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Das Verhältnis von David Petraeus zu seiner Biografin Paula Broadwell wird detailliert öffentlich ausgebreitet.

© AFP

Privates wird öffentlich: Petraeus-Affäre: Haben wir die Proportionen verloren?

In der Affäre um David Petraeus konnte bislang keinem der Beteiligten ein strafrechtlich relevanter Vorwurf gemacht werden. Der Fall illustriert, wie schnell heute Intimes und Diskretes transparent wird. Das muss nicht immer richtig sein.

Die Geschichte noch mal in Kurzform: Eine Frau in Tampa erhält ein halbes Dutzend anonyme Emails, von denen sie sich bedroht fühlt. Sie wendet sich an einen Freund, der bei der amerikanischen Bundespolizei FBI arbeitet. Dieser leitet im Rahmen des Cyberstalking-Programms eine Ermittlung ein. Die Beamten durchsuchen die Dateien der Adressatin, lüften das Geheimnis der Absenderin, knacken deren verschlüsselten gemeinsamen Account mit CIA-Direktor David Petraeus, stoßen auf deren Affäre, entdecken Hunderte von Email-Briefen zwischen dem Oberkommandierenden in Afghanistan, John Allen, und der Frau in Tampa – und am Ende scheint der Ruf von zwei herausragenden amerikanischen Führungskräften ruiniert worden zu sein, während den Präsidenten der Vereinigten Staaten die Frage umrankt, in wie weit er selbst von der Affäre betroffen ist.

Stimmen die Proportionen noch? Keinem der Beteiligten konnte bislang ein strafrechtlich relevanter Vorwurf gemacht werden. Geklärt werden muss, ob Geheimnisse zu verraten die Sicherheit gefährdet - oder gegen Militärrichtlinien verstoßen wurde. Präsident Barack Obama betonte am Mittwoch, er habe keine Hinweise für Geheimnisverrat. Doch klar ist bereits jetzt, dass der Fall ein weiteres Mal illustriert, wie schnell und leicht im Zeitalter von Internet, Digitaltechnik, Facebook und Twitter die Trennung von Privatem und Öffentlichem aufgehoben werden kann. Es geht auch um Persönlichkeitsrechte und Datenschutz, warnte am Mittwoch die „New York Times“. Kathleen Parker, Kolumnistin der „Washington Post“, ergänzte: „Wir sind besser als der Mob – bis wir selbst zum Mob werden.“ Intimes und Diskretes wird heute im Handumdrehen transparent.

Das Netz vergisst nichts. Das Netz verbirgt nichts. Das Netz verleiht Macht. Erinnerungen werden wach: an jene Datenmenge über Tausende von Menschen, die die National Security Agency (NSA) nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 gehortet hatte; an jene Viertelmillion zum Teil geheimer Dokumente aus dem US-Außenministerium, die von Wikileaks entblößt wurden. Als normal gilt bereits, dass Lehrer von Spickmich goutet, Job-Bewerber vom möglichen Arbeitgeber digital gescannt werden.

Das verändert das Verhältnis zu Autoritäten. Das, was früher Charakter hieß und vom Nimbus der Makellosigkeit zehrte, wird gnadenlos entzaubert. Das Allzumenschliche triumphiert. Das betrifft alle Machtverhältnisse, die auf mehr gründen als auf Können, Fleiß und Sachverstand: Eltern-Kind, Lehrer-Schüler, Geistlicher-Glaubender, Politiker-Bürger. Dieses „Mehr“ verschwindet langsam. Der Verdacht der Fehlbarkeit legt sich über alles und jeden.

Dazu passt folgende Meldung: Am Dienstag gab der Internet-Suchdienst Google seine aktuellen Zahlen über staatliche Beobachtungsanfragen bekannt („Transparency Report“). Erneut wurden Rekorde gebrochen. Die US-Regierung führt, mit fast 8000 Benutzer-Anfragen von Januar bis Juni 2012. Danach kommen Indien (2319 Anfragen) und Brasilien (1566). Insgesamt verzeichnete Google eine Steigerung um rund 15 Prozent. „Government surveillance is on the rise“ (frei übersetzt: staatliche Ausschnüffelei nimmt zu), resümierte die Ergebnisse eine Google-Mitarbeiterin.

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