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Porträt: Wer ist Frank-Walter Steinmeier?

In seinem Dorf war er einer der Ersten, die Abitur gemacht haben. Jetzt ist er Kanzlerkandidat der SPD. „Ich bin bereit“, sagt Frank-Walter Steinmeier.

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WIE HAT SICH STEINMEIER BEI SEINER BISHER WICHTIGSTEN REDE VOR DER PARTEI GESCHLAGEN?

Besser als viele vorher vermuteten. Als Redner ist Frank-Walter Steinmeier nicht herausragend begabt. Er musste seine Rhetorik – anders als etwa Franz Müntefering – nicht in jahrelangen parteipolitischen Auseinandersetzungen schärfen. Auch zur Wahl musste er sich die meiste Zeit seiner Karriere nicht stellen. Der Makler politischer Macht war im vergangenen Herbst als SPD-Vize zum ersten Mal in ein Parteiamt entsandt worden. Zuvor hatte er die Welt fast 20 Jahre lang durch die Fenster der Exekutive erlebt – erst in Niedersachsens Staatskanzlei, dann im Kanzleramt, schließlich im Auswärtigen Amt.

Auf dem SPD-Parteitag zeigte sich Steinmeier am Samstag dann aber rhetorisch von seiner besseren Seite. Eineinhalb Stunden sprach er vor den 480 Delegierten. Eineinhalb Stunden, in denen er die Balance hielt zwischen sozialdemokratischer Seelenmassage und dem Anspruch auf Regierungsfähigkeit. Dabei wirkte der Außenminister – anders als bei manchen seiner Pressekonferenzen und Fernsehauftritte – nur selten gravitätisch. Seine Rede enthielt alles, was ein sozialdemokratischer Kanzlerkandidat auf einem SPD-Parteitag sagen muss: Bekenntnis zu Mindestlohn, Kündigungsschutz, Atomausstieg, Kampf gegen Rechtsextremismus und Rassismus, Absage an Studiengebühren, Würdigung der Kommunalpolitik. Auch die obligaten Attacken auf den politischen Gegner – Union und Linkspartei – fehlten nicht. Darüber hinaus erhob Steinmeier bei seinem Auftritt aber den Anspruch, das Land aus einer historischen Krise zu führen – und zwar mit sozialdemokratischen Rezepten. Deutschland stehe am Beginn einer neuen Zeit, die Wirtschaftskrise sei als Einschnitt vergleichbar „mit dem Fall der Mauer“. Mit besseren Regeln für den Finanzmarkt sei es nicht getan, jetzt gehe es um mehr: „Wir können in dieser Situation die Regeln des Miteinanders neu bestimmen!“

Die SPD in historischer Mission: Ganz unbescheiden stellte sich Steinmeier in die Tradition von Willy Brandts Ostpolitik und Helmut Schmidts Kampf gegen den RAF-Terror. Und er bekannte sich zum Erbe Gerhard Schröders. Ohne die Agenda 2010 beim Namen zu nennen, verteidigte er die Reformpolitik der vergangenen Wahlperiode, räumte zugleich aber ein, dass der Kurs der SPD Wunden geschlagen habe. Auch mit Blick auf das Wahlprogramm achtete Steinmeier auf Ausgewogenheit. Die SPD dürfe sich nicht auf die Rolle des Betriebsrates der Nation reduzieren lassen: „Wirtschaft ist für die SPD Pflicht, nicht Kür!“ Am Ende feierte ihn der Parteitag mit minutenlangem Applaus. Zuvor hatte Steinmeier den Genossen in Anlehnung an den einstigen Kanzlerkandidaten Schröder zugerufen: „Wenn ihr Vertrauen habt, dann bin ich bereit!“

WIE VIEL SCHRÖDER STECKT IN STEINMEIER?

Auch bei dieser Rede war die Ähnlichkeit zu Gerhard Schröder bis in Tonlage und Syntax hinein frappierend. Steinmeier gefällt es keineswegs, wenn er auf diese Ähnlichkeit angesprochen wird. Er weist dann darauf hin, dass Schröder und er keine zehn Kilometer voneinander entfernt aufgewachsen sind. Im Schatten des Ex-Kanzlers zu stehen oder gar als abhängig von ihm zu gelten, ist rufschädigend für einen Kanzlerkandidaten. Tatsächlich sind Schröder und sein einstiger Amtschef völlig unterschiedliche Charaktere (und haben sich gerade deshalb in der Vergangenheit gut ergänzt). Schröder war immer Instinktpolitiker, einer, der in der Krise Witterung aufnimmt, seine Entscheidung trifft und alle anderen mitreißt. Steinmeier beschreibt sich selbst als einen Menschen, der vom Kopf gesteuert ist. Alles muss bedacht, geprüft, abgewogen werden. Spontan wirkt da nichts. Und so redet er normalerweise auch – jedenfalls wenn kein Rhetorik-Fachmann das Skript geschrieben hat: umständlich und ohne emotionalen Schwung. Emotionen zeigt Steinmeier vor allem dann, wenn er sich angegriffen fühlt: Auf kritische Fragen reagiert er dünnhäutig, zuweilen regelrecht patzig.

