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Der frühere US-Präsident Barack Obama ist an diesem Donnerstag Gast des Kirchentags. Er diskutiert mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Brandenburger Tor.

© Kay Nietfeld/dpa

Präsidialer Besuch: Barack Obama passt zum Kirchentag

Barack Obama kann Menschen anrühren wie ein Pfarrer. Seine Religiosität wurde ihm nicht in die Wiege gelegt. Zum christlichen Glauben fand er in Chicagos Armenvierteln.

Er ist der prominenteste Gast des Kirchentages. Barack Obama ist immer noch populär in Deutschland - trotz der Debatten, ob er ein erfolgreicher Präsident war oder nur Erwartungen geweckt hat, die er dann nicht erfüllen konnte. Aber weil er immer noch so populär ist, fragen manche auch, ob sein gemeinsamer Auftritt mit Kanzlerin Angela Merkel vor dem Brandenburger Tor an diesem Donnerstag um 11 Uhr denn wirklich dem Evangelischen Kirchentag gilt? Oder betreibt Obama Wahlkampfhilfe für Merkel, die er in seinen zwei Amtszeiten schätzen gelernt hat?

Wenn Obama singt, kann er Menschen zu Tränen rühren

Was auch immer die Motive sind, eines darf man Barack Obama zugutehalten. Er passt zum Kirchentag. Er beherrscht das Genre Predigt. sowohl die politische als auch die religiöse Ansprache. Er kennt die Wirkungsmacht der Religion, der Liturgie und der Kirchenlieder. Er hat die Kraft des Glaubens am eigenen Leib erfahren. Und er hat sich dieser Kraft mehrfach in seinem politischen Leben bedient.

Ende Juni 2015, zum Beispiel, stimmte er am Ende der Traueransprache in einer schwarzen Kirchengemeinde in Charleston „Amazing Grace“ an: die Hymne, die Generationen von Sklaven Lebensmut gegeben hatte. Neun Tage zuvor hatte ein junger weißer Rassist dort neun Afroamerikaner beim Gebet ermordet. Was kann man da überhaupt Tröstendes sagen, zumal als Präsident, der die vielfältig gespaltene Nation mit sich versöhnen wollte? Und den viele zum Symbol einer neuen „Post Racial Era“ verklärt hatten: eines Amerika, in dem Hautfarbe und Herkunft keine Rolle mehr spielen. Die Schießerei und ihre Umstände zeigten, wie fern die Hoffnung auf solche Zeiten noch lag.

Doch als Obama mit einsamer Stimme die Melodie ertastet, Tausende einfallen und das Lied vom Wunder der Gnade zu einer großen, starken Botschaft anschwellen lassen, jagt dieses Erlebnis den Anwesenden Schauer über den Rücken. Trost kann mächtiger sein als Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit. Angst und Hass lassen sich überwinden.

Die Mutter brachte ihm bei, die Weltreligionen zu respektieren

Obama wird auf dem Kirchentag kein Fremdkörper sein – keine Berühmtheit, die einer religiösen Feier künstlich aufgezwungen wird. Er kann Spiritualität, besser sogar als viele ausgebildete Pfarrer. Dabei ist er nicht christlich erzogen worden. Sein Vater kam aus einem muslimischen Elternhaus in Kenia, seine Mutter aus einem christlichen in Kansas. Praktiziert haben sie ihre Konfession nicht. Der Vater verließ die Familie, als Barack zwei Jahre alt war. Die Mutter brachte dem Kind Respekt vor den Weltreligionen bei; das war für sie mehr eine Bildungs- als eine Glaubensfrage. Und Ehrfurcht vor der Schöpfung könne die Natur lehren: es genüge, einen besonders schönen Sonnenuntergang zu erleben, bei Mondlicht durch die Natur zu streifen, mit nackten Füßen über raschelndes Laub zu gehen.

Gut drei Jahre seiner Kindheit lebte Barack in Indonesien, der Heimat des zweiten Ehemanns seiner Mutter Ann. Dort besucht sie mit ihm Moscheen und buddhistische Tempel, so wie sie zuvor in den USA in Kirchen gegangen waren: zur Horizonterweiterung.

Als Barack zum Studium aufbricht, erst an ein College in Kalifornien, dann nach New York geht, gehört Religion nicht zu seinem Alltag. Erst Jahre später findet er zum Glauben. Und so, wie er diese Wende in seiner frühen Autobiografie „Dreams From My Father“ emotional auflädt, wurden die späteren Fragen wohl unvermeidlich, wie viel authentische Religiosität und wie viel politisches Kalkül damit verbunden waren.

