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Mutmaßlicher Plagiator und Plagiat: Karl-Theodor zu Guttenberg (rechts) mit Doppelgänger.

© dpa/picture-alliance

Update

Presseschau: Zwischen "skandalös" und "Es gibt Schlimmeres"

In einem sind sich die Medien einig: Die Plagiatsvorwürfe um Karl-Theodor zu Guttenberg sind ein großes Thema. Die Bewertungen reichen derweil von mühsam verhohlener Abscheu bis zum totalen Verständnis.

Jetzt hat das Thema Guttenberg sogar Bild und bild.de erreicht. Auf der Homepage des "Wir finden das gutt"-Blatts wurde die Nachricht von den Plagiaten des Verteidigungsministers gestern lange Zeit als kleine Meldung unter ferner liefen gefahren. Noch um 18.30 Uhr brachte der Klick auf bild.de zwar einen Hinweis auf die Plagiatsvorwürfe gegen das neue Lied der Dschungelcamp-Insassin Indira, Guttenberg aber wurde auf Platz 3 der umschaltenden Top-Aufmacher-Strecke mehr oder minder versteckt. Bei seiner nun dann doch großen Berichterstattung heute legt BILD neben der "Bestnote summa cum laude" für Guttenberg besonderen Wert auf die politische Gesinnung von Andreas Fischer-Lescano, der die Plagiate aufdeckte: Er "war Mitbegründer einer 'Denkwerkstatt' für rot-rot-grüne Zukunftsentwürfe - zusammen mit u.a. Hessens Ex-Chefin Andrea Ypsilanti, dem Grünen Attac-Mitglied Sven Giegold und der Vize-Chefin der Linkspartei, Katja Kipping". Franz-Josef Wagner fordert unter der demonstrativen Adresse "Lieber Dr. (Sic! Anm. Tso) zu Guttenberg" an dessen "Jäger": "Macht keinen guten Mann kaputt. Scheiß auf den Doktor." Interessant auch, wie die Zeitung aus ihrem Bericht über die Plagiatsvorwürfe aussteigt: "Unterdessen ist der Verteidigungsminister am Mittwochabend zu einem Überraschungsbesuch in Afghanistan eingetroffen. Es ist Guttenbergs neunte Afghanistan-Reise seit seinem Amtsantritt im Herbst 2009. Guttenberg hat sich vorgenommen, die deutschen Soldaten in Afghanistan alle zwei Monate zu besuchen. Diesmal wurde er nicht von Journalisten begleitet. Das genaue Besuchsprogramm wurde zunächst nicht bekannt gegeben." Tenor: Alle hetzen, und einer arbeitet.

Einen anderen Ton schlägt stern.de, in der Vergangenheit nicht unbedingt Hort des Guttenberg-Bashings, bereits am Vorabend an: "Selbst wenn der Kritiker Karl Marx persönlich gewesen wäre - abgekupfert bleibt abgekupfert", heißt es da im Artikel "Warum Politiker titelgeil sind". Unter der Überschrift "Die Nöte des Dr. Axolotl zu Guttenberg" bewertet stern.de-Redakteur Florian Güßgen die Causa denkbar harsch: "Es ist ein handfestes akademisches Vergehen, zumal Guttenberg nicht irgendeinen Fakt, irgendein Zitat abgekupfert hat, sondern eine 'Bewertung'. Es ist natürlich eine wunderbare Ironie, dass ausgerechnet ein Politiker aus einer ausdrücklich christlichen Partei, der CSU, seine Einschätzung über den Gottesbezug in einer europäischen Verfassung aus der Zeitung, der 'NZZ am Sonntag' abpaust. Wenn der Mann schon solche grundsätzlichen Urteile 're-mixed': Wofür steht der dann eigentlich? Was ist Schein, was ist Sein?"

Die taz verpasst ein weiteres Mal die Chance auf einen Anti-Bild-Titel ("Wir finden das nicht gutt!"), in einer Polemik schießt Steffen Grimberg aber gegen alle Versuche, den journalistischen Ehrgeiz der Rechercheure zu diskreditieren: "Dass Zeitschriften und Zeitungen amtierende PolitikerInnen hier und da in Verlegenheit bringen, ist trotz vielfacher Versuche diverser Bundesregierungen, dem entgegenzuwirken, alles andere als unüblich." Fazit: "Der Teflon-Minister hat seinen ersten handfesten Skandal, dessen Bewertung er nicht auf andere abschieben kann."

