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Erdogan bei einer Konferenz in Mexiko.

© Reuters

"Präsident, wo bist du?": Erdogan kritisiert Obama für Umgang mit Chapell Hill

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan fordert von US-Präsident Barack Obama, den Mord an drei Muslimen in der Stadt Chapel Hill zu verurteilen. Obama wirft er indirekt vor, islamfeindlich zu sein.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan will seine angestrebte Rolle als Sprecher der islamischen Welt ausbauen und schreckt dabei auch nicht vor Streit mit dem wichtigen Verbündeten USA zurück. Während eines Besuches in Mexiko kritisierte Erdogan jetzt in scharfer Form, dass sich US-Präsident Barack Obama nicht zu dem Mord an drei Muslimen im Bundesstaat North Carolina äußere. „Präsident, wo bist du?“ fragte Erdogan und warf Obama indirekt Islamfeindlichkeit vor: Das Schweigen des Präsidenten zum Tod der Muslime sei „vielsagend“.

Neben Obama bekamen auch US-Vizepräsident Joe Biden und Außenminister John Kerry ihr Fett ab. „Diese Menschen waren keine Terroristen“, sagte Erdogan über die Opfer der Schießerei von Chapel Hill. Als Politiker sei man auch für die seinem Land begangenen Verbrechen verantwortlich, belehrte Erdogan den US-Präsidenten. „Wenn ihr angesichts eines solchen Vorfalls schweigt, dann wird auch die Welt über euch schweigen.“ Kurz nach Erdogans Wutausbruch legte der türkische Präsidentensprecher Ibrahim Kalin auf Twitter noch nach. Die Morde von Chapel Hill bestätigten, dass „anti-muslimische und islamophobe Hassreden“ in Gewalt mündeten, sagte Kalin. „Dazu zu schweigen, ist gefährlich und schändlich.“

Erdogan ist als politisches Raubein bekannt, der gegen Gegner, aber bisweilen auch gegen Partner ordentlich austeilt. Als Bundespräsident Joachim Gauck im vergangenen Jahr rechtsstaatliche Defizite der Türkei beklagte, antwortete Erdogan, Gauck halte sich wohl immer noch für einen Priester. Bei der Attacke gegen die US-Führung ist aber mehr im Spiel als Rhetorik. Erdogan beklagt in jüngster Zeit immer häufiger eine angebliche Islamfeindlichkeit des Westens. In einer Rede bei einer Veranstaltung der Islam-Weltorganisation OIC im November sagte er, der Westen möge nun einmal keine Muslime. „Die von außen in unsere Region kommen, erfreuen sich an unserem Tod und am Tod unserer Kinder.“

Erdogans "neue Türkei"

Kurz vor seiner Kritik an Obama hatte Erdogan zum wiederholten Male die derzeitige Konstruktion des UN-Sicherheitsrates mit seinen fünf Permanenten Mitgliedern als ungerecht verdammt und dabei betont, kein einziger muslimischer Staat sei ständig im obersten UN-Gremium vertreten. Hinter den türkischen Ambitionen steht die Überzeugung Erdogans, dass die Ära der westlichen Vormachtstellung in der Welt zu Ende geht. Die Anschläge vom 11. September 2001 seien eine Zeitenwende gewesen, schrieb Erdogan-Berater Yigit Bulut am Freitag in der Zeitung „Star“. Bulut und andere Mitglieder des engeren Kreises um Erdogan sind sicher, dass die Türkei als neues Machtzentrum aufsteigt.

Erdogan spricht von einer „neuen Türkei“, die ihren Platz auf der Weltbühne beansprucht. Dabei zeigt sich, dass der ehemalige Nato-Musterschüler Türkei keinen gesteigerten Wert mehr auf störungsfreie Beziehungen zu den USA legt. Auch im Syrien-Konflikt streiten beide Länder seit Jahren über die richtige Haltung. Erdogan ist sicher, dass er sich die Widerworte leisten kann, weil er davon ausgeht, dass die USA die Türkei brauchen. Nicht alle halten sein aggressives Streben nach einer überregionalen Rolle für die Türkei für erfolgversprechend und klug. Die Opposition wirft ihm vor, die Türkei durch Streitigkeiten mit Israel, Ägypten, Syrien und dem Irak im ganzen Nahen Osten isoliert zu haben. Ein baldiger Kurswechsel ist aber nicht zu erwarten. Insbesondere kurz vor der Parlamentswahl im Juni komme der anti-westliche Diskurs bei den islamisch-konservativen Wählern in der Türkei gut an, sagte die Istanbuler Politologin Beril Dedeoglu dem Tagesspiegel.

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