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Der gewählte US-Präsident Donald Trump.

© REUTERS

Populismus in den USA: Trumps weiße identitäre Bewegung

Der Populismus hat in den USA eine lange Tradition. Als Unabhängiger aber hätte Trump nie gewinnen können – Glaubwürdigkeit verliehen ihm erst andere. Ein Essay.

Populisten, so heißt es häufig, seien große Vereinfacher, die simple Antworten auf komplexe Fragen böten. Deswegen glauben wir ihnen kein Wort. Anders ist es, wenn es darum geht, ihren politischen Erfolg zu erklären. Dann sind wir offenbar doch froh, ganz schnell ganz einfache Antworten zu bekommen: es läge ja alles nur an der Globalisierung oder an der Ausländerfeindlichkeit der Arbeiterklasse oder daran, dass man die Massen mit Fakten und Sachargumenten gar nicht mehr erreichen könne.

So ist denn auch Donald Trump, dem begnadeten Selbstvermarkter, seine eigene Story über den trumpistischen Triumph bei den Präsidentschaftswahlen sofort abgekauft worden: Das Volk habe sich gegen das Establishment empört, die Arbeiter wollten endlich zu ihrem Recht kommen, der Rust Belt habe’s entschieden. Nur hat „das Volk“ in seiner Mehrheit gar nicht Trump gewählt, sondern Hillary Clinton. Damit soll nicht die Legitimität der Präsidentschaft Trumps angezweifelt werden (aber es dürfte schon zu denken geben, dass die Republikaner seit 1992 nur einmal, nämlich 2004, die „popular vote“ für sich entscheiden konnten). Und diejenigen, die man noch am ehesten als wirtschaftliche Verlierer bezeichnen könnte, weil sie weniger als 50.000 Dollar im Jahr verdienen, haben mehrheitlich für Clinton votiert und nicht für Trump.

Zu kurz greift auch die Vorstellung, Trump habe nun die Wahrheit über die letztlich rassistische amerikanische Gesellschaft enthüllt. Es ist unbestreitbar, dass niemand vorher so offen gegen Minderheiten gehetzt hat. Andere Republikaner pflegten in der Vergangenheit die hohe Kunst des „dog whistling“ – sie pfiffen eine Melodie, welche die meisten Bürger gar nicht wirklich wahrnahmen, einige aber doch als an sie gerichtete Botschaften verstehen konnten. Ronald Reagan beispielsweise hielt bei seiner Wahlkampagne 1980 eine Rede in Mississippi, die von vielen als codierte Unterstützung für Südstaatler entschlüsselt wurde, die ihren rassistischen „war of life“ gegen die Bürgerrechtsbewegung verteidigen wollten. Aber direkt gesagt wurde nichts; erst Trump stellte Muslime und Einwanderer aus Mexiko ganz explizit unter eine Art Generalverdacht, Kriminelle zu sein. Jeder konnte das Pfeifen laut und deutlich hören – und entsprechend Angst haben.

Viele von Trumps weißen Wählern stimmten 2012 noch für Obama

Trump ist es gelungen, dass viele Bürger sich als Teil einer Art weißen identitären Bewegung wahrnehmen. Doch ist es ein Fehler, sich politische Repräsentation wie eine mechanische Reproduktion bereits bestehender Identitäten und Interessen vorzustellen. Repräsentation ist ein dynamischer Prozess, in dem Repräsentanten verschiedene Themenangebote machen und Probleme – und auch Fakten – auf ganz unterschiedliche Weise durch historische Erzählungen, Werte und auch emotionale Appelle einrahmen. Damit formen sie auch die Selbstwahrnehmungen der Bürger auf die eine oder andere Art. Trump hat immer wieder eine Story von Niedergang und mit ihm möglichen Wiederaufstieg Amerikas offeriert, vor allem aber auch eine Art weiße Identitätspolitik nach dem Motto: „Nach den ganzen Minderheiten mit ihren Sonderwünschen seid ihr jetzt endlich wieder dran!“

Wichtig und richtig scheint mir der Hinweis, dass in der Politik der "common sense" immer mehr verloren geht. Man könnte es auf die Formel bringen "Parteiwohl vor Staatswohl". [...] Das führt zu Spaltungstendenzen, zu neuen Blockaden... eine Abwärtsspirale, die es aufzuhalten gilt.

schreibt NutzerIn Gophi

Diese Interpretation wird teilweise bestritten, weil viele von Trumps weißen Wähler sowohl 2008 als auch 2012 Barack Obama gewählt hätten – ergo müsste ihnen die Hautfarbe doch egal sein. Dies übersieht jedoch, dass Obama in seinen beiden Wahlkämpfen Identitätsfragen fast völlig außen vorhielt und Ungleichheit und das Fehlen fairer Chancen in Amerika als die entscheidenden Herausforderungen präsentierte. Hillary Clinton hat es nicht völlig anders gemacht – aber doch viel direkter an Afro-Amerikaner und Latinos appelliert als Obama, dem es aufgrund seiner eigenen Identität leichter viel, Minderheiten zu mobilisieren. Vergeblich, so hört man jetzt aus Kreisen des sich auflösenden Clinton-Kampagnenteams, habe der alte Bill Clinton darauf gedrängt, auch weiße Arbeiter nicht zu vergessen, die er in den 90er Jahren noch für die Demokraten an die Urnen bringen konnte. Die jungen Wahlkampfstrategen hätten ihm angeblich entgegnet, diese seien inzwischen für die Demokraten verloren.