"Es gibt Schlimmeres", ist bei derwesten.de, dem Portal der WAZ Mediengruppe, zu lesen. Und man fragt sich, ob Dirk Hautkapp es ironisch meint, wenn er in seinem Kommentar schreibt: "In der titelverliebten Wissenschaftsgemeinschaft mag es ein übles Vergehen sein, sich beim Abschreiben erwischen zu lassen. Guttenberg ist Politiker. Da gehört das kreative Hantieren mit wohlklingenden Textbausteinen (auch) aus anderer Leute Hirnwindungen fast schon zur Berufsbefähigung." Der Imageschaden, vermutet Hautkapp, der die Frage, warum Guttenberg selbst so titelverliebt war, überhaupt nach einem Titel aus der titelverliebten Wissenschaft zu streben, nicht beantwortet, wird zum Leidwesen von Guttenbergs Gegnern nicht über ein paar "kleinere Schrammen" hinausgehen: "Die große Mehrheit, vor allem jene, die sich ihr Weltbild vorzugsweise am Computer nach der Methode 'Kopieren-Einfügen' zusammengoogeln, werden sich an das Lied der 'Prinzen' erinnern ('Alles nur geklaut') und 'Schwamm drüber' rufen."

Die FAZ, selbst ergiebige Ader in Guttenbergs Wortsteinbruch, gibt sich zurückhaltend: Kein Leitartikel, nur ein ironisch an Helene Hegemann gemahnendes Axolotl als Aufmacherbild und in der Kultur ein sorgfältig abwägendes Stück von Jürgen Kaube: Bei wörtlichen Übernahmen aus googlebaren Artikeln müsse es sich nicht um einen Täuschungsversuch handeln: "Es kann auch, halten zu Gnaden, die Schlamperei des Vielbeschäftigten im Umgang mit Exzerpten sein." Andererseits seien aber andere Übernahmen stilistisch bearbeitet: "Hier wird man nicht Nachlässigkeit ohne Bewusstsein der Zitierpflicht an den entsprechenden Stellen annehmen können. Niemand vergisst, ob die ersten Absätze eines eigenen Buches aus eigenen Sätzen bestehen oder aus Zitaten." Ein solcher Missgriff mache "sprachlos".

Auf welt.de analysiert Torsten Krauel noch einmal das Fantasma Guttenberg: "Karl-Theodor zu Guttenberg ist bisher der Politiker, der sich in Stil und Substanz von so vielen anderen unterscheidet. Sein Nimbus beruht darauf, dass die Wähler glauben, Guttenberg lasse nirgendwo fünfe gerade sein. Er sei in Amt und Alltag ehrlich. Er habe den Anstand auch in kleinen Dingen. Er sei jemand, der niemanden übers Ohr haue, nur um auf den nächsten 50 Metern der Karriere zwei Meter vor dem Rivalen zu liegen. Wenn es einen Unionspolitiker gibt, dem man zutraut, in einer so oft beklagten Welt der gemeinen kleinen Regelverletzungen das Spiel der Übervorteilung anderer nicht mitzuspielen, dann ist es Guttenberg." Dieser Nimbus stehe mit den Unregelmäßigkeiten in seiner Doktorarbeit auf dem Spiel. Als einer der wenigen betont Krauel die eigentlich unglaubwürdige "Tatsache", Guttenberg habe die Doktorarbeit neben seinem Bundestagsmandat verfasst: "Das ist eine beträchtliche geistige und auch physische Leistung." Bislang habe es jedoch keinen Grund gegeben, daran zu zweifeln, dass Guttenberg tatsächlich das Zeug dazu habe. Die Ergänzung "Jetzt natürlich schon" erspart Krauel dem Minister.

"Dieser Fall droht nun sein größtes Kapital zu erschüttern, das Bild des Anständigen, des Aufrechten, der für Wahrheit und Klarheit steht", heißt es auch im Leitartikel der Financial Times Deutschland. Die Zeitung hebt auch die Besonderheit des Falles in der Offenlegung Guttenbergianischer Selbstverteidigungsstrategien hervor: "Besonders abstrus ist, dass Guttenberg in dieselben Verteidigungsmuster verfällt, die er auch gegen vorhergehende Angriffe angewandt hat: Er verweist auf andere Stellen, die den Sachverhalt zu prüfen hätten. Während so etwas im Fall der Kundus-Affäre noch sinnvoll war, wird es im aktuellen Schlamassel grotesk."

