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Präsidenten-Stichwahl: Afghanische Tee-Diplomatie

Die Angst vor einem neuem Wahldesaster in Afghanistan wächst, auch weil die EU diesmal noch weniger Beobachter schickt.

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Stundenlang sollen sie zusammengesessen und Tee getrunken haben. Nicht der US-Sondergesandte Richard Holbrooke, sondern US-Senator John Kerry überzeugte Afghanistans Präsidenten Hamid Karsai, sich in eine Stichwahl zu fügen. Nun ist Kerry zwar ein wichtiger Mann in Washington, aber eigentlich wäre es Holbrookes Aufgabe gewesen, den Krisenmanager am Hindukusch zu spielen. Doch es ist kein Geheimnis, dass Karsai und Holbrooke nicht gut miteinander können.

Nach den Wahlen am 20. August hatte es zwischen den beiden so gekracht, dass das Verhältnis nachhaltig gestört scheint. Karsai sieht vor allem Holbrooke hinter Angriffen auf sich. „Hat Obama Holbrooke kaltgestellt?“, fragte das indische Magazin Outlook prompt schadenfroh. Auch in Indien ist man vom US-Sondergesandten wenig angetan. Dieser hatte sich, so stellten es zumindest indische Zeitungen dar, zwei Mal selbst zum Antrittsbesuch eingeladen, ohne dies mit Delhi abzusprechen. Die protokollbewussten Inder zeigten sich pikiert – und sagten ab.

Obgleich in Afghanistan der Winter vor der Tür steht, schien das politische Klima nach Karsais Einlenken erstmals freundlicher. Nach monatelanger Funkstille rief auch US-Präsident Barack Obama bei seinem afghanischen Amtskollegen an. Unterdessen kündigte Karsais Herausfoderer Abdullah Abdullah, an, bei der Stichwahl am 7. November gegen den Amtsinhaber anzutreten. Dennoch wurde in Kabul weiter über einen Deal zwischen Abdullah und Karsai spekuliert, der eine Stichwahl in letzter Minute abwenden könnte. Vielen in den Vereinten Nationen würde wohl ein Stein vom Herzen fallen, wenn die Stichwahl abgeblasen würde.

Tatsächlich ist die Gefahr groß, dass auch die Stichwahl in ein Desaster mündet. Die Wahl sei eine „ungeheure Herausforderung“, sagte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon. Nicht nur Taliban-Terror und der nahende Winter gefährden den Urnengang. Auch ist unklar, wie man diesmal Wahlbetrug wirksam unterbinden kann. Ban Ki Moon versprach, man werde alles tun, um erneuten massiven Schwindel zu verhindern. Angeblich wurden 200 von 380 Wahlkoordinatoren wegen Betrugsverdachts gefeuert. Die EU kündigte allerdings an, sie werde diesmal noch weniger Wahlbeoachter schicken als am 20. August. Es sei unmöglich, bis zum 7. November eine große Zahl Wahlbeobachter zu mobilisieren. Zudem sei die Sicherheitslage in einigen Landesteilen „außerordentlich schwierig“. Ein neues Wahldebakel würde das Vertrauen der Afghanen in die Demokratie weiter untergraben und den Westen vollends blamieren.

Deutsche Sicherheitskreise sehen vor allem logistische Probleme. Es sei fraglich, ob es dem afghanischen Staat gelinge, rechtzeitig Wahlunterlagen ins Land zu bringen und überall Wahllokale zu installieren. Im August seien in mehreren Regionen nur dort Wahllokale eingerichtet worden, „wo richtig gewählt wurde“, also die Stimmen für Karsai sicher waren. Der Winter werde die Wahlbeteiligung, die schon im August niedrig war, nochmals verringern. Vermutlich seien viele Dörfer im Gebirge nicht mehr zu erreichen. Andererseits dürften Eis und Schnee auch die Einschüchterungskampagne der Taliban beeinträchtigen. Es sei nicht zu erwarten, dass die Sicherheitslage vor dem 7. November noch schlechter werde, als sie schon ist.

Im übrigen sei es unwahrscheinlich, dass das Thema Stichwahl in Afghanistan die Terrorgefahr beeinflusse, der Deutschland ausgesetzt ist. Das Risiko eines Anschlags bleibe unvermindert hoch, auch wenn die Drohung des deutsch-marrokanischen Al-Qaida-Propagandisten Bekkay Harrach, in den zwei Wochen nach der Bundestagswahl werde Deutschland angegriffen, folgenlos blieb.

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