Rückschläge für Emanzipationsgewinne gab es auch früher

Somit standen sich 2016 zwei Visionen von Identitätspolitik gegenüber. Und de facto hat, was der frühere Obama-Berater Van Jones noch am Morgen nach der Wahl einen „Whitelash“ nannte, gewonnen: in Anlehnung an „Backlash“ eine Art Rückschlag gegen die Emanzipationsgewinne unter Obama. Es wäre nicht das erste Mal in der US-Geschichte: Auch nach der offiziellen Abschaffung der Sklaverei und einigen Jahren des Fortschritts für Afro-Amerikaner gab es Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts eine starke Gegenbewegung. So entfernte beispielsweise Woodrow Wilson systematisch Afro-Amerikaner aus den Bundesbehörden.

Trumps Persönlichkeit wird hier nicht ohne Wirkung gewesen sein: Ein Mann, der sich angeblich nichts gefallen lässt, der an jedem, der ihm krumm kommt, Rache nimmt oder ihn zumindest mit Klagen zu überziehen droht. Und der vor allem ungestraft die Regeln der „political correctness“ bricht – und eigentlich sogar das amerikanische Strafrecht: Bekanntlich ist die Redefreiheit in USA ja so gut wie unbegrenzt; wer aber zu Gewalt aufruft mit der Folge, dass andere diesen Aufruf auch gleich umsetzen, begeht eine Straftat. Genau das, so möchte man meinen, hat Trump bei einigen Wahlveranstaltungen getan, als er versprach, die Rechtskosten für Anhänger zu übernehmen, die Protestler mal so richtig aufmischen würden - und man mit den Anti-Trumpisten dann auch sehr ruppig umging. So entstand das Bild eines Rächers für die Unterdrückten – wobei es sich eigentlich um eine Mehrheit handelte, die sich wie eine verfolgte Minderheit gerierte. Es ist nicht ohne Ironie, dass ein Mann, der sich auch als Garant für law and order zu präsentieren wusste, selber immer wieder zum Rechtsbruch aufgerufen hat.

Ohne Kollaborateure kein Präsident Trump

Die USA halten sich bekanntlich für eine außergewöhnliche Nation. Sie sind es auch, und Donald Trump war ein außergewöhnlicher Kandidat, und man riskiert nicht viel mit der Voraussage, dass er ein außergewöhnlicher Präsident sein wird. Doch war an der Wahl, die wir gerade durchlebt haben, auch etwas ganz gewöhnliches: 90 Prozent der Bürger, die sich als Republikaner identifizieren, haben Trump gewählt; 89 Prozent der Bürger, die sich als Demokraten bezeichnen, haben für Demokraten gestimmt.

Trump hätte wohl kaum als unabhängiger Kandidat einer eigenständigen Bewegung gewonnen: Er hätte sich eingefügt in die lange Reihe sogenannter third party candidates, die immer wieder mal auftauchen und zum Teil eine Wahl auch entscheidend beeinflussen können: Man denke an den Unternehmer Ross Perot, der 1992 Clinton zum Sieg verhalf, oder an den Umweltaktivisten Ralph Nader, der im Jahre 2000 Al Gore in Florida entscheidende Stimmen wegnahm.

Rudolph Giuliani oder Chris Christie bürgten für ihn

Stattdessen war Trump Kandidat einer Mainstream-Partei, in der ihn zwar viele wichtige Figuren (und so gut wie alle reputierlichen konservativen Intellektuellen) ablehnten – aber eben auch einige glaubwürdige Schwergewichte für ihn einstanden. Bekanntlich sind ein Drittel der Amerikaner der Meinung, Trump sei nicht dazu befähigt, das Präsidentenamt auszuüben - darunter wohl auch viele Republikaner. Es brachte Männer wie den Gouverneur von New Jersey, Chris Christie, und den früheren Bürgermeister von New York, Rudy Giuliani, die den Parteianhängern immer wieder signalisierten: Ihr mögt Eure Zweifel an dem Mann haben, aber wir gestandene Politiker bürgen für ihn. Ohne diese – böse gesagt – Kollaborateure kein Präsident Trump.