Der Freitag kommentiert nicht selbst, unterhält sich aber mit dem Bremer Staatsrechtler Andreas Fischer-Lescano, der die Guttenberg-Plagiate aufdeckte. "Routinemäßig" habe er auffällige Passagen bei Google eingegeben: "Es waren teilweise einfach sehr kritische Wortgruppen. Sie befanden sich auf einem Argumentationsniveau, das ich für eine juristische Dissertation schwierig fand. Ich dachte, er hätte sie vielleicht aus seinen politischen Reden übernommen, begann im Internet zu suchen – und stieß auf ganz andere Quellen." Fischer-Lescanos Bewertung: "Ich finde den Vorgang wissenschaftlich so skandalös, dass es eigentlich nur eine Entscheidung geben kann: Die Aberkennung des Doktortitels. Weitere Maßnahmen wären, dass der Vertrieb des Buches eingestellt würde und die Passagen im Text noch kenntlich gemacht werden."

Neben den klassischen Medien ist auch die Netz-Community schwer aktiv: In Wikis und kollaborativen Google-Docs werden bereits fleißig weitere kritische Stellen der Arbeit gesammelt, die Kommentare in Foren und bei Twitter gehen derweil in gänzlich unterschiedliche Richtungen. Auffällig ist die große Zahl derer, die Guttenberg trotz allem die Stange halten und den Skandal eher auf Seiten derer sehen, die in der Fälschung einen Skandal sehen: "Ein Armutszeugnis für seine Kritiker, dass sie offensichtlich keine andere Lösung mehr wissen, als solche Wege zu begehen", schrieb bereits gestern ein User in der Facebook-Community des Tagesspiegels, "Diese Gesellschaft verträgt nur Mittelmaß" ein anderer. "Schäbig nenne ich das, wie hier versucht wird diesen Mann zu Fall zu bringen", schreibt User doubleyu bereits gestern Morgen auf tagesspiegel.de, und stephanstephan stimmt zu: "Aufgrund der Tatsache, dass in allen Diplomarbeiten oder Dissertationen Zitate einen festen Bestandteil darstellen und grundsätzlich Bezug auf Fachautoritäten genommen wird, kann man bei jedem irgendeine Stelle finden, wo die Zitate und Bezugnahmen unzureichend belegt sind." Mit der späteren Enthüllung, dass auch für die Einleitung bei der FAZ abgekupfert wurde, ändert sich die Stimmung jedoch ein wenig: "Ich revidiere alles ...Heute morgen fand ich die Argumentation noch zu extrem. Mittlerweile, nach Betrachtung der Textstellen, muss ich meine Meinung revidieren. Wer so dumm abschreibt, hat ein paar Prügel verdient", schreibt User johandy99 beim Scoop-Inhaber sueddeutsche.de - dort, wo die Plagiatsmeldung erstmals publiziert wurde, hat man die User-Kommentare sogar in einem eigenen Artikel gesammelt.

Das Online-Medienmagazin meedia.de spießt all diejenigen in Medien und Politik auf, die sich nun allzu sehr über zu Guttenberg erregen: "In ihrer allzu offensichtlichen Freude, dem Polit-Superstar aus Franken daraus endlich einen Glaubwürdigkeits-Strick drehen zu können, übersieht die Anti-Guttenberg-Fraktion in allen Lagern freilich, dass es dem Wahlvolk wahrscheinlich wirklich herzlich Wurst ist, was in zu Guttenbergs Doktorarbeit steht und was er wo abgeschrieben hat und was nicht." Mit gutem Grund zweifelt meedia.de die Strategie an: "Zu Guttenberg gilt vielen Menschen als 'glaubwürdig', weil er ein offenes Wort pflegt, weil er die Lage in Afghanistan, anders als seine Vorgänger, undiplomatisch als Krieg bezeichnet hat."

Um 12.02 Uhr am Donnerstag schießt schließlich auch, lang ersehnt, der Bildblog, dafür umso besser. Den Tiraden Franz-Josef Wagners (s.o.) hält man, sehr geschickt, Tiraden Franz-Josef Wagners entgegen, allerdings solche aus dem Sommer 2009. Damals beschied Wagner den 100 Professoren, die im Verdacht standen, Doktortitel gegen Geld vergeben zu haben: "Der Doktortitel war einmal das Edelste der forschenden Studierenden. Wenn der Doktortitel heute verramscht wird, dann müssen wir uns nicht wundern, wenn Nobelpreise andere kriegen." Dazu der süffisante Nachsatz von Bildblog: "Wann genau Wagner seine Ansichten geändert hat, ist auch diesmal nicht bekannt."

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