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Mussawi

© dpa

Präsidentschaftswahl: Iran überprüft Wahlergebnis

Der religiöse Führer Chamenei hat auf die Proteste reagiert: Das Ergebnis der Präsidentschaftswahl wird kontrolliert. Wahlverlierer Mussawi sagte eine Kundgebung ab.

Bei der verbotenen Demonstration in Teheran mit Hunderttausenden Mussawi-Anhängern sind Augenzeugen zufolge am Abend Schüsse gefallen. Mindestens ein Mensch sei getötet, zahlreiche weitere Demonstranten seien verletzt worden. Fotografen legten entsprechende Bilder vor. Die Demonstranten seien in nahe Krankenhäuser gebracht worden. Weitere Angaben konnten die Fotografen nicht machen. Sie hätten jedoch auch Bilder von Blutspuren, die zwei andere verletzte Demonstranten hinterlassen hätten. Unklar war, ob das Blut von Schusswunden stammt.

Offiziell bestätigt wurden diese Angaben bisher nicht. Das Staatsfernsehen berichtete jedoch ebenfalls von einer Eskalation. "Es gab vereinzelt Schüsse da draußen, ich kann sehen, wie Menschen davonlaufen", sagte ein Reporter des iranischen englischsprachigen Senders Press TV. Wer die Schüsse abgab, blieb unklar. Auch die Gerüchte, wonach Demonstranten erschossen worden seien, konnten nicht verifiziert werden, hieß es weiter.

Iran erlebte heute die größte Kundgebung seit 1979, dem Jahr der Islamischen Revolution. Hunderttausende Anhänger von Oppositionsführer Mir Hussein Mussawi trotzten einem Demonstrationsverbots des Innenministeriums und versammelten sich auf den Straßen und Plätzen Teherans. Über Kilometer hinweg blockierte ihr Marsch das Zentrum der iranischen Hauptstadt. Die Demonstranten skandierten Slogans gegen den alten und neuen iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadineschad und warfen ihm Wahlbetrug vor.

Auch Mussawi erneuerte seine Vorwürfe und forderte einen neuen Urnengang. "Wenn es eine Neuwahl gibt, ich werde wieder kandidieren", rief der Reformpolitiker der jubelnden Menge vom Dach seines Wagens aus zu. Aus Sorge vor einer Eskalation rief Mussawi seine Anhänger zur Mäßigung auf. Es war sein erster öffentlicher Auftritt seit den Präsidentschaftswahlen am vergangenen Freitag. Augenzeugen berichteten, auch der frühere Präsident Mohammed Chatami und der moderate Geistliche Mehdi Karrubi seien vor Ort gewesen. Chatami sagte, das was bei diesen Wahlen geschehen sei, habe das Vertrauen in den Staat beschädigt.

Augenzeugen beschrieben die Lage in Teheran bereits am Nachmittag als "äußerst gespannt". Immer wieder erschallten Slogans wie "Tod dem Diktator" oder "Wir sind hier, und wir bleiben hier". Viele Demonstranten trugen grün, die Farbe des Kandidaten, und hielten Bilder von ihm hoch. "Mussawi, nimm unsere Stimmen!", schallte es aus der Menge. "Wir haben euch gewarnt, wenn ihr uns betrügt, machen wir euch das Leben zur Hölle." An die Adresse des Innenministeriums riefen sie: "Wir kämpfen, wir sterben, wir werden diese Wahlmanipulation nicht akzeptieren." Für den Amtsinhaber hatten die Demonstranten nur Spott übrig. "Wo sind die 63 Prozent, die für Ahmadineschad gestimmt haben sollen?" riefen sie, eine Anspielung auf das offizielle Wahlergebnis. "Wir werden sterben, aber unsere Stimmen bekommen wir zurück!"

Am Revolutionsplatz und in den umliegenden Straßen versammelten sich schwarz-uniformierten Sicherheitskräfte, anfangs hielten sie sich noch zurück. "Polizei, Polizei, danke", riefen die Demonstranten. Als ein Polizei-Hubschrauber über der Menge auftauchte, brachen sie in Buh-Rufe aus. Als dann die Schüsse fielen, brach Panik aus. Wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtete, war es bereits vor Beginn des Marsches zu Krawallen gekommen. Demnach prügelten sich Anhänger des Amtsinhabers mit den Befürwortern von Mussawi. Dabei schlugen die Ahmadineschad-Anhänger von Motorrädern aus mit Stöcken auf ihre Gegner ein.

Das umstrittene Wahlergebnis, aus dem Ahmadineschad mit 63 Prozent aller Stimmen als eindeutiger Sieger hervorgeht, hatte seit dem vergangenen Samstag heftige Krawalle in Teheran ausgelöst. Tausende, meist junge Anhänger Mussawis protestierten lautstark, zündeten Reifen und Mülltonnen an. Dafür wurden sie von teils brutal eingreifenden Einsatzkräften traktiert. Letztere waren mit Schlagstöcken und Tränengas bewaffnet und jagten viele Demonstranten durch die Straßen. Viele Führungskräfte reformorientierter Parteien sowie Journalisten wurden festgenommen.

In der Nacht zu Montag stürmten Polizei und Milizionäre den Campus der Universität. Fotos auf den Onlinediensten Facebook und Twitter zeigen blutüberströmte Opfer auf ihren Betten, eingetretene Türen, zertrümmerte Computer und brennende Autos. Sogar mit Äxten seien die Schläger auf sie losgegangen, berichteten schockierte Studenten. "Viele wollen zu ihren Familien flüchten, sie haben große Angst." Polizei und Miliz hätten gedroht, dass sie wiederkommen – "und dann verhaften sie jeden, den sie noch antreffen".

Aus Angst vor den motorisierten Schlägertrupps versammeln sich Zehntausende Menschen inzwischen Abend für Abend auf Balkonen und Dächern und schreien ihren Frust in die Nacht hinaus. "Tod dem Diktator" und "Allah ist groß" tönt es hinunter in die Straßenschluchten. "Die Rufe werden lauter und lauter", jubeln iranische Blogger in ihren Foren. Die Unruhen in der Hauptstadt haben inzwischen auch auf andere Städte übergegriffen. In Schiras im Süden des Landes, in Isfahan im Zentrum, in Tabriz im Norden oder in Rasht am Kaspischen Meer – überall gehen die Menschen auf die Straße und fordern eine Annullierung der Präsidentenwahl.

Unterdessen mühte sich die religiöse Führung des Landes um Aufklärung. Ajatollah Ali Chamenei, religiöses Oberhaupt Irans, hat den Wächterrat angewiesen, die Vorwürfe von Unregelmäßigkeiten sorgsam zu überprüfen.

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verlangte von dem islamischen Land genaue Auskunft zu den Umständen der Wahl und den anschließenden Protesten. "Wir verurteilen die Verhaftungswelle." Die Bundesregierung sei "sehr besorgt" über die Entwicklung. Die Einschränkungen von Demonstrations- und Pressefreiheit sei nicht zu akzeptieren. Merkel forderte eine transparente Überprüfung des Wahlergebnisses und sagte: "Es gibt Hinweise auf Unregelmäßigkeiten." Regierungssprecher Thomas Steg mahnte ergänzend, die iranische Regierung müsse gewährleisten, dass westliche Journalisten frei aus Teheran berichten könnten. Mehrere Berichterstatter auch aus Deutschland hatten sich über die Arbeitsbedingungen beschwert.

ZEIT ONLINE, kg, dpa, Reuters

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