zum Hauptinhalt
Auf dem Weg zur vierten Amtszeit. Der langjährige Amtsinhaber Alexander Lukaschenko regiert die frühere Sowjetrepublik Weißrussland seit 1994 mit eiserner Hand.

© Reuters

Präsidentenwahl in Weißrussland: Bestellt von oben

Präsident Lukaschenko will die Wahlen in Weißrussland erneut gewinnen – viele fürchten Wahlfälschungen.

Nach der von Fälschungsvorwürfen überschatteten Präsidentenwahl in Weißrussland ist es am Sonntagabend zu schweren Ausschreitungen gekommen. Aus Protest gegen den von Staatsmedien verkündeten Wahlerfolg des autoritär regierenden Staatschefs Alexander Lukaschenko zogen zehntausende Regimegegner in Minsk vor ein Regierungsgebäude und versuchten, die Zentrale Wahlkommission zu stürmen. Die Polizei griff hart durch. Es gab Verletzte.

Bei den Auseinandersetzungen wurde unter anderem der oppositionelle Präsidentschaftskandidat Witali Rymaschewski am Kopf verletzt. Zuvor war der Herausforderer Wladimir Nekljajew auf dem Weg zu der nicht genehmigten Kundgebung von Sicherheitskräften krankenhausreif geprügelt worden. Im Zentrum von Minsk hatten sich nach Schließung der Wahllokal trotz Demonstrationsverbots etwa 20 000 Menschen versammelt. Lukaschenko erhielt bei Wählerbefragungen 79,1 Prozent der Stimmen, wie das regierungsnahe Institut Ecoom nach Schließung der Wahllokale in Minsk mitteilte.

Im Vorfeld der Abstimmung hatte die Bundesregierung freie und faire Wahlen in Weißrussland gefordert. Außenminister Guido Westerwelle hatte bei einem Besuch in Minsk Anfang November zudem demokratische Reformen angemahnt. In diesem Fall werde Deutschland sich dafür einsetzen, dass Weißrussland von der Europäischen Union (EU) unterstützt werde. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) will an diesem Montag ihre Einschätzung zu der Wahl bekanntgeben.

Auf dem zentralen Oktoberplatz versammelten sich trotz der massiven Polizeipräsenz nach Angaben der unabhängigen Agentur Belapan 20 000 Regierungskritiker. Sie schwenkten die alten rot-weiß-roten Fahnen und riefen „Lang lebe Weißrussland!“ und „Wir wollen die Wahrheit!“ Redner behaupteten, Lukaschenko habe die absolute Mehrheit klar verfehlt und müsse sich einer Stichwahl stellen. Bei dem Angriff auf Nekljajew seien Dutzende seiner Mitstreiter festgenommen worden, meldete Belapan. Ein Polizeisprecher widersprach, es habe keine Festnahmen gegeben.

„Wenn die Wahlbüros schließen, gehen wir auf die Straße“, hatte Nekljajew zuvor angekündigt. Nach der Präsidentenwahl 2006 hatten zehntausende Menschen in Minsk gegen den Staatschef demonstriert. Damals erhielt Lukaschenko, der oft als „letzter Diktator Europas“ kritisiert wird, nach offiziellen Angaben 82,6 Prozent. „Ich spüre das Vertrauen des Volkes“, sagte der 56-jährige Lukaschenko diesmal bei seiner Stimmabgabe. Seine neun Konkurrenten hatten erwartungsgemäß keine Chance und erzielten lediglich einstellige Ergebnisse. Die Opposition ist zerstritten und konnte sich nicht auf einen gemeinsamen Herausforderer einigen.

Lukaschenko regiert das Land zwischen Polen und Russland seit 16 Jahren mit harter Hand regiert. Unabhängige Journalisten berichteten, ihre Telefone sowie Internetzugänge und Email-Konten seien gesperrt worden, um Gespräche mit westlichen Medien zu verhindern. „Die schweren demokratischen Defizite bei diesen Wahlen sind nicht zu übersehen“, kritisierte die Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck (Grüne). Dennoch müsse der Dialog mit dem Regime fortgeführt werden, um Lukaschenko Reformen abzufordern. Weißrussland ist das letzte Land in Europa, das die Todesstrafe vollzieht. Für den Fall freier Wahlen hatte die EU nach Angaben des polnischen Außenministers Radoslaw Sikorski drei Milliarden Euro Hilfsgelder in Aussicht gestellt. Weißrussland ist ein wichtiges Transitland für russische Gaslieferungen nach Westeuropa.

Etwa 1000 internationale Wahlbeobachter wollten die Abstimmung kontrollieren, davon etwa die Hälfte von der OSZE. Der deutsche OSZE-Missionschef Geert Ahrens sah im Vergleich zur letzten Wahl nach Medienangaben erhebliche Fortschritte. Die jahrelange lähmende Angst sei von den Weißrussen gefallen, lautet auch das Fazit von Alexej Michalewitch nach zwei Monaten Wahlkampf. „40 000 Kilometer habe ich zurückgelegt, drei Treffen mit Wählern pro Tag, so frei konnte ich noch nie in der Öffentlichkeit auftreten“, erzählt der oppositionelle Präsidentschaftskandidat und zieht an der Wasserpfeife. Mit 35 Jahren war Michalewitch der jüngste Herausforderer Lukaschenkos. Im Minsker In-Lokal „Kaljannaja Nummer eins“ streckt er nun in süßlichen Rauchschwaden die Beine von sich und sinniert über seine Zukunft. „2011 will ich nach Berlin, um endlich Deutsch zu lernen“, meint er. Nur die Wahl zum Präsidenten Weißrusslands hätte diese Pläne durchkreuzen können. mit dpa

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false