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Politik: Protest aus Kalkül

Die Regime Irans und Syriens nutzen den Streit – um sich dem Volk wieder zu nähern, sagen Analysten

Obwohl die gesamte islamische Welt über die dänischen Karikaturen des Propheten Mohammed entsetzt ist, fallen die Reaktionen in verschiedenen Ländern unterschiedlich hart aus. Der syrische Oppositionelle Michel Kilo macht dafür die innenpolitischen Situationen verantwortlich. „Mit Dänemark hat das in Syrien nicht mehr viel zu tun.“ Wenn die Proteste in Syrien lauter und gewalttätiger ausgefallen seien als in anderen Ländern, dann läge es daran, dass das Regime radikalen Islamisten aus politischem Kalkül die Straße überlassen habe. „Das Regime ist schwach, hat Angst und versucht auf dieser Welle zu reiten“, sagte der Soziologe im Gespräch mit dem Tagesspiegel.

Die Baath-Partei habe ihre frühere Legitimation verloren, erklärte Kilo. Sozialismus und arabische Einheit wirkten nicht mehr. Die liberale, demokratische Opposition habe vorgeschlagen, dass das Regime sich mit einem politischen Reformprogramm eine neue Legitimation schaffe. „Aber das wollte man nicht.“ Nun versuche die Regierung möglicherweise, sich über den Islam und die Verteidigung des Propheten der Bevölkerung anzunähern, vermutet der Soziologe und führende Bürgerrechtler. Aber: „Auch wir Liberale und Demokratien lehnen die beleidigenden Karikaturen ab“, ergänzt er. Allerdings habe das Regime einem „Lumpenproletariat des Islamismus“ freien Lauf gelassen, mit dem sich die meisten Syrer nicht identifizierten.

Das Muster, dass schwache Regime ihren Bevölkerungen im Karikaturenstreit „zu schmeicheln versuchen“, gelte auch für andere Länder wie Iran. Insgesamt, sagte Kilo, fühlten sich Islamisten nach den Wahlsiegen in Palästina, Irak oder Ägypten regional gestärkt. Der Westen habe jetzt Angst vor den Muslimen, aber „die Muslime haben Angst um ihre Kultur“. Sie ständen weltweit im Abseits und spielten wirtschaftlich, politisch oder kulturell nur eine sekundäre Rolle. Da bleibe allein die Religion. Für Kilo ist es kein Zufall, dass es in Ägypten oder Saudi-Arabien ruhig geblieben sei: Die Menschen auf der Achse Beirut-Teheran ständen unter besonderer Anspannung wegen des westlichen Drucks.

Auch der ägyptische Analyst Salama Ahmed Salama ist überzeugt davon, dass die Reaktionen in Iran oder Syrien gewalttätiger sind, weil die Menschen unter „großem Druck“ stünden. Die Proteste seien ein Ventil, sagte der politische Kommentator dem Tagesspiegel. Zudem seien Ägypter seiner Meinung nach toleranter als andere arabische Völker. Sicher ist aber auch, dass zwei andere Themen die Ägypter zurzeit mehr bewegen: Wegen des in Ägypten ausgetragenen Africa-Cups liegt das gesamte Land im Fußballfieber, zumal Ägypten am Freitag im Endspiel steht. Das Schiffsunglück im Roten Meer, bei dem etwa 1000 Menschen starben, beschäftigt die Menschen sehr. Zudem haben die Muslimbrüder sich bedächtig geäußert und nicht zu Massendemonstrationen aufgerufen.

Am Donnerstag meldete sich auch der ägyptische Nobelpreisträger Naguib Mahfouz in seiner Kolumne in der Wochenzeitung „Al Ahram Weekly“ zu Wort. Er bezeichnet den Abdruck der Karikaturen als „Fehler“. Alle Muslime, auch die moderaten, fühlten sich verletzt. Der Westen habe sich „nicht interessiert“ am Dialog gezeigt und damit Extremisten „Wasser auf die Mühlen“ gegossen. Mahfouz unterstützt einen Boykott, auch wenn er nicht das beste Mittel sei. Doch die Welt verstehe nur die „Sprache der Stärke“. Vielleicht werde der Westen das Bedürfnis der Muslime verstehen, ihre religiösen Symbole zu schützen. Mit Meinungsfreiheit ließen sich die Karikaturen nicht erklären: „Jeder Mensch darf seine Arme ausstrecken, aber nicht das Gesicht eines anderen Menschen schlagen. Dies war ein Schlag in unser aller Gesicht und keine legitime Ausübung der Freiheit.“

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