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Protest: China: Die Wut wächst

Demonstrationen sind in China alltäglich geworden – doch die Regierung ignoriert die sozialen Ursachen.

Die Liste der chinesischen Orte, in denen Volk und Regierung einander nicht mehr trauen, ist wieder um einen Namen länger geworden: Longnan. In der 2,7-Millionen-Einwohner-Kreisstadt in der nordchinesischen Provinz Gansu demonstrierten am Montag rund 2000 Menschen gegen die lokale Verwaltung. Ausgelöst von rund 20 Bewohnern, die sich am Morgen vor dem Rathaus lauthals über die Enteignung ihres Landes beschwert hatten, bildete sich innerhalb kürzester Zeit ein Mob von Unzufriedenen, die zwei Bürogebäude stürmten und plünderten, Autos und Motorräder anzündeten, Beamte verprügelten und sich mit Steinen, Eisenstangen und Äxten Straßenschlachten mit der Polizei lieferten.

Der Fall kann als Beispiel dafür gelten, wie Chinas soziale Spannungen außer Kontrolle zu geraten drohen. Denn Proteste gegen Enteignung, Kaderkriminalität, Arbeitsplatzverlust oder soziale Ungleichheit sind in der Volksrepublik alltäglich geworden, und da viele Demonstranten das Gefühl haben, nichts mehr zu verlieren zu haben, wachsen sich viele Kundgebungen zu Krawallen aus.

Glaubt man den offiziellen Statistiken der Akademie für Sozialwissenschaften, kommt es in China täglich zu rund 170 „Störungen der öffentlichen Ordnung“, wie es im Regierungsjargon heißt. In Wirklichkeit dürfte die Zahl noch weitaus höher liegen, denn da die Karriere lokaler Beamter maßgeblich von der Aufrechterhaltung der Stabilität abhängt, werden wohl nur die Fälle gemeldet, die sich nicht verbergen lassen. „Das Muster ist immer wieder das gleiche“, sagt der Pekinger Menschenrechtsanwalt Liu Xiaoyuan. „Wo immer sich jemand traut, öffentlich das ihm widerfahrene Unrecht anzuprangern, bildet sich schnell eine Gruppe von Menschen, die sich mit seinem Schicksal auf die eine oder andere Art identifizieren können.“

Zwar erkennt die Regierung in Peking, dass den Protesten gewaltige soziale Probleme und häufig Korruptionsfälle zugrunde liegen. Zhou Yongkang, Chinas oberster Ordnungshüter, rief vergangenen Monat alle Beamten auf, „Konflikte zu vermeiden und Streit zu schlichten“. Doch aus Angst um die eigene Autorität werden häufiger die Demonstranten bestraft als diejenigen, die ihren Unmut provoziert haben. Diese Prioritäten der Regierung schlagen sich auch in einer neuen Direktive an die staatlichen Medien nieder, mit der Propagandachef Li Changchun die Berichterstattung über Proteste steuern will. Da sich Nachrichten in Chatforen oft schneller verbreiten, als die Zensoren sie löschen könnten, soll künftig auch die offizielle Presse schnell über „Massenvorfälle“ berichten – allerdings ohne auf die zugrunde liegenden Ursachen einzugehen. So erklärten auch die Behörden von Longnan knapp, die Randale in ihrer Stadt seien von „wenigen Menschen mit bösen Motiven“ angestachelt worden.

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