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Zwei vermeintlich starke Männer unter sich: Baschar Al-Assad und Wladimir Putin (rechts).

© AFP

Populismus: Sehnsucht nach dem starken Mann

Reaktionäre Abschottungsfantasien führen Isolation und Armut. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Caroline Fetscher

Auch die hundert Millionen Einwohner der Philippinen haben ihn jetzt, ihren starken Mann. Rodrigo Duterte, 71 Jahre alt, vor wenigen Tagen zum Präsidenten gewählt, verspricht brachiale Aktion gegen Kriminelle und ertüchtigende Programme für bewaffnetes Staatspersonal. „Ich brauche Militäroffiziere, die als Scharfschützen aus dem Hinterhalt schießen können“, erklärte er. Einer von Dutertes Schlachtrufen im Wahlkampf lautete: „Vergesst Gesetze und Menschenrechte!“ Alleinerziehende Mütter in den Slums sollen den Politiker genauso verehren wie die um ihren Status bangenden Millionäre.

Die globalisierte Welt ist anstrengend

Der starke Mann als Figur, als Fantasie hat Konjunktur. Und das nicht allein in jungen, typischerweise zur Regression neigenden Demokratien. In Russland erfreut sich Wladimir Putin enormer Zustimmung von mehr als 70 Prozent. Von Pakistan bis an den Rand des Maghreb hocken fast überall patriarchalische Mächtige auf dem Thron oder am Kopfende der Kabinettstische. In Amerika weckt Donald Trumps Starksprech Massen schlafender Nichtwähler, in Europa folgen Abertausende dem Trommeln von Populisten, die machtvolle Abschottung verheißen.

Zeitgenosse zu sein, ist nicht einfach. In einer Welt rapide fließender Waren- und Informationsströme kostet es Anstrengung, den Überblick zu erlangen, Geduld, sich damit abzufinden, dass man ihn immer mal verliert, und es braucht die Klarheit des demokratischen Verstandes, zu erkennen, welche Ziele man anstrebt. Moderne demokratische Repräsentationen des Staatlichen sind multiperspektivisch, sie sind in der Tendenz postnational. Rechtsstaatliche Konzepte basieren auf Verhandeln, sie richten sich auf das Einbeziehen möglichst aller.

Die Sehnsucht nach einfachen Antworten wächst

Denn die Ära des starken Mannes ist vorüber. Koloniale Imperien und großräumige Vielvölkerstaaten, das Osmanische Reich, Österreich-Ungarns Monarchie, das Zarenreich, die UdSSR oder Titos Jugoslawien, sie alle lösten sich im Streit vor allem um den „ethnisch reinen“ Nationalstaat auf. Jetzt gilt die reaktionäre Sehnsucht in manchen Nationalstaaten einer quasi-imperialen Macht, die im Zeitalter der Vernetzung zu nichts führen kann als Isolation und Armut.

Der grassierende Wunsch nach dem „starken Mann“ – ein an sich lächerlich gewordener Entwurf – ist in der Demokratie ein Symptom, und zwar ein alarmierendes. Wo der „starke Mann“ Konjunktur hat, versagen Demokratien beim Verhandeln und Vermitteln, sie versagen allen voran bei der Investition in Bildung, in das Heranbilden von Nachwuchs, der Demokratie versteht, liebt und verteidigt.

Weder ist nämlich „der starke Mann“ für die seriellen Schieflagen und Verzerrungen verantwortlich, noch sind es „die dummen Leute“ auf der Straße, auf dem Schulhof oder im Hörsaal. Verantwortlich sind in erster Linie alle, deren Aufgabe es ist, Demokratie zu vermitteln; zunächst die politische Klasse, die Lehrenden und die Medien. Ein Begriff wie „Freiheit“ zum Beispiel wurde nach und nach aus seinem politischen Bedeutungsraum deportiert ins Feld der Vorteilsfahnder, denen es primär um die Freiheit vom Steuerzahlen geht.

Wo der "starke Mann" Konjunktur hat, versagen die Demokratien

So bleibt der wachsenden Menge der Skeptiker verborgen, welche politischen Sensationen die Errungenschaften von Demokratie und Freiheit hierzulande waren – und andernorts wären. Offenbar haben die Relativierer der Demokratie das Essenzielle nirgends gelernt und erfahren, schon gar nicht mit demokratischer Leidenschaft. Auffällig ist, wie sehr derzeit nicht nur an radikalen Rändern von Stärke, vergangener oder künftiger, geschwärmt wird, sondern generell die Zufriedenheit mit Demokratie abnimmt. Jüngste Umfragen belegen das auch hier im Land, und jeder kann das selber hören. Nonchalant verkünden heute kritische junge Akademiker, es sei Arroganz, die Demokratie anderen Systemen vorzuziehen: „Bei uns gibt es doch auch krasse Ungerechtigkeit, es gibt Korruption am Bau, eine Mafia in der Gastronomie, üble Knäste, miese Löhne, Diskriminierung von Fremden, Frauen, Homosexuellen“!

Ja, das alles gibt es „bei uns“. Allerdings: Darüber berichtet eine freie Presse, dagegen wird demonstriert, damit befassen sich Kunst und Literatur. Gegen Diskriminierung arbeiten zahllose staatliche wie private Projekte, Gerichtsurteile kann man nicht kaufen, Politiker kann man abwählen. Auf die vom Grundgesetz geschützten Freiheiten ist Verlass – solange jede neue Generation sie neu annimmt und verteidigt. Das haut dann den stärksten Mann um, im besten Sinn.

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