Steinmeier weiß um seine Schwächen. Die Politik brauche beide, den kopfgesteuerten und den bauchgesteuerten Typus, meint er. Ob das stimmt? Möglich, dass ein Politiker wirklich nur über eine der beiden Eigenschaften verfügen muss, um Kanzlerkandidat zu werden. Möglich aber auch, dass ein Kanzler Intellekt und Instinkt in einer Person vereinen muss, um das Land gut zu regieren. Zum Glück für Steinmeier ist Kanzlerin Merkel aber auch keine begnadete Instinktpolitikerin.

KANN ER SICH AUF PARTEICHEF MÜNTEFERING WIRKLICH VERLASSEN?

Sicher – so lange Steinmeier Franz Münteferings Ansprüchen genügt. „Münte“ erwartet Führung und klare Kante, er verlangt, dass eine Regierung das Unpopuläre notfalls gegen alle Widerstände durchsetzt. Kanzler und Regierung stehen für ihn an erster Stelle, den Einfluss der Parteien auf das Regierungshandeln will er eindämmen. Als SPD-Chef sehe er seine Aufgabe darin, die Partei auf „den Kanzlerkandidaten hin zu orientieren“, wie einer aus der SPD-Spitze sagt. Andere glauben, Müntefering werde Steinmeier im Wahlkampf die Linie vorgeben. Müntefering selbst hat Steinmeier derart demonstrativ zur Nummer eins erklärt, dass man den Eindruck bekommen konnte, er wolle sich bewusst kleiner machen. Sicher ist, dass Müntefering als Nummer zwei nicht schwächer erscheint als der Mann, den er zum Kanzler machen will.

STEHT DIE PARTEI WIRKLICH HINTER IHM?

Nicht in dem Ausmaß, wie man angesichts seines Wahlergebnisses von 95 Prozent glauben könnte. Zwar wissen alle in der SPD: Wenn einer der Partei zu einem guten Wahlergebnis verhelfen kann, dann ist es Steinmeier. Nur das war der Grund, warum sich neben dem „Seeheimer Kreis“ und den „Netzwerkern“ auch der linke SPD-Flügel frühzeitig für den Außenminister und gegen Kurt Beck als Kanzlerkandidaten entschieden hatte. Es gab und gibt zu Steinmeier keine aussichtsreiche Alternative. Nun aber beginnt das Tauziehen, welche Inhalte der Kandidat im Wahlkampf vertritt. Der linke Flügel will Schröders einstigem Kanzleramtschef keineswegs freie Hand lassen: „Ein rechter Kandidat braucht ein linkes Programm“, heißt es. Für Steinmeier ist das nicht ganz ungefährlich. Kommt er den Linken zu weit entgegen, gefährdet er seine Glaubwürdigkeit; schaltet er auf stur, steht die Geschlossenheit der Partei auf dem Spiel. Einen Vorgeschmack bekam er diese Woche, als die SPD-Linke ein Konjunkturprogramm verlangte. Steinmeier hielt die Frage zunächst für nicht entscheidungsreif, stellte aber in seiner Rede nun doch Konjunkturhilfen in Aussicht.

WARUM WAR STEINMEIER BEIM KAMPF DER BUNDESREGIERUNG GEGEN DIE FINANZKRISE SO WENIG PRÄSENT?

Der Krisenmanager der SPD heißt Peer Steinbrück. Zu ihm, der sich als eigentlichen Enkel Helmut Schmidts begreift, passt die Rolle des aggressiven Verteidigers deutschen Wohlstands auch besser als zu dem Chefdiplomaten Steinmeier aus dem Auswärtigen Amt. Der hofft, dass seine Partei davon profitiert, wenn mit Steinbrück ein Sozialdemokrat als anerkannter Regierungsexperte die Schlüsselthemen Finanzen und Wirtschaft dominiert. Die Union hat neben der Generalistin Merkel im Moment keinen Prominenten auf diesem Feld vorzuweisen. Der Vizekanzler und sein Stab legen aber Wert darauf, dass ihre Rolle beim Krisenmanagement hinter den Kulissen nicht vergessen wird. So wollen sie verhindert haben, dass die Fachleute in Kanzleramt und Finanzministerium den Wünschen der Bankchefs zu weit entgegen kommen und etwa die relativ stabilen Sparkassen und Genossenschaftsbanken für die Risiken der anderen zur Kasse bitten konnten.

WOFÜR BRENNT EINER WIE STEINMEIER?

Gute Frage. Die Suche nach einem politischen Feuer ist bei einem Ostwestfalen ein mühseliges Geschäft. Menschen aus dieser Gegend sind keineswegs leicht entflammbar. Auch nicht von großen Ideen. Erkennbar ist aber, dass Steinmeier Gefallen daran findet, andere zu entflammen. Sein Problem: Es fehlt eine Erzählung davon, was ihn im Innersten antreibt. Schröders Geschichte war die des Aufsteigers, der sich gegen alle Widerstände durchbeißt. Was aber ist Steinmeiers Geschichte? Er hat darauf am Samstag erstmals eine Antwort gegeben, von der man das Gefühl hatte, sie könnte tragen. Sein Bekenntnis zu mehr Bildung als Schlüssel sozialdemokratischer Politik lud er biografisch auf: „Liebe Leute, dass ich hier stehe, verdanke ich Sozialdemokraten.“ Deren Bildungspolitik in den 70ern habe es ihm erst ermöglicht, Abitur zu machen – als „Erster in meiner Familie und als einer der Ersten im Dorf.“ Dies sei auch einer der Gründe, warum er der SPD beigetreten sei. Der distanzierte Steinmeier – er wirkte authentisch wie selten.

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