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Politik: Produktive Zumutung

ISRAELS TEILRÜCKZUG

Von Clemens Wergin

Es geht auch ohne die Palästinenser. Das ist die brutal klare Botschaft, die Ariel Scharon und George W. Bush in Washington ausgesandt haben. Kein Wunder, dass bei den Palästinensern ein bitteres Gefühl zurück bleibt. Schließlich waren sie nicht eingeladen zu einer Veranstaltung, bei der auch über ihr Schicksal entschieden wurde.

Dass es soweit kommen konnte, ist freilich zu einem guten Teil die Schuld der palästinensischen Führung selbst. Sie war nicht in der Lage, auch nur die Startbedingungen zu erfüllen für den ursprünglich vorgelegten Friedensplan, die „Roadmap“. Weder gelang es ihr, die Führungsfrage zu klären, noch zeigte sie sich willens und fähig, Mitverantwortung für die berechtigten Sicherheitsinteressen israelischer Bürger zu übernehmen und gegen Terrorgruppen vorzugehen. Die Entscheidung, die Scharon und Bush nun zu treffen hatten, war also nicht eine zwischen einem guten Friedensplan – der Roadmap – und einem weniger guten – dem Rückzug aus Gaza. Sondern zwischen einer Fortsetzung der momentanen Blockade oder einer einseitigen Initiative, die sich unabhängig macht von der Lähmung innerhalb der palästinensischen Führung.

Bush ist Scharon weit entgegengekommen. Doch hat er mit seiner vage formulierten Wende in der Flüchtlingsfrage und dem zukünftigen Grenzverlauf nur ausgesprochen, was jeder weiß: dass die Mehrheit der palästinensischen Flüchtlinge nicht von Israel, sondern vom zukünftigen Palästinenserstaat aufgenommen werden wird und dass Israel am Ende wohl einige Siedlungen wird behalten dürfen – im Tausch gegen eigenes Staatsgebiet. Das erhält jedoch besonderes Gewicht, wenn der amerikanische Präsident das sagt. Andererseits war Bush der erste, der die Errichtung eines Palästinenserstaates zur offiziellen amerikanischen Außenpolitik machte. Bill Clinton etwa wollte diese Frage den Konfliktparteien überlassen.

Bushs demonstrative Unterstützung für Scharon hat vor allem einen Grund: Er wollte Israels Premier Argumente in die Hand geben, mit denen er das Referendum in seiner Likud-Partei überstehen kann, die am 2. Mai über den Gaza-Abzugsplan entscheidet. Bei aller berechtigten Kritik daran, dass Scharon auch die verbleibenden Siedlungsblöcke in der Westbank stärken will, so darf man doch den revolutionären Charakter des ganzen Vorhabens nicht unterschätzen. Scharon bricht mit der Ideologie seiner Partei und der von ihm begründeten Siedlungsbewegung. Wenn sein Likud zustimmt, wird Scharon der erste Ministerpräsident Israels, der Siedlungen in den Palästinensergebieten räumen lässt. Das hatten nicht einmal seine Vorgänger von der Arbeitspartei, Jitzchak Rabin, Schimon Peres oder Ehud Barak, gewagt.

Wer Scharons Plan als bloßes Komplott abtut, vergibt also eine historische Chance. Israels Teilrückzug ist wichtig und richtig. Ist er erst einmal erfolgt, kann die internationale Gemeinschaft alle Kraft darauf verwenden, dass das nicht der letzte Schritt war – wie Scharon es gerne hätte. Sondern ein erster Schritt zu einer endgültigen Lösung. Dazu können auch die Europäer einiges beitragen. Zunächst müssen sie die palästinensische Führung dazu bringen, endlich Verantwortung zu übernehmen – auch für die Gebiete, aus denen Israel sich zurückzieht. Dann können die EU-Staaten den Wiederaufbau palästinensischer Institutionen fördern. Das Prinzip muss heißen: Hilfe zur Eigenverantwortung. Niemand wird den Palästinensern einen Staat auf dem Silbertablett servieren, schon gar nicht Scharon. Die Weltgemeinschaft kann ihnen nur Chancen eröffnen wie vor einem Jahr mit der Roadmap. Nutzen müssen die Palästinenser sie selbst.

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