Es ist kein Zufall, dass einer dieser prominenten Unterstützer, Newt Gingrich, auch der erste war, der Mitte der 90er Jahre lange stillschweigende Übereinkünfte zwischen Republikanern und Demokraten darüber, was man in der Politik darf und was nicht, aufkündigte. Er trieb als Sprecher des Repräsentantenhauses den Konflikt mit Bill Clinton immer wieder auf die Spitze. Im Winter 1995/96 ließ er es darauf ankommen, dass die Bundesbehörden ganz dicht machen mussten, weil man sich auf kein Budget einigen konnte.

Seitdem haben es die Republikaner immer wieder mal mit dieser Methode versucht und sogar den Staatsbankrott riskiert. Neben dieser neuen Radikalität ist das Gefühl, dass gewisse Institutionen jenseits aller Parteipolitik verbleiben müssen und de facto auch verbleiben, immer schwächer geworden. Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes im Jahre 2000, das Präsidentenamt an George W. Bush zu vergeben, als in Florida die Wahlzettel noch nachgezählt wurden, hat das Vertrauen in die Justiz erschüttert.

Mainstream-Parteien werden zu populistischen Bewegungen

Nicht, dass man nicht auch schon vorher wusste, dass die Richter ihre eigenen politischen Vorlieben haben – aber es gab eben noch die Erwartung, dass alle Akteure sich in der amerikanischen Verfassungslandschaft im Zweifelsfalle auch mal zurückhalten und nicht ungeschriebene Konventionen verletzen. Der Irakkrieg hatte auch hier Konsequenzen, die noch heute nachwirken: Die Regierung und viele Behörden, so der Eindruck im Rückblick, hätten aus parteipolitischen Gründen schlicht gelogen. Das jüngste, undurchsichtige Hin und Her beim FBI hat dieses Gefühl noch einmal verstärkt. Laut einer Umfrage haben inzwischen 40 Prozent der Amerikaner kein Vertrauen mehr in ihre demokratischen Institutionen.

Die „checks and balances“ der ältesten Verfassung der Welt würden einen Präsidenten Trump schon einhegen, hört man heute immer wieder. Nur: Die Verfassung ist sehr kurz und natürlich auch immer interpretationsbedürftig. Ihr Funktionieren hängt eben von vielen ungeschriebenen Regeln ab. Sie ermöglicht Konflikte, zielt aber auch darauf ab, dass die geteilten Gewalten miteinander kooperieren. Wer diese informellen Normen verletzt, wer immer wieder ans verfassungsrechtliche Limit oder auch darüber hinaus geht, wer prinzipiell keine Kompromisse mit dem politischen Gegner mehr macht und ihn moralisch delegitimiert, der ebnete auch einem Kandidaten Trump den Weg. Und er ermutigt einen Präsidenten Trump leichter, der in seinen Wahlkampfreden immer wieder angedeutet hatte, im Amt verfassungswidrig zu handeln (man denke an Trumps Idee, alle Moscheen zu schließen – eine mit dem ersten Zusatzartikel der Verfassung, der Rede- und Religionsfreiheit garantiert, vollkommen inkompatible Vorstellung).

Populisten sind nur erfolgreich mit Kooperationen

Und die Lektionen für Europa? Auch Nigel Farage hat den Brexit nicht alleine herbeigeführt. Er brauchte seine Kollaborateure, also „normale“ Konservative, die seine Brexit-Kampagne unterstützten. Populisten agieren nicht in einem Vakuum; vermeintliche Politiker des Mainstreams entscheiden mit darüber, ob die vermeintlichen großen Vereinfacher und Verführer am Ende wirklich Macht ausüben. Die Tendenz in Europa, den Blick stets allein auf populistische oder extremistische Parteien als Gefahren für die Demokratie zu richten, ist der politischen Urteilskraft nicht immer zuträglich. Was völlig aus dem Blick gerät, ist die Möglichkeit, dass sich Mainstream-Parteien zu de facto populistischen Parteien wandeln. Viktor Orbán hat das mit seiner vermeintlich „normalen“ christdemokratischen Fidesz-Partei bereits vor Jahren vorexerziert.

Wer derzeit den Reden der neuen britischen Premierministerin Theresa May zuhört, kann sich kaum des Eindrucks erwehren, hier würde die altehrwürdige Konservative Partei als eine Art „Ukip lite“ neu erfunden. Hillary Clinton schrieb in den 90er Jahren ein Buch mit dem Titel „It takes a Village“. Darin sollte gezeigt werden, dass jeder wirkliche politische und soziale Erfolg auf Kooperation beruht. Das gilt wohl auch für Populisten. Ohne Mainstream-Akteure, die helfen oder gar gleich selber zu Populisten werden, geht es nicht.

Der Autor ist Professor für Politische Theorie an der Princeton University. Zuletzt erschien von ihm: „Was ist Populismus?“, Suhrkamp, Berlin 2016.

Jan-Werner Müller

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