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Politik: Protestanten und Katholiken sollen gleichberechtigt Dienst tun

Eine kleinere, konfessionell ausgeglichene und entpolitisierte Polizei soll künftig unter einem neuen Namen Ruhe und Ordnung in Nordirland gewährleisten. Gestern veröffentlichte in Belfast Chris Patten, der inzwischen zum EU-Kommissar aufgerückte britische Politiker, die 175 Empfehlungen seiner unabhängigen Reformkommission.

Eine kleinere, konfessionell ausgeglichene und entpolitisierte Polizei soll künftig unter einem neuen Namen Ruhe und Ordnung in Nordirland gewährleisten. Gestern veröffentlichte in Belfast Chris Patten, der inzwischen zum EU-Kommissar aufgerückte britische Politiker, die 175 Empfehlungen seiner unabhängigen Reformkommission. Leidenschaftlich appellierte Patten an die Politiker Nordirlands, den im Karfreitagsabkommen vereinbarten Neubeginn zu wagen und eine sachliche Debatte über die Polizei zu führen.

Die "Royal Ulster Constabulary" (RUC), die bisherige Polizeitruppe, ist ein Spiegel und ein Produkt des 30-jährigen Konflikts; sie ist in gewissem Sinne auch eine Konfliktpartei. Mehr als 300 ihrer Beamten verloren in ihrem Dienst ihr Leben. Von den 11 400 Vollzeitbeamten gehören 92 Prozent den protestantischen Konfessionen an, die in der Bevölkerung bloß etwa 58 Prozent ausmachen. Der neue "Northern Ireland Police Service" soll auf 7500 Beamte abgespeckt werden, neue Rekruten sollen je zur Hälfte aus beiden Glaubensgemeinschaften kommen.

Patten prophezeite, der Anteil katholischer Polizisten werde in zehn Jahren auf etwa 30 Prozent steigen. Die bisherige Vollzeitreserve, die nur mit befristeten Verträgen angestellt ist, wird aufgelöst, das eigentliche Beamtenkorps soll mit großzügigen Vorruhestandsangeboten um etwa eintausend Beamte verringert werden. Pattens achtköpfige Kommission war im Juni 1998 als Kind des Karfreitagsabkommens eingesetzt worden und hatte Dutzende von öffentlichen Anhörungen in Nordirland abgehalten. Dort kam es auch prompt zu heftigem Streit über die RUC, die als einzige Polizeitruppe innerhalb des Vereinigten Königreichs den Ausdruck "Royal" im Titel führt: Sie soll künftig neue Embleme tragen und auf die Vereidigung auf die Königin wie auch auf britische Fahnen auf den Gebäuden der Polizeikasernen verzichten.

Doch neben diesen symbolträchtigen Äußerlichkeiten bieten die Reformvorschläge der Patten-Kommission ein willkommenes Umdenken im Bereich der polizeilichen Rechenschaftspflicht. Die neue Aufsichtsbehörde soll eine Mehrheit von politischen Repräsentanten enthalten, darunter auch Vertreter der IRA-nahen Sinn-Fein-Partei.

Die Kommunalbehörden dürfen neuerdings in enger Absprache mit der Polizei zusätzliche Dienstleistungen einkaufen, doch Patten dementierte Gerüchte, ehemalige Terroristen würden dadurch in den Staatsdienst übernommen. Alle paramilitärischen Verbände Nordirlands üben zur Zeit in ihren Hochburgen polizeiähnliche Macht aus, sie verprügeln und verletzen angebliche Missetäter, nicht selten aufgrund von Hinweisen aus der Bevölkerung. Die überzogene Forderung Sinn Feins nach einer Abschaffung der Polizei entspringt nicht selten dem Wunsch, diese willkürliche Kontrolle zu behalten. In gewissem Sinne "rechtfertigt" der Fortbestand einer unreformierten RUC die Selbstjustiz der IRA. Das Ziel der Reformvorschläge Pattens ist die Schaffung einer nordirischen Polizei, die anders als bisher breite Akzeptanz in der Bevölkerung genießt. Voraussetzung für eine erfolgreiche Umsetzung ist indessen die Verwirklichung des gesamten Karfreitagsabkommens, namentlich die Bildung einer nordirischen Koalitionsregierung, die dereinst die volle Verantwortung für die neue Polizei übernehmen soll.

Martin Alioth

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