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Wer macht das Rennen?

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Update

Präsidentschaftswahl: Kopf-an-Kopf-Rennen in Kenia

Die Wahllokale in Kenia sind geschlossen. Die Beteiligung an den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen war groß - und das Rennen zwischen Uhuru Kenyatta und Raila Odinga ist noch offen.

Am Montag wählte Kenia einen neuen Präsidenten. Die Wahlbeteiligung war überwältigend, und das Rennen scheint immer noch offen. Bisher zeichnete sich noch kein endgültiger Trend ab. Es bleibt ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Uhuru Kenyatta und Raila Odinga. Nach Auszählung von knapp 1,5 Millionen von insgesamt mehr als 13 Millionen Stimmen liegt Uhuru Kenyatta, Sohn des ersten Präsidenten Jomo Kenyatta, leicht vorn. Allerdings handelt es sich dabei überwiegend um Stimmen aus kleineren Bezirken aus den Hochburgen Kenyattas. Raila Odinga, Sohn des ersten Vizepräsidenten Jaramogi Oginga Odinga, hat seine Hochburgen in Kisumu und einigen bevölkerungsreichen Stadtteilen der Hauptstadt Nairobi, die am Montagabend noch nicht ausgezählt waren.

Am Rande der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen waren tagsüber bei Anschlägen mindestens zwölf Menschen getötet worden. Unter den Toten sollen neun Polizisten und sechs Angreifer gewesen sein, so die Polizei. Die Anschläge ereigneten sich in der Küstenregion des Landes kurz vor Öffnung der Wahllokale. Die Polizei erklärte, 400 Beamte seien in die Küstenprovinz entsandt worden, um für Sicherheit zu sorgen.

An Schlafen war in der Nacht zum Montag in Kisumu, der drittgrößten Stadt Kenias, kaum zu denken. Schon um zwei Uhr nachts begannen Jugendliche auf Motorrädern durch die Großstadt im Westen des Landes am Viktoriasee zu knattern, um die Wähler zu wecken. Mit Trillerpfeifen und Vuvuzelas mobilisierten sie die Anhänger Odingas, die stehend und liegend vor den Wahllokalen Platz nahmen. Überall im Land bildeten sich zum Teil kilometerlange Schlangen bei der Stimmabgabe. 14,3 Millionen Kenianer hatten sich in die Wählerlisten eintragen lassen, das entspricht rund 69 Prozent der Wahlberechtigten der rund 43 Millionen Einwohnern.

Wegen der Unruhen nach der Wahl Ende 2007, bei denen rund 1300 Menschen starben und 600 000 Menschen vertrieben worden waren, wurden 99 000 Polizisten zur Bewachung der Wahllokale aufgeboten. So viele Polizisten hat Kenia gar nicht, weshalb auch Gefängniswärter und Ranger des Kenya Wildlife Service vor den Wahllokalen standen. Rund 23 000 einheimische und 2600 internationale Wahlbeobachter waren im Land unterwegs.

Es gab zwei Anschläge am frühen Morgen, sonst blieb es bis zum Ende der Stimmabgabe fast überall friedlich, obwohl die Leute zum Teil stundenlang in der prallen Sonne stehen mussten, bis sie ihre insgesamt sechs Stimmen abgeben konnten. Neben dem Präsidenten wurden auch das Parlament, die Gouverneure der neu geschaffenen 47 Regionen, deren Parlamente und die Gemeinderäte gewählt. In Mombasa griffen am frühen Morgen rund 200 bewaffnete Jugendliche eine Polizeistation an. Dabei starben nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters neun Polizisten und sechs Angreifer. Im benachbarten Kilifi blieben die Wahllokale danach zunächst geschlossen, weil die Wahlhelfer um ihr Leben fürchteten. Kenias Polizeichef, David Kimaiyo, wird vom Radiosender Capital FM mit der Einschätzung zitiert, der Republikanische Rat von Mombasa (MRC) stehe hinter diesem Angriff. Der MRC ist eine Separatistengruppe, die verlangt, die Touristenregion rund um die zweitgrößte Stadt Kenias am Indischen Ozean von Kenia abzutrennen. Er ließ am Nachmittag mitteilen, er habe mit der Attacke nichts zu tun. Einen weiteren Anschlag gab es nahe der somalischen Grenze. Dabei wurde aber niemand verletzt. In einem Wahllokal südlich von Nairobi, in Kitengela, wurden 20 Leute bei einem Gedränge verletzt. Im Vorfeld der Wahlen war es in mehreren Landesteilen zu Konflikten gekommen, bei denen insgesamt 800 Menschen starben. Vor allem im Nordosten ist es zu blutigen ethnischen Auseinandersetzungen gekommen, die vor allem mit den Nominierungen für die lokalen Spitzenposten zusammenhängen.

