidungen des Verfassungsgerichts und der Justiz müssen respektiert werden. Wir sind in einer politischen Umbruchzeit, in der die Justiz eine wichtige Rolle spielt. Zuerst hat das Oberste Verwaltungsgericht die erste Verfassungsgebende Versammlung zu Fall gebracht, jetzt das Verfassungsgericht das Parlament.

Kritiker des Urteils sprechen von einem kalten Militärputsch. Drohen in Ägypten algerische Verhältnisse, wo die Annullierung der Parlamentswahl 1992 durch die Armee einen zehnjährigen Bürgerkrieg mit 200.000 Toten auslöste?

Ich gehe nicht davon aus, dass es zu einer Tragödie wie in Algerien kommen kann. Ägypten ist ein Land, das im Prinzip friedlich orientiert ist. Es gibt eine tiefe Abneigung gegen Gewalt und politische Eskalation. Wir erleben sicherlich einen Machtkampf, bei dem die Reste des alten Regimes um ihr Überleben kämpfen und momentan auf der Siegerstraße zu sein scheinen. Die Muslimbrüder wiederum haben in den letzten 18 Monaten viele enttäuscht und sind jetzt in der Defensive. Dieser zugespitzte, bipolare Machtkampf verheißt nichts Gutes für Ägypten – aber da müssen wir durch.

Ist die Entscheidung des Verfassungsgerichts gerechtfertigt? Hat das ägyptische Wahlgesetz tatsächlich eine so schwere Unwucht?

Viele Kritiker haben damals gewarnt, auch ich, dass das Gesetz verfassungswidrig sei. Dieses gemischte Wahlsystem gab es ja bereits in den achtziger Jahren und die Erfahrungen damit waren negativ. Zwei Mal hat das Verfassungsgericht das Parlament damals aufgelöst. Meiner Meinung nach haben die Richter gestern nicht aus politischem Kalkül geurteilt. Wir alle aber zahlen jetzt einen enormen Preis für einen falschen Weg. Wir haben Wahlen abgehalten ohne eine neue Verfassung. Wir haben ein Parlament gewählt, ohne dessen Befugnisse klar festgelegt zu haben. Und am Wochenende wählen wir einen Präsidenten, von dem wir nicht wissen, welche Kompetenzen er haben wird.

Sie sprechen von einem enormen Preis. Hat Ägypten überhaupt noch die Kraft, die ganze Wahlprozedur zu wiederholen?

Wir müssen die Kraft haben, das ist unsere Aufgabe als neue Akteure der ägyptischen Politik. Es ist schwierig, aber wir müssen den Menschen vermitteln, wir bleiben dran. Wir müssen aber auch zur Kenntnis nehmen, dass viele Ägypter froh sind über die Auflösung des Parlaments. Die Islamisten haben im Plenum ihre Karten überreizt, wir Liberale wurden bei allen wichtigen Entscheidungen an die Wand gedrückt. Viel Zeit wurde mit unwichtigen Fragen vertan. Und die Menschen sind schockiert, was alles an Gesetzentwürfen eingebracht wurde, mit denen individuelle Freiheiten beschnitten werden sollten.

Glauben Sie, dass die Generäle wirklich bereit sind, die Macht – wie zugesagt - am 1. Juli an eine zivile Führung zu übergeben?

Momentan steht nur eins fest - Ägypten wird am 1. Juli einen neuen Präsidenten haben. Aber die Machtübergabe ist verschoben. Der Militärrat wird die nächsten Monate weiter im Spiel bleiben. Denn die legislativen Befugnisse fallen an die Generäle zurück, solange das neue Parlament nicht existiert. Niemand weiß, was jetzt passieren wird. Wir werden in einer Grauzone leben.

Amr Hamzawy (43) ist Politologe und hat lange als Wissenschaftler in Berlin gelebt und gearbeitet. Zurück in Kairo wurde er bei den jetzt annullierten Parlamentswahlen vor sechs Monaten als einziger Liberaler bereits im ersten Wahlgang in die erste demokratische Volksvertretung Ägyptens gewählt.

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