zum Hauptinhalt

Präsidentenwahl: Respekt und Parteiengeplänkel

Joachim Gauck kann die Linke nicht überzeugen - und punktet bei der FDP aus koalitionspolitischen Gründen.

Von

Berlin - Manchen in der SPD wird die allgemeine Begeisterung schon ein wenig unheimlich. Dass Joachim Gauck als überparteilicher Präsidentschaftskandidat von SPD und Grünen ein derart wohlwollendes Echo auslösen würde – sowohl in den Medien als auch in den Reihen der FDP – damit hatten selbst die größten Optimisten nicht gerechnet. „Das war ein echter Coup“, schwärmte ein SPD-Präsidiumsmitglied am Montag nach Lektüre des Pressespiegels.

Die öffentlichen Lobgesänge auf den Kandidaten Gauck haben aber auch eine Kehrseite: Sie wecken Erwartungen, die kaum erfüllbar sind. Die Chancen des einstigen Chefs der Stasiakten-Behörde, anstelle des niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff (CDU) am 30. Juni tatsächlich zum Staatsoberhaupt gewählt zu werden, sind nach wie vor gering. Einerseits, weil es dafür zahlreiche Abweichler in den Reihen von Union und FDP geben müsste, aber auch wegen des Widerstands der Linkspartei. Rund ein Drittel der von den Linken nominierten Wahlmänner und -frauen müssten für Gauck stimmen, heißt es in der SPD- Spitze. Mit einem derartigen Schwenk mag im Willy-Brandt-Haus keiner rechnen. „Wenn wir den Wulff in den zweiten Wahlgang treiben, wäre das schon ein Riesenerfolg“, sagt ein führendes SPD- Mitglied.

Aus ihrer Abneigung gegen den rot-grünen Kandidaten macht die Linken-Spitze keinen Hehl. „SPD und Grüne wussten genau, dass Herr Gauck für uns nicht wählbar ist“, betont Parteichefin Gesine Lötzsch nach einer Sitzung des geschäftsführenden Parteivorstands am Montag. Gemeinsam mit ihrem Co-Vorsitzenden Klaus Ernst will sie an diesem Dienstag der Bundestagsfraktion und Vertretern der Landtagsfraktionen eine eigene Kandidatin vorstellen, „die zu Zukunftsfragen und sozialen Fragen mehr zu sagen hat als Wulff und Gauck zusammen“, kündigt Lötzsch an. Einen Namen nannte sie nicht, weder öffentlich noch in der Vorstandssitzung und der anschließenden Telefonkonferenz mit Vertretern der Länder. Dies sei „keine Überrumpelungsstrategie“, sondern ein verantwortlicher Umgang mit Menschen, sagte Lötzsch.

Wie die Linke sich in einem zweiten oder dritten Wahlgang verhalten würde, darauf wollte Lötzsch sich nicht festlegen, sie bezeichnete diesen Fall als „unwahrscheinlich“. Vizefraktionschef Dietmar Bartsch sagte, es sei klar, dass die Linke dann nicht Wulff wählen dürfe. Auch der Fraktionschef der Linken im Schweriner Landtag, Helmut Holter, sagte, eine Zustimmung für Gauck im zweiten oder dritten Wahlgang sei „auch ein Zeichen unserer Auseinandersetzung mit der Vergangenheit“. Auch taktische Gründe sprächen für die Wahl von Gauck, denn auf diese Weise könnte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) geschwächt werden. Der Bundestagsabgeordnete Jan Korte kann Gauck sogar – anders als viele seiner Genossen – positive Seiten abgewinnen: „Auch wenn mir viele seiner Aussagen nicht passen, muss man doch eines festhalten: Gauck hat uns massiv und unaufgefordert unterstützt, als es um die Rehabilitierung der sogenannten Kriegsverräter ging“, sagt er.

Auch wenn nicht alle in der Linken eine eigene Kandidatur bei der Präsidentenwahl für notwendig halten, so zeichnet sich doch breite Zustimmung für den Vorschlag der Parteivorsitzenden ab. „Es ist legitim und richtig, dass die Linke nach einer eigenen Kandidatin sucht“, sagt etwa der Berliner Landesvorsitzende Klaus Lederer. Auch wenn Gaucks Engagement für die Freiheit respektabel sei, so habe er von ihm noch nichts zur „sozialen Dimension von Freiheit“ gehört. Ein Präsident müsse heute „in der Lage sein, die Sorgen von Millionen Menschen aufzugreifen“, fordert Lederer.

Die Beweggründe der Liberalen, von denen viele den Kandidaten der rot-grünen Opposition laut loben, fasste der FDP-Fraktionschef in Baden-Württemberg, Hans-Ulrich Rülke, zusammen: „Am Donnerstag nicken wir den Kandidaten der Union ab, im Gegenzug heißt es am Freitag, die Gesundheitsreform wird abgeblockt“, klagte er. Lange vor dem Rücktritt Horst Köhlers wuchs die Unzufriedenheit der liberalen Basis mit dem Bild, das die eigene Partei und ihr Chef Guido Westerwelle in Berlin abgeben. Die FDP-Basis muss zusehen, wie in der schwarz-gelben Regierung ihre eigenen liberalen Ziele marginalisiert oder, wie im Fall der Steuersenkung, von der Kanzlerin komplett kassiert werden. Und dann gelingt es der Parteispitze nicht einmal, bei der Nominierung eines Koalitionskandidaten eine eigene Handschrift deutlich zu machen. Die FDP-Landesverbände wollen nun Eigenständigkeit gegenüber der Union demonstrieren. Bayerns Parteivize Martin Zeil findet Wulff als Kandidaten denn auch völlig in Ordnung. „Aber das Verfahren war nicht optimal“, sagte er dem Tagesspiegel. Seiner Meinung nach hätte die FDP „überlegen können, ob sie nicht einen eigenen Namen ins Gespräch bringt“. Gauck sei „ein exzellenter Redner mit einer hoch interessanten Biografie und deshalb ein würdiger Bewerber“. Aber die Koalition habe „einen ebenso guten Kandidaten aufgestellt“.

Die neue Aufmüpfigkeit der Basis hat für die FDP-Spitze auch positive Seiten. Sie bietet ein Ventil für Unmut und Anreiz zum Zusammenrücken von Partei und Führung. Solange sich Westerwelle nicht zwischen Partei und Kanzlerin entscheiden muss, nutzt ihm der Druck der Basis, wenn es um die Durchsetzung eigener Interessen geht. Die Kritik an Wulff befördert Fantasien, wonach die FDP über eine rot-gelb-grüne Machtoption verfüge.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false