Am Montag gab es in vielen Landesteilen keinen Strom oder die elektronischen Wählerregister und Wahlmaschinen funktionierten aus anderen Gründen nicht. Deshalb griffen die Wahlhelfer auf die Papierlisten zurück. Hunderte Wähler konnten nicht wählen, weil sie trotz Registrierung nicht in den Listen standen. Die Wahllokale hätten um 15 Uhr schließen sollen, wurden wegen der technischen Probleme aber oft länger offen gehalten.

Neben Raila Odinga ist Uhuru Kenyatta der aussichtsreichste Kandidat für das Präsidentenamt. Gemeinsam mit seinem potenziellen Vize William Ruto steht er ab August vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag (IStGH), weil die beiden Männer mit für die Metzeleien nach der Wahl 2007 verantwortlich gemacht werden. Würde Kenyatta gewählt und nicht vor dem Gericht erscheinen, hätten die westlichen Geberländer alle ein Problem. Zwar beteuern Kenyatta und Ruto, sie wollten mit dem Gerichtshof kooperieren. Doch ihr Wahlkampf war vor allem eine Kampagne gegen den IStGH, den sie für eine internationale Verschwörung halten.

Bereits im Vorfeld der Wahl waren viele Läden geschlossen, ganze Straßen in der Hauptstadt Nairobi verwaist. Die Bewohner haben ihre Sachen gepackt und sind zu ihren Verwandten aufs Land gefahren. Sie wollen lieber nicht im Mittelpunkt stehen, wenn es womöglich zu weiteren gewalttätigen Auseinandersetzungen kommen sollte. Vor fünf Jahren waren nach der Wahl 1300 Menschen getötet und mehr als eine halbe Million Menschen vertrieben worden. Damals hatte Raila Odinga, derzeit Premierminister, dem aktuellen Präsidenten Mwai Kibaki, wohl zurecht vorgeworfen, ihm die Wahl gestohlen zu haben. Nach wochenlangen Unruhen einigten sich die Kontrahenten auf eine große Koalition, die tatsächlich bis zur Wahl gehalten hat.

Raila Odinga steht wieder an der Spitze eines Wahlbündnisses. Für diese Wahl hat der inzwischen 68-Jährige Sohn des ersten Vizepräsidenten Kenias, Jaramogi Odinga Odingas, diesmal die Koalition für Reformen und Demokratie (Cord) gegründet. Sein potenzieller Vize ist Kalonzo Musyoka, ein Akamba aus dem Osten des Landes. Selbst im politisch überaus flexiblen Kenia gilt Musyoka als Wendehals. Nach der Wahl Ende 2007 betonte er, er könne mit allen Parteien regieren. Für den schwerreichen Raila Odinga ist es vermutlich die letzte Chance, Präsident Kenias zu werden.

Die Umfragen sehen beide Gegner Kopf an Kopf

An diesem Montag wählten die Kenianer die Parlamentsabgeordneten und den Präsidenten. Am Rande der Wahl kamen bei Anschlägen mindestens zwölf Menschen ums Leben.
An diesem Montag wählten die Kenianer die Parlamentsabgeordneten und den Präsidenten. Am Rande der Wahl kamen bei Anschlägen mindestens zwölf Menschen ums Leben.