Obama war auch auf die Hilfe der Kirchengemeinden angewiesen

Obama ist inzwischen „Community Organizer“, eine Art Sozialhelfer, in Altgeld Gardens, einem heruntergekommen Viertel am Südrand Chicagos. Er versucht, die sozial benachteiligten Anwohner dazu zu bringen, sich zu organisieren und ihre Interessen zu vertreten. Dabei ist er auf die Hilfe der Kirchengemeinden angewiesen. Die Pfarrer fragen ihn nach seinem Glauben. „Dann können wir dir leichter vertrauen.“ Er entscheidet sich für die „Trinity United Church of Christ“. Die Gemeinde liegt im Übergang von den schwarzen Armenvierteln zu den Gegenden der schwarzen Mittelschicht, auch Weiße sind Mitglieder. Pfarrer Jeremiah Wright, ein schwarzer Mittvierziger mit silbrigem Haar, predigt eine selbstbewusste Variante der Befreiungstheologie.

Politisch steht er so weit links, wie es Obama als Student war, aber als Politiker nicht mehr sein wird. Wright predigt an dem Tag, den Obama als Moment seiner Bekehrung erzählt, über Hannas Gebet aus dem Buch Samuel: über die Zuversicht, die Bestand haben müsse, auch wenn die Erlebnisse im Alltag dagegen sprechen. Der Aufruf treibt Obama die Tränen in die Augen. „The Audacity of Hope“ („Hoffnung wagen“) wählt er 18 Jahre später als Titel des Buchs, mit dem er sich um die Präsidentschaft bewirbt.

Die nächsten Stationen sind Harvard, wo Obama Jura studiert; eine Rechtsanwaltskanzlei in Chicago, wo er sich auf Bürgerrechtsfragen spezialisiert; der Einstieg in die Politik im Landtag von Illinois. Pfarrer Wright traut die Ehe mit Michelle, die aus keinem religiösen Elternhaus stammt, und tauft die Töchter Malia und Sasha.

Obama hat eine Gabe, zu predigen

Im Präsidentschaftswahlkampf 2008 jedoch werden Pfarrer Wright und seine USA-kritischen Predigten zur Belastung. „God damn America!“ hat er gerufen statt des üblichen „God bless America!“ Die Regierung sei schuld daran, dass so viele junge Schwarze ins Gefängnis wandern. Sie verführe die Abgehängten zu Drogenkonsum, das Strafrecht sei rassistisch. Nach dem Terrorangriff an 9/11 sagte Wright, die USA hätten solche Taten durch ihre Außenpolitik mit verschuldet. Nun distanziert sich Obama von ihm.

Die Rhetorik afroamerikanischer Gottesdienste jedoch hat er verinnerlicht und setzt sie im Wahlkampf erfolgreich ein. In Chicago suchen die Obamas keine neue Kirchengemeinde mehr. Und in Washington nach dem Einzug ins Weiße Haus auch nicht. Der enorme Sicherheitsaufwand, wenn der Präsident einen Gottesdienst besuche, sei keiner Gemeinde zuzumuten, heißt es. Die Wochenenden verbringen die Obamas nun meist in Camp David, dem eingezäunten Landsitz der US-Präsidenten. Dort gibt es eine Kapelle. Ob die Obamas sie benutzen, wissen Außenstehende nicht.

Globalisierung von Trauer und Zuspruch

Seine Gabe, zu predigen und Bibelstellen für seine politische Botschaft auszulegen, nutzt Präsident Obama weiter. Die häufigste Gelegenheit in seinen acht Amtsjahren bieten Trauerfeiern nach Schießereien: darunter der Überfall auf ein Treffen der demokratischen Abgeordneten Gaby Giffords mit Wählern in Tucson 2011, das Kinomassaker in Aurora bei Denver 2012, der Anschlag auf die Sandy-Hook-Grundschule inm Newtown 2012. Mit diesen Predigten an die Nation hat er die öffentliche Meinung bewegt - hin zu mehr Unterstützung für eine Verschärfung der Waffengesetze. Mit den jüngsten Terroranschlägen in Paris, Brüssel, Berlin, London und Manchester ist die Trauer um Ermordete auch den Europäern sehr nahe. Und ebenso das Bedürfnis nach Trost und Zusammenhalt. Freilich sind die politischen Kulturen und die Erwartungen, wie man in solchen Situationen Zuspruch spendet, in Deutschland andere als in den USA. So wird der Kirchentag ganz nebenbei zu einem Testfeld, ob die Globalisierung auch die Religionen und ihre Ausdrucksformen erfasst hat.

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