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Bouteflika

© dpa

Präsidentenwahl: "Die Algerier glauben an gar nichts mehr"

Vor der Wahl ist die Frustration über das Regime von Präsident Bouteflika groß. Viele wollen deshalb nach Südeuropa – illegal.

Schwarze Trauerflaggen wehen über dem Sitz der Oppositionspartei RCD in der algerischen Hauptstadt Algier. Aus Protest gegen die Präsidentenwahl am 9. April, die nur eine „Maskerade“ sei. Ein „Theaterstück“, das vor den Augen der Welt aufgeführt werde, um die Macht des 72-jährigen Staatschefs Abdelaziz Bouteflika auszubauen, der seit zehn Jahren Algeriens starker Mann ist. Bouteflika, der als gesundheitlich angeschlagen gilt, verkündet derweil, er höre nur „auf den Ruf des Volkes“.

Alle großen Oppositionsbewegungen, die ihre Hochburg in der rebellischen Berberregion Kabylei haben, riefen zum Boykott der Wahl auf, weil deren Ergebnis ohnehin schon feststehe. Es gibt zwar fünf Gegenkandidaten, die sogar Korruption und Machtmissbrauch anklagen. Doch sind die Herausforderer weitgehend unbekannt, sie wurden von der staatlichen Propagandamaschinerie Bouteflikas einfach überrollt. Niemand glaubt, dass der alte Präsident nicht auch der neue sein wird.

Entsprechend gering ist bei den 34 Millionen Einwohnern das Interesse. In den armen Vororten der Drei-Millionen-Metropole Algier wurden viele Bouteflika-Plakate verunstaltet. Man nimmt Bouteflika übel, dass er den Menschen trotz des Gas- und auch Ölreichtums des Landes wenig soziale Fortschritte brachte. Die Männer in den Teestuben debattieren lieber darüber, ob sich Algerien für die Fußball-WM 2010 qualifiziert. „Die Wahl wird unsere Misere kaum ändern.“ Viele wollen keine Stimme abgeben. Die Wahlbeteiligung dürfte deshalb mehr über die Stimmung ausdrücken als das Wahlergebnis; bei der letzten Parlamentswahl vor zwei Jahren ging nur ein Drittel der Wähler zu den Urnen.

Eine Arbeitslosenquote, die von Diplomaten auf bis zu 30 Prozent geschätzt wird, lässt Millionen junge Menschen ohne Perspektive – zwei Drittel aller Algerier sind jünger als 30 Jahre. Jeder vierte Algerier ist Analphabet. Hinzu kommt die akute Wohnungsnot.

„Die jungen Männer denken nur an illegale Auswanderung“, berichtet der Oppositionspolitiker Ali Fawzi Rebaine. Die Zahl der Algerier, die versuchen übers Mittelmeer nach Südeuropa zu flüchten, nimmt zu. „Ich sterbe lieber auf hoher See, als hier zu bleiben“, bekennen viele. „Die Leute in Algerien glauben an gar nichts mehr“, bedauert die algerische Schriftstellerin Yasmina Khadra.

Bouteflika, der sich als „unabhängiger Kandidat“ bezeichnet, lässt sich derweil bei seinen Auftritten mit Rosenblättern bewerfen. Eigentlich war seine Amtszeit nach zwei Mandaten nun abgelaufen – so wollte es bisher die Verfassung. Doch mit einer Gesetzesänderung in eigener Sache sicherte sich der Bouteflika-Clan, hinter dem Algeriens Generäle stehen, das Amt auf Lebenszeit. „Um die Freiheit zu sichern“, wie es heißt.

Doch von Freiheit ist wenig zu spüren. Seit dem Abbruch jener Wahl, bei der 1992 die Islamisten den Sieg sicher hatten, gilt der Ausnahmezustand. Presse und Regimegegner werden eingeschüchtert. Schwere Menschenrechtsverbrechen, die im 1992 ausgebrochenen Bürgerkrieg begangen wurden, warten auf Aufklärung. Kämpfe und Terroranschläge sind zwar inzwischen zurückgegangen, gehören aber immer noch zum Alltag. Etwa 200 000 Menschen kamen bisher in dem Konflikt zwischen bewaffneten Islamisten und Sicherheitskräften.

Das nordafrikanische Algerien, bis 1962 französische Kolonie, ist das zweitgrößte Land Afrikas – fast sieben Mal größer als Deutschland. 85 Prozent der Fläche ist Wüste. Von den 34 Millionen Einwohnern sind 20,6 Millionen wahlberechtigt. In der Wüste wie bei den 950 000 Auslandsalgeriern (vor allem in Frankreich) begann die Wahl bereits am Montag. In Algerien lagern die größten Erdgasreserven Afrikas. Das arabische Land ist bereits heute nach Russland und Norwegen drittwichtigster Gaslieferant Europas. Weltweit ist das Land viertgrößter Erdgas- und elfgrößter Ölproduzent und deshalb vom Westen umworben.

Ralph Schulze[Madrid]

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