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Das zweite aussichtsreiche Duo besteht aus Uhuru Kenyatta, Sohn des ersten Präsidenten Kenias, Jomo Kenyatta, und William Ruto, der vor fünf Jahren Raila Odingas Wahlkampfmanger gewesen war. Ruto wird dafür verantwortlich gemacht, dass der Stamm der Kalenjin, dem er angehört, Hunderte Angehörige der Volksgruppe der Kikuyu getötet hat. Kenyatta wiederum soll zu den Hintermännern gehören, die eine Kikuyu-Sekte dafür bezahlt haben sollen, Racheakte an den Kalenjin zu begehen. Nun treten sie als Jubilee-Bündnis zur Wahl an. Die beiden verbindet inzwischen nämlich etwas ganz Entscheidendes: Beide sind vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IstGH) wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt. Die beiden Prozesse hätten eigentlich im kommenden Monat beginnen sollen. Doch angesichts einer wahrscheinlichen zweiten Wahlrunde am 11. Arpil hat die IstGH-Chefanklägerin den Auftakt der Prozesse inzwischen in den August verschoben.

Die Umfragen sehen Raila Odinga und Uhuru Kenyatta Kopf an Kopf. Raila Odingas Vorsprung in einer frühen Phase der Wahlkampagne ist vor allem nach den beiden Fernsehdebatten der insgesamt acht Kandidaten im Februar schnell zusammengeschmolzen. Kenyatta hat seine Kampagne vor allem darauf aufgebaut, dass er Odinga Konspiration mit ausländischen Mächten gegen ihn vorwirft, weil er in Den Haag vor Gericht steht. Damit kann sich Kenyatta, dessen Vermögen das amerikanische Magazin „Forbes“ auf eine halbe Milliarde Dollar schätzt, als Anti-Imperialist stilisieren. Dabei hat der IstGH den Fall erst dann übernommen, nachdem sich Kenia als unfähig erwiesen hatte, die Gewalt nach den vorhergehenden Wahlen selbst juristisch aufzuarbeiten. Ein lokales Tribunal ergänzt um ausländische Richter ist im Parlament gescheitert.

Erst am 28. Februar bestätigte der Oberste Gerichtshof Kenias, dass Kenyatta/Ruto überhaupt kandidieren dürfen – trotz der Anklage in Den Haag. Im Vorfeld dieser Entscheidung hatte der neue und weithin respektierte Chef des Gerichts, Willy Mutunga, eine Todesdrohung einer kriminellen Kikuyu-Sekte erhalten. Zudem ist es vor allem in Hochburgen von Odingas Bündnis zu gewalttätigen Zwischenfällen gekommen, die dem gegnerischen Lager zuzurechnen sind. Denn nach Einschätzung des Londoner Informationsdienstes „Africa Confidential“ ist das inzwischen das erfolgversprechendste Mittel für Wahlbetrug: Die eingeschüchterten Wähler des politischen Gegners bleiben nach den Ausschreitungen zu Hause. Die Wählerregistrierung hat diesmal mit biometrischen Wahlmaschinen stattgefunden. Es ist also nahezu unmöglich, wie in früheren Wahlen Tote zu registrieren oder Wahlurnen nachträglich mit Wahlzetteln des eigenen Kandidaten vollzustopfen. Insgesamt sind rund 14 Millionen Wähler des 43-Millionen-Einwohner-Landes registriert, 69 Prozent der Wahlberechtigten.

Ob diese Wahl friedlich verläuft, ist völlig offen. Einerseits hat es Kenia geschafft, mit einer neuen Verfassung seit 2010 beispielsweise die Justiz zu reformieren. Sie gilt inzwischen als unabhängig. Andererseits sind noch immer die meisten wichtigen Posten mit Kikuyus besetzt, und damit unter Verdacht der Voreingenommenheit. Inhaltlich unterscheiden sich die Kandidaten übrigens kaum. Bei der Finanzkraft jedoch deutlich. Obwohl Raila Odinga wohlhabend ist, konnte er es sich nicht leisten, allen seinen Kandidaten in den Regionen dicke Geländewagen und schicke Häuser zu kaufen, wie es Uhuru Kenyatta getan hat. Für reine Wahlwerbung haben die Kandidaten nach einer Schätzung von „Africa Confidential“ diesmal mindestens eine Milliarde Dollar ausgegeben. Angesichts der immer noch weit verbreiteten Armut im Land eine ziemlich obszöne Summe. (mit afp)

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